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# taz.de -- Klo-Ausstellung auf Burg Storkow: Ein Blick ins Töpfchen
> Die Schau „Drauf geschissen“ zeigt, dass vernünftige Klos nicht nur eine
> Frage des Wohlbefindens sind, sondern viel mit Würde und Menschenrechten
> zu tun haben.
Bild: Die Ausstellung auf Burg Storkow zeigt einen kulturhistorischen Abriss vo…
Als sich der Seehofer-Horst dem deutschen Volke als neuer Heimat-Horst im
Ministeramt präsentierte, sorgte er für einen großen Spaßmoment in Stadt
und Land. Mit einer (vermutlich unbeabsichtigten) Verhaspelung hatte er
sich zum Chef des Heimatmuseums erklärt, womit er einen kleinen
Medienstrahl auf das unterbelichtete Feld der Heimatmuseen lenkte. Die
haben es ja auch nicht leicht in Zeiten der Eventseuche, aber wenn sie es
pfiffig anstellen, können sie doch ganz schöne Besuchermassen in Bewegung
setzen.
So wie die Experten fürs Museale in [1][Storkow] vor den Toren Berlins. Die
hatten die Einheimischen aufgerufen, eine Ausstellung zur Geschichte des
stillen Örtchens mit sachdienlichem Zeugs zu bereichern. Rund 200 Teile
schleppten die Storkower an: Jaucheschöpfer, Fotos von Donnerbalken,
unterschiedlichste Nachttöpfe und Bettpfannen, die zu Exponaten der
Ausstellung wurden.
Die ist gleichwohl keine Schau der Art of Notdurft in [2][Storkow], sondern
eine schlaue Verknüpfung von lokalem und globalem Toilettenwesen, sprich:
ein kulturhistorischer Abriss von der griechisch-römischen Antike, wo das
Abkacken als geselliges Zusammensein zelebriert wurde, bei dem man im
wahrsten Sinne Geschäfte abschloss, über das zum Himmel stinkende
Mittelalter bis zum Hightech-Stuhlgang der Gegenwart (dem besonders die
Japaner frönen). Das Ganze verziert mit einem herrlichen Titel – „Drauf
geschissen!“ –, und schon rennen die Leute den Ausstellungsmachern in
Storkow die Burg ein. An die 40.000 werden es wohl bis zur Schließung am 4.
Juni sein, darunter viele Interessierte aus Berlin.
Immerhin hat die Stadt auch einiges zur modernen Klogeschichte beigetragen.
Wie alle Städter in prä-hygienischen Zeiten kippten auch die Berliner ihre
Nachttöpfe aus dem Fenster aus, was die Schuhmode zu extrem hohen
Holzsohlen veranlasste, damit man einigermaßen sauber über die stinkenden
Straßen kam.
## Die Entdeckung des Schamgefühls
Außerhalb der Städte unterwegs entleerte man sich einfach am Wegesrand.
Selbst die vornehmen Herrschaften und Damen vom Lande machten es im Freien.
Sie erleichterten sich anstandslos in Parks und Gärten, sofern ihre
märkischen Schlösser und Herrenhäuser noch keinen „Abort“ besaßen. Als …
dann zunehmend etepetete wurden, war es damit vorbei, wie überhaupt die
Entdeckung des Schamgefühls die Toilettengeschichte revolutionierte.
Der britische Uhrmacher Alexander Cummings erfand 1775 das „Water Closet“
mit Syphon, einem gekrümmten Abflussrohr als Geruchsverschluss. Weil sieben
Jahrzehnte später in London auch die erste öffentliche Bedürfnisanstalt
öffnete, galten die Briten lange als führende Nation in Sachen Klohygiene.
Berlin zog jedoch bald nach. Ab 1878 gehörte das gusseiserne Café Achteck
zunehmend zum Stadtbild. Allerdings soll es im Nikolaiviertel schon 1820
eine öffentliche Latrine gegeben haben, auf der man sitzen oder hocken
konnte.
Die moderne Variante der Hocktoilette hat eine Storkower Sanitärfirma für
die Ausstellung beigesteuert. Mitnichten gedacht als skurrile Referenz an
die Berliner von anno dazumal im Nikolaiviertel, sondern als Hinweis, dass
die Hockstellung noch heute global verbreiteter ist als die hiesig populäre
Sitzvariante. Was für den Darm auch viel gesünder ist.
Vernünftig schieten und pinkeln ist aber nicht nur eine Frage des
körperlichen Wohlbefindens. Es sind menschliche Grundbedürfnisse, die viel
mit Lebensstandard und Würde, ja mit Menschenrecht zu tun haben. Vor allem
dann, wenn die hygienische Befriedigung dieses Bedürfnisses ein Problem
ist.
## Mangelnde Hygiene kostet Leben
Ein Blick durch die Klobrillen, unter der verschiedene Informationen zum
Thema warten, offenbart: 40 Prozent aller Menschen auf der Welt haben keine
Toilette zur Verfügung. Mangelnde Hygiene kostet täglich rund 1.000 Kindern
das Leben aufgrund von Durchfallerkrankungen. Eine im wahrsten Sinne große
Scheiße, die auch zum oft verdrängten Toilettenthema gehört.
Deshalb ist es toll, wie diese Ausstellung das Große und das Kleine – in
doppelter Bedeutung – zusammenführt. Die einfachen und luxuriösen
Kloschüsseln, die historischen Klopapierrollen und die Information, dass
die Toilette auf der ISS-Raumstation 19 Millionen Dollar kostete oder dass
für die Klopapierherstellung weltweit täglich rund 270.000 Bäume gefällt
werden. Was nötig ist, damit auch dem Deutschen sein jährlich 15 Kilogramm
Klopapierverbrauch ermöglicht werden.
Letztere Info gibt’s übrigens als Kritzelspruch auf einer Klowand.
Klosprüche waren ja früher, als die Bahnhofstoiletten noch nicht an
WC-Betreiber outgesourct wurden, eine Art versiffte Kommunikationsform.
Meist vulgärer Sexkram. An der Ausstellungsklotür stehen ebenfalls Sprüche
aus der Abteilung unnützes Wissen, aber jugendfrei. So erfährt man, dass
die Deutschen auf dem Klo nebenbei noch rauchen (3 Prozent), Zähne putzen
(13 Prozent), Musik hören oder Produktbeschreibungen lesen (je 12 Prozent).
Nach Abschluss der Schau werden einige Exponate zugunsten der World Toilet
Organization, die sich für eine bessere sanitäre Versorgung in
Entwicklungsländern einsetzt, versteigert. Unter anderem die
Klopapierrollen mit dem Bildnis von Hillary Clinton oder Donald Trump aus
dem US-Wahlkampf. Mal sehen, was es den Bietern wert ist, Hillary oder
Trump den Arsch zu zeigen.
14 May 2018
## LINKS
[1] https://www.storkow-mark.de/seite/302179/sonderausstellung.html
[2] https://www.storkow-mark.de/seite/302179/sonderausstellung.html
## AUTOREN
Gunnar Leue
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