# taz.de -- Die Wahrheit: Fatwa gegen coole Pussys | |
> Jetzt neu! Für Frauen und Mädchen! Für dich und deinen Bauch! Endlich | |
> auch in Shopping Malls! Der Lifestyle-Trend Abtreibung! | |
Bild: No Children, No Cry – dafür Strandleben in der Karibik | |
Gemäß einer Fatwa des Bundesvolksgerichtshofs ist Ärzten bereits die | |
sachliche Information über angebotene Abtreibungen untersagt. „Eine | |
Aufhebung des Werbeverbots kommt für uns nicht infrage“, bekräftigt auch | |
Elisabeth Winkelmeier-Becker, die rechtspolitische Sprecherin der | |
Unionsfraktion im Bundestag. Denn diese „Werbung“ trüge zur Verharmlosung | |
bei. | |
Wie recht sie hat, zeigt uns die Aussage der 16-jährigen Emma, die sich mit | |
ihrer Gang wie jeden Tag vor der hell erleuchteten Praxis eines | |
stadtbekannten Abtreibungsspezialisten herumtreibt. „Verhütung ist doch für | |
Pussys. Ich treibe lieber ab“, tönt die resolute Teenagerin. „Das ist jetzt | |
sowieso der heiße Scheiß schlechthin.“ | |
Darauf deuten auch die frechen Schilder mit den pfiffigen Werbesprüchen in | |
jedem Fenster hin: „Für alle, die schon morgen eine Bikini-Figur brauchen“, | |
„Zwei abtreiben, eins bezahlen!“, „Ich will so bleiben, wie ich bin – du | |
darfst!“ | |
## Neugierige Frauen | |
Offenbar sind die Strafen noch viel zu gering, und die Betreiber | |
kalkulieren sie unverfroren mit ein – das Geschäft rechnet sich trotzdem. | |
Gelangweilte oder neugierige Frauen, die sonst nie auf die Idee gekommen | |
wären, abzutreiben, rennen den Engelmachern die Bude ein. Viele lassen sich | |
sogar eigens schwängern. Dem traditionell hirn-, gedanken- und | |
verantwortungslosen Geschlecht wird schließlich suggeriert, dass es sich | |
bei einer Abtreibung um eine Form von Wellness handelt. | |
„Ich treibe ab, um abzunehmen“, wirft denn auch Emmas 14-jährige Freundin | |
Kunigunde in die Runde, und die elfjährige Shakira ergänzt begeistert: „Bei | |
jeder Abtreibung geben sie einem noch eine Tüte Studentenfutter oder die | |
‚Pille danach‘ dazu. Und die Musik im Behandlungsraum ist auch super! Zur | |
Betäubung kam ‚Unendlichkeit‘ von Cro, und während der Absaugung haben sie | |
dann Mark Forster und Rihanna gespielt.“ | |
Vor den Berliner Neukölln Arcaden zeigt eine riesige Plakatwand eine | |
Strandbar unter Palmen, im Hintergrund die grell türkisfarben in der Sonne | |
schimmernde Karibik. Vor einer lachenden jungen Frau im luftigen | |
Strand-Pareo und einem Surfer mit zwölfriffeligem Waschbrettbauch steht je | |
ein prächtig garnierter Cocktail auf dem Tresen – alles zusammen ein bunter | |
Overkill aus den Früchten der Saison, richtig hartem Alk und heißem | |
Verlangen. Darüber in schillernden Reggae-Farben der Slogan „No Children, | |
No Cry.“ | |
Was man zunächst für eine Reisebüro-Reklame halten möchte, ist die | |
aggressive Kampagne einer dieser reinen Abtreibungspraxen, die neuerdings | |
wie Pilze aus dem Boden schießen. Anstatt Ärztehäuser oder Seitenstraßen, | |
bevorzugen sie als Standorte Shopping Malls und Fußgängerzonen. Hier hofft | |
man Klientel zu finden: Ultrakonsumistische Hohltussen, denen alles andere | |
egal ist, „ganz normale Frauen“ also, wie Winkelmeier-Becker sie bezeichnen | |
würde. Ob Abtreibung oder Helikoptermutter ist für die ohnehin eher eine | |
Frage des Lifestyle-Trends. | |
## Abenteuer Abtreibung | |
In ebendiese Kerbe schlägt die Werbung. „Patientinnen mit herkömmlichen | |
Frauenleiden oder gar Kinderwunsch nehmen wir gar nicht mehr an“, bestätigt | |
die Gynäkologin Waltraud Wechsler (42), während sie einen Stapel stilvoll | |
gestalteter Faltblätter „Abenteuer Abtreibung“ auf den Empfangstresen legt. | |
„Wir hassen Geburten. Was für ein grauenhaftes Gemetzel! Wer macht denn so | |
was? Das ist doch nicht normal!“ Sie schüttelt sich. „Übrigens sprechen w… | |
auch lieber von Kundinnen als von Patientinnen. Das klingt nicht so krank.“ | |
Eine solche Kundin ist Verena Truckenbrodt. „Du fühlst dich einfach wohl | |
hier. Die ganze Atmosphäre ist supertoll!“ Im Ledersessel des | |
geschmackvollen Wartezimmers nippt die 35-jährige Einzelhandelskauffrau an | |
ihrem Cremant, der von aufmerksamen Abtreibungsassistenten nonstop | |
nachgeschenkt wird. „Eigentlich war ich unterwegs, um Schuhe zu kaufen, | |
doch dann sprang mir dieses Plakat ins Auge. Gerade alles extrem | |
Verharmloste hat mich schon immer unwiderstehlich angezogen. Bis jetzt habe | |
ich es nicht bereut. Man weiß sich hier bestens aufgehoben. Es geht auch | |
nicht so bierernst zu wie beim Arzt oder beim Friseur – alle machen Witze | |
und sind gut drauf. Und natürlich bin ich schon mächtig auf die eigentliche | |
Abtreibung gespannt.“ | |
Schließlich wird es ihre erste sein. Die passionierte Mutter von drei | |
Kindern hätte gern noch ein viertes bekommen. „Aber das kann ich dann ja | |
immer noch.“ Kichernd reibt sie sich den Unterbauch. „Man kann nun mal | |
nicht Ostern und Weihnachten zur selben Zeit feiern.“ | |
24 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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