# taz.de -- BVerfG zu Gesundheitsvorschriften: „Hygienepranger“ kann kommmen | |
> Firmen, die Lebensmittelvorschriften verletzen, müssen wieder damit | |
> rechnen, dass Behörden ihren Namen veröffentlichen. | |
Bild: Lauert hier der nächste Skandal? Dank des Bundesverfassungsgerichts wiss… | |
FREIBURG taz | Behörden müssen Verbraucher ab sofort wieder über Verstöße | |
gegen Hygiene- und Gesundheitsvorschriften informieren. Das | |
Bundesverfassungsgericht hat rechtliche Bedenken weitgehend ausgeräumt. | |
Karlsruhe forderte allerdings eine zeitliche Befristung der Informationen. | |
Nach Skandalen über Dioxin in Futtermitteln und die falsche Deklaration von | |
Käseimitaten hat der Bundestag 2012 das Lebensmittelrecht verschärft. Die | |
Behörden sind nun verpflichtet, die Öffentlichkeit stets zu informieren, | |
wenn Unternehmen Grenzwerte überschreiten oder andere der Gesundheit und | |
Hygiene dienende Vorschriften verletzen. | |
Die Information muss auch erfolgen, wenn die Gesundheit der Verbraucher | |
nicht (mehr) konkret gefährdet ist. Auch der Name des betroffenen | |
Unternehmens muss dabei genannt werden. In der Öffentlichkeit war deshalb | |
auch von einem „Hygienepranger“ die Rede. Die Bundesländer richteten danach | |
entsprechende Internetportale ein. | |
Die Lebensmittelindustrie, aber auch das Bäcker- und Metzgerhandwerk, | |
liefen Sturm gegen die Reform. Eine öffentliche Namensnennung könne die | |
betroffenen Unternehmen oder Marken irreparabel schädigen oder gar | |
finanziell ruinieren. Die Regelung sei völlig unverhältnismäßig. Zahlreiche | |
Verwaltungsgerichte schlossen sich der Kritik an und verboten den Behörden | |
in Einzelfällen die Nennung von Unternehmen. Moniert wurde vor allem eine | |
fehlende Löschungsfrist im Gesetz. | |
Die damals rot-grüne Landesregierung von Niedersachsen stellte daraufhin | |
2013 einen Normenkontrollantrag an das Bundesverfassungsgericht. Die | |
Behörden bräuchten Rechtssicherheit, wenn sie „Ross und Reiter“ nennen, | |
sagte Agrarminister Christian Meyer (Grüne). Zunächst führte der Gang nach | |
Karlsruhe aber dazu, dass alle Bundesländer die Veröffentlichung von | |
Missständen beendeten. | |
Ende 2015 kündigte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) | |
zwar eine Neuregelung des Gesetzes an. Doch sofort gab es wieder Proteste | |
aus der Wirtschaft, weshalb von Schmidts Plänen anschließend nichts mehr zu | |
hören war. | |
## „Abschreckende Wirkung“ | |
Doch auch beim Bundesverfassungsgericht ging die Sache nicht voran. | |
Zuständig war der Richter Johannes Masing. 2017 beschloss der Erste Senat | |
deshalb einen Berichterstatterwechsel. Die jetzt zuständige | |
Verfassungsrichterin Gabriele Britz brachte das Verfahren nun zügig zu | |
Ende. | |
Im Kern ist das Gesetz verfassungskonform, so die Entscheidung des Ersten | |
Senats. Es verfolge den legitimen Zweck, dem Verbraucher Informationen für | |
„eigenverantwortliche Konsumentscheidungen“ zu geben. Die Publikation von | |
Verstößen könne Unternehmen zwar schwer belasten, es sei aber angemessen, | |
hier den Verbraucherinteressen Vorrang zu geben, so die Richter. | |
Auch die Veröffentlichung von Verdachtsfällen sei gerechtfertigt. | |
Verbraucher bräuchten aktuelle Informationen und könnten nicht jahrelang | |
warten, bis Gerichte letztinstanzlich entschieden haben. Die | |
Verfassungsrichter verlangten aber, dass nur Fälle veröffentlicht werden, | |
die aus Sicht der Behörden „aufgeklärt“ sind, zum Beispiel weil zwei | |
unabhängige Proben den Verstoß belegen. | |
Verstöße, die bereits beseitigt wurden, könnten ebenfalls veröffentlicht | |
werden, so Karlsruhe, das sichere die „abschreckende Wirkung“ des Gesetzes. | |
Allerdings müssten die Behörden auf ihren Webseiten klarstellen, wenn ein | |
Verstoß inzwischen nicht mehr besteht. Das Gesetz sei hier | |
verfassungskonform auszulegen. | |
## Wann muss die Information gelöscht werden? | |
Auch dürften nur Verstöße veröffentlicht werden, die die Bagatellgrenze | |
überschreiten, so die Richter. Dies sei insbesondere in drei | |
Konstellationen der Fall: erstens, wenn einzelne Verbraucher besondere | |
Nachteile haben oder zweitens, wenn viele Verbraucher betroffen sind oder | |
drittens, wenn ein Unternehmen mehrfach gegen Vorschriften verstößt. | |
Verfassungswidrig sei das Gesetz nur in einem Punkt: Es fehle eine | |
Regelung, wann eine belastende Information im Internet wieder gelöscht | |
werden muss. Für eine Löschfrist spreche, dass der Informationswert umso | |
geringer sei, je länger der Verstoß zurückliegt. Gleichzeitig sei die | |
Belastung des Unternehmens umso größer, je länger die Information verfügbar | |
ist. | |
Bis April 2019 muss der Bundestag das Lebensmittel- und | |
Futtermittelgesetzbuch entsprechend nachbessern, so die Karlsruher Vorgabe. | |
Das Gesetz kann bis dahin aber angewandt werden, stellten die | |
Verfassungsrichter klar, schließlich habe der Staat eine Schutzpflicht für | |
die Verbraucher. Die Behörden sind also ab sofort wieder verpflichtet, | |
Verstöße von Unternehmen gegen Gesundheits- und Hygienevorschriften zu | |
veröffentlichen. Sie müssen diese allerdings spätestens nach zwölf Monaten | |
wieder vom Netz nehmen. | |
(Az.: 1 BvF 1/13) | |
4 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Lebensmittel | |
Bundesverfassungsgericht | |
Hygiene | |
Gammelfleisch | |
Lebensmittelskandal | |
Vegetarismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lebensmittelskandal im Großbritannien: Gammelfleisch aufgefrischt | |
Beim größten britischen Geflügelproduzenten bekamen alte Hühnchen neue | |
Etiketten. Außerdem wurde die Herkunft der Tiere gefälscht. | |
Lebensmittelskandal in China: Fleisch kranker Schweine verkauft | |
Mehr als 110 Personen wurden in China festgenommen. Sie sollen erkrankte | |
Tiere ermäßigt erworben und deren Fleisch in Umlauf gebracht haben. | |
Die Wahrheit: Tofu aus Fleisch | |
Ein neuer Lebensmittelskandal schockt Vegetarier: Rund 95 Prozent des | |
weltweit produzierten Tofus bestehen gar nicht aus Soja. |