# taz.de -- Die Wahrheit: Die schwarze Empathie | |
> Denunziation ist kein Hobby, sondern eine historische Aufgabe. Ein | |
> Berufsdenunziant erklärt sich, er verpfeift jährlich Tausende. | |
Bild: Der größte Lump im ganzen Land ist der Denunziant | |
In einem Interview mit der taz prahlte kürzlich ein selbsternannter | |
Lebensschützer damit, die Websites von Frauenärzten nach verbotener | |
Information über Abtreibungsangebote zu durchsuchen und diese dann zu | |
melden. „Das ist halt so mein Hobby“, erklärte der Denunziant, der sich | |
„Markus Krause“ nannte und es im Rahmen seiner Nebentätigkeit nach eigenen | |
Angaben auf gut zwanzig Anzeigen pro Jahr bringt. | |
Über diese jämmerliche Quote kann ein Berufsdenunziant nur milde lächeln. | |
Marc Kraus (47) wie sich unser Gesprächspartner nennt, verpfeift in einem | |
guten Jahr wohl an die tausend Klienten: Falschparker, Gynäkologinnen, | |
Nachbarn, die den Müll falsch trennen oder zu laute Musik hören. Von einem | |
dieser Nachbarn wurde er uns auch wärmstens empfohlen. | |
Nun treffen wir uns vor Kraus’ Stammcafé. Gegenüber liegt ein Park, in dem | |
sich Touristen gern mit Marihuana eindecken. Von hier aus kann der | |
Anschwärzer mit dem Handy bequem die Polizei über Verdächtige informieren | |
und dabei Cappuccino trinken. Was man denn so als Profidenunziant verdiene, | |
möchten wir wissen. | |
Kraus schüttelt den Kopf. „Gar nichts.“ Er sei ja kein Abmahnanwalt. Das | |
Label „Profidenunziant“ beziehe sich eher auf den Zeitaufwand sowie die | |
Qualität seiner rein unehrenamtlichen Arbeit. „Der schönste Lohn ist der | |
verzweifelte Blick der Verratenen. Leider sind wir ja wegen der vielen | |
anonymen Schreiben und Anrufe nicht immer live dabei, wenn die zur | |
Rechenschaft gezogen werden. Aber zum Glück können wir uns die langen | |
Fressen ganz gut ausmalen. | |
Die ‚schwarze Empathie‘, unsere berufsbedingte Fähigkeit Lust aus dem Leid | |
anderer zu ziehen, hilft uns, den Triumph auch in unserer Fantasie | |
auszukosten. Nicht zu vergessen den Kick im Vorfeld, wenn dieses Gefühl aus | |
Gemeinheit, falschem Bedauern und der zutiefst empfundenen Gewissheit, | |
aufseiten des Rechts zu stehen, die Adern durchströmt. Und dabei ist es | |
völlig egal, wie ungerecht eine Gesetzesgrundlage sein mag und welche | |
Verbrecher, Irre oder Rechtsklerikale sie auch immer zu verantworten haben. | |
Je ungerechter und absurder desto besser eigentlich. Das ist fast wie Sex!“ | |
## Erotisierende Momente | |
Er blickt sich sorgfältig um und senkt die Stimme. „Ich weiß ja, hier lesen | |
auch viele Kinder mit.“ Sein Wispern klingt auf grauenhafte Weise | |
erotisiert, so als hätte man die Tonspuren von Scarlett Johannson und Lemmy | |
Kilmister gemixt: „Aber ich habe mal das Ordnungsamt gerufen, weil eine | |
Frau im Park ihren Mischling nicht angeleint hatte. Und dabei stellte sich | |
heraus, dass der Hund keine gültige Marke und sie keinen Heller auf Tasche | |
hatte. Sie haben das Tier dann mitgenommen. Der Kummer der Frau hat bei mir | |
eine Welle hypermultipler Orgasmen ausgelöst, wie ich sie in dieser | |
Intensität nicht für möglich gehalten hätte. Mein ganzer Körper war nur | |
noch ein einziges unkontrolliert zuckendes Bündel. Als stünde ich unter | |
Strom. Erst eine halbe Stunde später war ich in der Lage, nach Hause zu | |
gehen, um die völlig durchweichte Hose zu wechseln.“ | |
Vielleicht muss man das mit den Kids gar nicht so eng sehen. Die gucken | |
heutzutage eh alle Pornos. Wenn hier dieser Fiesling darüber sabbelt, wie | |
ihm als Hilfssheriff einer abgeht, lachen die doch bloß drüber. Falls Marc | |
Kraus das wüsste, ob er dann immer noch so stolz wäre? „Ich stamme aus | |
einer langen und ruhmreichen Ahnenreihe von Denunzianten“, schwadroniert er | |
mit blasierter Miene. „Einer meiner Vorfahren war Adalbert von Ansbach, | |
besser bekannt unter dem Namen ‚Adalbert, das Arschloch‘, der geschätzt an | |
die fünfhundert Hexen, darunter Frau, Tochter und Lieblingstresenkraft, an | |
die Häscher verriet und so dem Scheiterhaufen überantwortete. | |
Und auch mit ‚Peter, dem Petzer‘ bin ich in direkter Linie verwandt: Im | |
Jahre 1631 wies er in Magdeburg den kaiserlichen Truppen die Verstecke von | |
Kindern und Schwangeren, die daraufhin wahllos hingemetzelt wurden. Er | |
selbst erhielt dafür nur drei zerbeulte Kupferstücke, doch das Geschrei der | |
Sterbenden galt ihm mehr als tausend Taler. Apropos Geschrei der Sterbenden | |
…“ | |
Er grinst verschmitzt. „Im dritten Reich hatte meine Familie natürlich | |
Vollbeschäftigung. Juden, Kommunisten, Quertreiber – eine goldene Zeit. | |
Mein Großvater sprach oft davon, dass man für unsere Zunft Deutschland | |
damals in Schlaraffenland hätte umbenennen müssen.“ Kurz huscht ein | |
Schatten über sein eben noch so fröhliches Gesicht. „Die Kapitulation hat | |
dann nicht wenige aufrechte Denunzianten in den Suizid getrieben.“ | |
Doch gleich darauf ist er bereits wieder ganz in seinem Element und | |
telefoniert mit dem Ordnungsamt, da unsere Stühle im Außenbereich des Cafés | |
um mindestens vier Zentimeter über das erlaubte Limit hinausragen. | |
Zwischendurch findet er noch Zeit, uns zu fragen: „Haben Sie überhaupt | |
Ihren Presseausweis dabei?“ Ein Berufsdenunziant ist immer im Dienst. | |
17 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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