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# taz.de -- Kommentar 1.-Mai-Proteste: Ein Ritual, das man nicht vermisst
> Die Mai-Demonstrationen in diesem Jahr lebten von ihren Inhalten, nicht
> pseudorevolutionärer Pose. Das kann man durchaus so machen.
Bild: Weniger Krawall, mehr klare verbale politische Kommunikation: Die Revolut…
Zehntausende nahmen in diesem Jahr an den offiziellen Gewerkschaftsdemos
zum 1. Mai teil. Nicht zuletzt die laufenden Tarifkonflikte in den
verschiedensten Branchen und ein generelles Unbehagen mit der
Reichtumsverteilung in unserer Gesellschaft dürften zur Mobilisierung
beigetragen haben. Aber auch am radikaleren Ende des Spektrums hat sich
einiges getan. Dabei sind sich GewerkschafterInnen und Autonome nicht nur
in ihren objektivierbaren Interessen, sondern auch in der Pose so nahe
gekommen, wie schon lange nicht mehr.
Mit einem Massaker gegen Streikende in Chicago und einem Justizverbrechen,
dem die Organisatoren des Streiks zum Opfer fielen, wurde der 1. Mai im
ausgehenden 19. Jahrhundert zum Kampftag der Arbeiterklasse. Die
gewalttätigen Auseinandersetzungen, die seitdem immer wieder diesen
symbolischen Tag prägten, können natürlich, zumindest in Deutschland, als
sinnentleertes Ritual gelesen werden. Ein Ritual zudem, dass man zum
Beispiel im befriedeten Berlin-Kreuzberg nicht vermisst.
Dabei wird aber gerne übersehen, dass nicht die sprichwörtliche brennende
Mülltonne dem Tag seine Bedeutung zu nehmen drohte, sondern die
ideologische Glättung aller Kanten und Widersprüche in der noch immer
kapitalistischen Gesellschaft. Ziemlich alt ist der Versuch, nicht nur den
Begriff der Klasse aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verbannen. Mit ihm
schwand auch die Wahrnehmung gänzlich verschiedener Interessen jener, die
Eigentum an Produktionsmitteln, Grund und Boden haben und denen, die ihre
Arbeitskraft noch immer verkaufen müssen, um wieder anderen Mieten zu
bezahlen. Der 1. Mai ist nicht der schlechteste Tag, um an diesen
grundsätzlichen Widerspruch zu erinnern.
Diese gegensätzlichen Interessen zu thematisieren, ob nun in Arbeitskämpfen
um Tarifbindungen oder Auseinandersetzungen mit Vermietern, hat viel mehr
den Geruch des Radikalen, als der Mythos des steinewerfenden
Krawalltouristen in Kreuzberg. So ist es gut, dass es auch mal ohne geht.
Nicht weniger begrüßenswert ist, dass an diesem 1. Mai [1][mit einer
Demonstration im Grunewald] allein durch den räumlichen Wechsel der Blick
auf das Wesentliche gerichtet wurde. Klar, „Wo eine Villa ist, ist auch ein
Weg“ ist als Parole verkürzt und plakativ. Wozu aber sind Demonstrationen
sonst da, wenn nicht, um Plakate hochzuhalten?
Es ist gut, dass am Vorabend des 1. Mai [2][eine weitere Demonstration im
Wedding] die Verbindung zwischen Aufwertungsinteressen im Stadtumbau und
repressiver Ordnungspolitik aufgezeigt wurde.
Gut auch, dass sich die Revolutionäre 1.-Mai-Demo schließlich nicht
schlicht und selbstverliebt mit Steinen im Gepäck musealisiert hat, sondern
eine klare verbale politische Kommunikation wenigstens versucht –
antikapitalistisch und mit dem positiven Bezug auf den Überlebenskampf der
kurdischen Bevölkerung in der Zange des syrischen Krieges auch noch
internationalistisch.
Gewiss, Radikalität hat sich schon immer, ob freiwillig oder erzwungen, in
physischer Konfrontation mit vermeintlicher oder tatsächlicher Macht
ausgedrückt, aber eben nicht nur. Der Versuch, die Tradition der
politischen Kommunikation unter freiem Himmel zu nutzen, ohne gleich
demonstrativ die unmittelbare Auseinandersetzung zu suchen, kann deshalb
für diesen 1. Mai in Berlin als gelungen angesehen werden.
2 May 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
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