Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Reich und schön
> Womöglich sind Reiche doch die besseren Menschen. Mitunter schieben sie
> jedenfalls die Armen an. Nur das Auto will partout nicht anspringen.
Bild: Zu den Waffen, Brüder! Die Anti-Brexiteers greifen an!
Ich habe nachgedacht. Lange. Also für meine Verhältnisse habe ich ziemlich
lange nachgedacht, bestimmt volle drei Minuten: Womöglich sind Reiche doch
die besseren Menschen. Für mich wäre das eine katastrophale Erkenntnis,
weil sie mich meiner moralischen Überlegenheit beraubte, die sich einzig
aus der Tatsache speist, dass ich nichts habe und sie haben alles.
Mein Verdienst ist also, dass ich nichts verdiene. Und bislang sah ich es
so: Ich darbte, während die Reichen systemunterstützt mich und
meinesgleichen bestahlen. Reiche – das Vorurteil teilte ich mit vielen
anderen Menschen – waren rücksichtslose Raffzähne. Ab und zu spendete zwar
mal einer seine Kohle an die Wohlfahrt, aber das war auch nur eine weitere
perfide Spielart seiner asozialen Ego-Show.
Ein Tag am Kremmener See in Brandenburg aber ändert alles. Neben einem auf
Hochzeiten spezialisierten Luxushotel liegt ein gepflegter öffentlicher
Gemeindestrand. Ich liege also inmitten einer Robbenkolonie phänotypisch
etwas grobkörnig gestalteter Einheimischer, während auf der Wiese hinter
uns eine Hochzeitszeremonie stattfindet. Schöne, junge, wohlsituierte
Großstadtmenschen, geschmackvoll gekleidet und mit fein geschnittenen
Gesichts- und Anzügen – ein frappierender Kontrast.
Irgendwann bin ich durchgegart und will nach Hause. Auf dem Parkplatz suche
ich zwischen den Limousinen der Hochzeitsgäste mit Kennzeichen von
Baden-Baden über Koblenz bis München unseren ollen Kleinwagen. Der dann
nicht anspringt. Ich Idi habe das Licht angelassen!
Ein Paar – er im schwarzen Anzug, sie im apricotfarbenen Sommerkleid –
erklärt sich ohne Zögern bereit, mich anzuschieben. Ich will das Angebot
wegen ihrer teuren Klamotten fast schon ablehnen, aber sie bestehen darauf.
Der Edelmann muss dabei auch noch aufpassen, dass er mir mit seinen
Lackschuhen nicht auf die Füße tritt. Denn im Sommer fahre ich meistens
barfuß, auch um meine alten Treter für den Winter zu schonen. Und ich muss
zugeben: Die beiden wirken tiefenentspannt.
Sollte es gerade ihr Reichtum sein, der sie so locker macht? Also locker
statt gierig und gemein? Das wäre ja ein Hammer. Mag sein, dass sie mit
ihrem überreichen Lohn den Armen das Wasser abgraben, aber dafür schlagen
sie es im nächsten Moment auch wieder ganz entspannt in jeden Bettlerhut
ab.
Leider ist die Batterie offenbar so leer, dass das Anschieben nicht mehr
fruchtet. Aber mir kommt noch so ein unerhörter Gedanke für meine an
unerhörten Gedanken eh bereits so reiche Gedankenwelt: Vielleicht wäre die
Welt ja sogar besser, wenn wir alle reich wären. Geld bettet weich, und so
ein Urlaub auf den Malediven täte bestimmt jedem mal ganz gut. Außerdem
muss man einfach mal feststellen: Das Konzept Armut hat sich doch letztlich
nie so richtig durchgesetzt. Vielmehr führt es ständig zu sozialem
Unfrieden. Lasst uns reich und lässig sein, dann geht in Zukunft alles wie
von selbst.
15 Jun 2018
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Reichtum
Schwerpunkt Armut
Brandenburg
Schwerpunkt Brexit
Tourismus
Polizei
Kriminalität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Auenland ist abgebrannt
Die Übersetzung des Brexit-Papiers der britischen Regierung ist ein äußerst
merkwürdiges altertümliches Dokument.
Die Wahrheit: Wie ein stillgelegter Schlachthof
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (4). Heute: Auf den groben Rippen
einer Schlafcouch im polnischen Łeba.
Die Wahrheit: Nach Lust und Laune löschen
Franken in Aufruhr: Das brandneue Bayerische Feuerwehrgesetz hat
dramatische Folgen für die Region.
Die Wahrheit: Tod aus der Flasche
Es ist wieder einmal die pure Apokalypse – das alljährliche
„Baumblütenfest“ im brandenburgischen Werder an der Havel.
Die Wahrheit: Die schwarze Empathie
Denunziation ist kein Hobby, sondern eine historische Aufgabe. Ein
Berufsdenunziant erklärt sich, er verpfeift jährlich Tausende.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.