# taz.de -- Integration von Geflüchteten: Für eine Arbeit arbeiten | |
> Das Programm „Joblinge“ soll junge Geflüchtete mit Schulungen fit für d… | |
> Arbeitsmarkt machen. Es gibt bereits erste Erfolge. | |
Bild: Lockere Lernatmosphäre: Joblinge bei einem der Kurse in Leipzig | |
„In Deutschland ist die Nutzung der Sie-Form gesetzlich geregelt, Verstöße | |
werden sanktioniert.“ Kurzes Stutzen, dann Gelächter und die einhellige | |
Antwort: „Falsch!“ So leicht lassen sich die elf Teilnehmer im Kursraum | |
nicht reinlegen. Gerade wertet die Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache | |
(DaF) einen Test aus – Thema: Unternehmenskultur in Deutschland. | |
Beim Kompass-Programm der gemeinnützigen Joblinge Aktiengesellschaft in | |
Plagwitz gibt es solche Szenen häufiger. Man will dort jungen Geflüchteten | |
den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Der erste Standort öffnete April | |
2016 in München, im August folgte als dritter Standort Leipzig, aktuell | |
sind es bundesweit acht. | |
Seit Beginn dabei ist Sebastian Heiland, zuständig für die | |
Mentorenkoordination und einer von sechs Festangestellten. Die kümmern sich | |
um die rund 120 Teilnehmer, die bislang das sechsmonatige Programm | |
absolviert haben oder gerade durchlaufen. Die Zielgruppe ist klar: „18- bis | |
27-jährige mit solider Bleibeperspektive, meist aus Syrien, Irak, Iran und | |
Eritrea“, so Heiland. Voraussetzung sei ein absolvierter Integrationskurs. | |
Zeugnisse und Zertifikate seien zwar erwünscht, aber kein Muss: „Wir wollen | |
ja auch jene ansprechen, deren Ausgangslage schwieriger ist.“ | |
Es ist Pause im Kurs, alle schlurfen zum Ausgang. Einer von ihnen ist auch | |
Youssef, ein eloquenter 23-Jähriger. Über ein Praktikum bei BMW will er | |
sich für eine Ausbildung empfehlen. Gerade läuft die Bewerbungsphase. In | |
Leipzig wird er auch nach zwei Jahren schwer heimisch und will eigentlich | |
zum Cousin nach Kassel – „hier sind die Deutschen so verschlossen. Dort | |
sind alle Süßkartoffeln!“, sagt er lachend. Während Youssef den Unterricht | |
aufmerksam, aber auch ein bisschen gelangweilt verfolgt, haben andere mehr | |
zu kämpfen. | |
„Diese Vielfalt ist gewollt, aber auch eine große Herausforderung“, gibt | |
Hannah Reitz zu. Sie ist zuständig für die Qualität der Lehrinhalte. Dafür | |
gebe es pro Durchgang mit je 20 Teilnehmern auch zwei Kurse. In Leipzig sei | |
man dank einer großzügigen Förderung durch Stadt und Land zudem in der | |
„luxuriösen“ Lage, für die Kurse genügend Sprachlehrkräfte zu haben. | |
Mentoren für Geflüchtete | |
Die Teilnehmer werden in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter ausgewählt. Nach | |
einer Inforunde zu einem zweitägigen gemeinnützigen Projekt hat man sich | |
schon ein wenig kennengelernt. „Hier können wir bereits erste Fähigkeiten | |
erkennen und auch schauen, wie motiviert die Kandidaten sind“, verdeutlicht | |
Heiland. Es folgt eine sechswöchige Orientierungsphase mit | |
Intensivsprachkursen und Workshops. Besonders wichtig sei, so Heiland, | |
individuelle Kompetenzen der Joblinge zu erarbeiten und sie auf den | |
Arbeitsmarkt zu orientieren. | |
Dabei helfen wollen auch Vanessa, Kathrin und Stefan. Sie haben sich die | |
Zeit für eine Mentorenschulung bei Lisa Rasehorn genommen: „Die Mentoren | |
sollen unsere Teilnehmer über das halbe Jahr begleiten. Viele haben kaum | |
Kontakt zu Deutschen, können die Sprache nur wenig üben und fühlen sich | |
ausgegrenzt.“ Leider seien nur schwer Mentoren für alle zu finden, so | |
Rasehorn. „Deshalb rücken wir etwas von unserem klassischen Mentorenprofil | |
mit Berufserfahrung ab und setzen etwa auch auf Studierende.“ Ihre drei | |
Gäste hat sie überzeugt. Die Verlagsangestellte, der freie Kunstdozent und | |
die ehemalige Mitarbeiterin im Bundesamt für Migration bekommen bald ihre | |
Menteés zugewiesen und wollen dann vor allem eines sein – „ein Anker in der | |
Stadt“. | |
Über einen solchen Anker würde sich auch Mohammad freuen. Er befindet sich | |
gerade in der zehnwöchigen Qualifizierungsphase, die auf die Orientierung | |
folgt. Neben berufsspezifischen Sprachkursen stehen hier vor allem Mathe- | |
und EDV-Nachhilfe und Bewerbungen im Fokus. Gerade jetzt würde er gern mit | |
jemandem über seine Zweifel und Probleme sprechen können – einen Mentor hat | |
er noch nicht. Was ihn dabei besonders stört: „Manche haben Mentoren und | |
nutzen das kaum.“ | |
Dabei steht für den aktuellen Durchgang gerade ein entscheidender Schritt | |
an – bald startet die zehnwöchige Praktikumsphase. Für deren erfolgreichen | |
Verlauf ist Husam Dagher zuständig. Über Partnerunternehmen und | |
Initiativbewerbungen sucht er mit den Teilnehmern passende Stellen. Zum | |
Start im Jahr 2016 sei der Markt noch verschlossen gewesen, mittlerweile | |
würden die Betriebe zunehmend offener, was Dagher auch auf gute Erfahrungen | |
mit den Joblingen zurückführt: „Am Anfang wollten alle helfen, die | |
Strukturen waren aber noch nicht da und es gab auch Enttäuschungen. Dann | |
wurden die Unternehmen vorsichtiger. Mittlerweile ändert sich das.“ | |
Mahmoud, Trainer der Frauenmannschaft | |
Neben der Kommunikation mit Unternehmen versucht Dagher, mit den | |
Teilnehmern realistische Perspektiven zu finden. Dazu gehöre auch, schwer | |
realisierbare Berufswünsche zu hinterfragen und Alternativen zu suchen. | |
Dabei müsse nicht für jeden eine Ausbildung das Ziel sein. „Manche sind nur | |
sechs Jahre zur Schule gegangen, dann ist der Weg in die Berufsschule oft | |
zu weit. Andere brauchen mehr Zeit, dann kann eine Einstiegsqualifizierung | |
helfen, bei der sie sich über sechs bis zwölf Monate im Betrieb bewähren | |
und dann in eine Ausbildung einsteigen können.“ | |
Doch es gibt auch Musterfälle, zum Beispiel Mahmoud. Der ist nach den | |
Joblingen direkt in die Ausbildung zum Physiotherapeuten gegangen. Zudem | |
spielt er beim Rugby Club Leipzig, trainiert dort sogar die | |
Frauenmannschaft und führt Probetrainings für neue Joblinge durch. Nach | |
wie vor kommt Mahmoud jeden Mittwoch zur ehrenamtlichen Mathenachhilfe. | |
Wöchentlich hat er Kontakt zu seiner Mentorin und zur | |
Ausbildungsbegleiterin Lara Neuhäuser. | |
„Sehr viel Behördenkrams“, antwortet diese lachend auf die Frage, was sie | |
so mache. Ebenso wichtig sei aber, bei Konflikten am Arbeitsplatz oder | |
privaten Problemen zu helfen: „Ich versuche gleich zu Beginn, eine gute | |
Kommunikation mit den Teilnehmern zu etablieren. Wenn sie mich später bei | |
Problemen als Erstes anrufen, habe ich einiges richtig gemacht.“ Wichtig | |
sei vor allem, nachhaltig zu arbeiten und niemand nach dem Programm | |
alleinzulassen. | |
Und so versucht jeder, einen Teil dazu beizutragen, Lösungen zu finden. Das | |
klappt nicht immer so gut, wie bei Mahmoud, die Zahlen können sich dennoch | |
sehen lassen: von 70 Absolventen sind sechs in Ausbildung, 18 befinden sich | |
in Einstiegsqualifizierung und 21 haben feste Stellen. Da für viele der | |
jungen Menschen der Schritt von Qualifizierungsmaßnahmen oder einer | |
Arbeitsstelle in eine mögliche Ausbildung noch anstehe, könne man jedoch | |
vorerst keine endgültige Vermittlungsquote berechnen, so Dagher. | |
Abgesehen von Quoten ist für ihn ohnehin eines besonders wichtig: „Es gibt | |
so viele verschiedene Verläufe, es geht nicht nur um ‚Arbeit oder | |
Nichtarbeit‘.“ Bei den Joblingen scheint man das begriffen zu haben. | |
12 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Florian Franze | |
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