# taz.de -- Die Wahrheit: Nutella ist alle | |
> Es ist ernst am Gunung Agung: Der drohende Vulkanausbruch auf Bali stürzt | |
> deutsche Touristen vor Ort in eine tiefe Sinnkrise. | |
Bild: Der Vulkan ruft. Frau Zeisig aus Detmold fotografiert | |
Eine vier Kilometer hohe Säule aus Rauch und Asche steht weithin sichtbar | |
über dem Gunung Agung, dem höchsten Vulkan der indonesischen Urlaubsinsel | |
Bali. Hunderttausend Bewohner müssen nur mit dem Nötigsten ihre Häuser | |
verlassen und in Notunterkünfte ziehen. Sie haben Angst vor Plünderern, | |
Angst, dass ihre Hütten und Felder zerstört werden. Tatsächlich eine etwas | |
doofe Situation. | |
Doch viel schlimmer trifft es die Touristen. Sie haben keinen | |
Vulkanausbruch gebucht. Außerdem ist der Flugverkehr eingeschränkt. Briten, | |
Franzosen und Niederländern ist das vergleichsweise egal – zwischen Arbeit | |
und Ferien kann man bei ihnen eh kaum unterscheiden, und in ihre failed | |
states zieht es sie nicht zurück. | |
Der Deutsche jedoch leidet wie ein Tier, sieht er die Rückkehr in die | |
schöne Heimat und an seinen Arbeitsplatz gefährdet. Auch sind dann zu Hause | |
die Adventskalender alle, und selbst wenn nicht, wären sie ungültig, weil | |
die ersten Türchen nicht geöffnet sind. Die Zustände sind entsetzlich. Es | |
ist, als läge ein böser Fluch auf unserem Land. Was haben wir den Göttern | |
bloß getan? Denn wohin wir auch gehen: Das Unglück ist schon da und | |
empfängt uns mit offenen Armen. | |
Über 5.000 Deutsche sind auf Bali gestrandet. Seit Stalingrad saßen nicht | |
mehr so viele unschuldige Landsleute fern der Heimat in der Tinte. Die Not | |
ist groß. Bernd und Karoline Zeisig aus Detmold zeigen uns Bilder von der | |
Website ihres neuen Hotels. Das müssen sie beziehen, weil sich ihre vorige | |
Unterkunft am Fuße des Gunung Agung befand. Ihre Gesichter sind bleich: | |
„Der Swimmingpool ist mindestens zwei Meter kürzer als der im Karma | |
Bataubatang Ayurveda Resort in Pulau Papadam. Und zum Frühstück gibt es | |
keine Nutella.“ | |
Wie auf Kommando heulen Lisa (7) und Hanno (5) los. Auch Bernd Zeisig | |
stehen angesichts des Leides seiner Kinder die Tränen in den Augen. „Die | |
kleinen Würmer können doch nichts dafür“, murmelt er betrübt. „Die | |
verstehen doch gar nicht, was hier mit ihnen geschieht.“ | |
## Alles geht den Bach runter | |
Auch andere unzumutbare Härten summieren sich. Durch das offene Fenster des | |
weißen Miet-SUVs sprechen wir mit Lothar Hüller aus Bonn, während der | |
einheimische Fahrer versucht, die mit balinesischen Großfamilien und deren | |
Habseligkeiten überlasteten Scooter von der Straße zu hupen. „Ich habe eine | |
Karte für Leverkusen gegen Hoffenheim. Wer ersetzt mir die jetzt? Die | |
Indonesier bestimmt nicht. Die tun mal wieder so, als ginge sie das alles | |
überhaupt nichts an. Die haben doch gar nichts im Griff: nicht die | |
Müllentsorgung, nicht die Speisekarte und ihre Scheißvulkane ebenfalls | |
nicht. Von Servicegedanke keine Spur.“ | |
Endlich kann sich der Land Rover wenigstens in Schrittgeschwindigkeit den | |
Weg durch die havarierten LKWs bahnen, auf deren offenen Ladeflächen sich | |
die Evakuierten drängen. Kopfschüttelnd blickt Hüller auf das Gewusel. Zum | |
Glück ist er der einzige Passagier im Wagen, doch der Anblick der | |
Flüchtenden belastet ihn. Wie soll man sich so erholen? | |
Natürlich bereitet die Situation auch den deutschen Verantwortlichen vor | |
Ort großes Kopfzerbrechen. Friedemann Klützhoff zu der Asse, der | |
braungebrannte Konsul der kleinen deutschen Vertretung in der | |
Inselhauptstadt Denpasar, den wir beim Sport antreffen, seufzt: „Das Elend | |
ist unbeschreiblich.“ | |
Klützhoff zu der Asse hält kurz inne, um den Ball am vierten Grün | |
konzentriert einzuputten – ein Birdie. Dann erläutert er das weitere | |
konsularische Vorgehen: „Die lokalen Behörden halten Unterkünfte für | |
gestrandete Touristen gratis frei, aber die Leute müssen ja auch noch | |
essen. Da bist du in einem einfachen Warung schon mal 20.000 Rupiah los. | |
Das ist mehr als ein Euro!“ | |
## Bloß nicht kümmern | |
Mit fast sichtbarem Bedauern zuckt der engagierte Diplomat mit den | |
Schultern. Bildmaterial, das für den geplanten „Brennpunkt“ in der ARD viel | |
zu hart ist: „Leider können wir uns nicht um alle kümmern, deshalb kümmern | |
wir uns um keinen. Asche auf mein Haupt, aber das ist nun mal die fairste | |
Lösung.“ | |
Lockerer sehen das naturgemäß die Backpacker. Lena und Jakob aus | |
Tirschenreuth, die uns nur ihre Vornamen nennen, haben sich bei einer | |
balinesischen Familie einquartiert. Für Essen und Bett zahlen sie nichts. | |
Können und wollen sie auch nicht. „Das ist nur gerecht“, meint Lena, | |
während sie ihr Selfie-Motiv „Duckface vor Rauchsäule“ auf Instagram | |
stellt. „Die Einheimischen verlieren ja schließlich keine kostbaren | |
Urlaubstage. Außerdem sehen die das Ganze easy: Als Buddhisten haben die | |
ein ganz anderes Verhältnis zum Tod. Der ist für die ungefähr, was für uns | |
der Gang aufs Klo ist. Nur, dass sie eben nicht zurückkommen. Oder | |
höchstens mal als Scheißhausfliegen.“ | |
Der Gunung Agung rumpelt vernehmlich und Lena zieht sich doch lieber zu | |
Jakob ins Innere der Wellblechhütte zurück. Nicht dass es am Ende auch noch | |
heißt: Es sind Deutsche unter den Opfern. | |
5 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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