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# taz.de -- Revolutionärer 1. Mai: Totgefeiert und auferstanden
> Der Revolutionäre 1. Mai in Kreuzberg ist nicht mehr zu retten. Im
> Grunewald findet der radikale Protest einen neuen Hotspot.
Bild: Fuck you, Kreuzberg!
Berlin taz | Mit lautem Wumms ist der Revolutionäre 1. Mai in Kreuzberg
beendet worden. Zu hören war er bereits am Nachmittag – auf dem Vorplatz
des S-Bahnhofs Grunewald. Mit dem ersten Technobeat vom vorfahrenden
Lautsprecher-Truck wurde deutlich, dass der radikale Protest zum Tag der
Arbeit einen neuen Hotspot gefunden hatte.
Statt einer satirischen Kleindemo formierte sich eine Menge, die – gut
gelaunt, tanzend, unvermummt und voller Ironie („Swimmingpool?
Arschbombe!“) – aber dennoch mit politischer Entschlossenheit den Tag für
sich besetzte. Der fortgesetzte Wumms, der stundenlang durch das
Villenviertel dröhnen sollte, hallt nach.
Von der [1][18-Uhr-Demo] ist dagegen nichts mehr zu hören. Zwar setzte auch
die sich am Oranienplatz lautstark mit Feuerwerksraketen in Bewegung,
verstummte aber schon kurz darauf. 45 Minuten ging es durch die Partyhölle,
ohne Raum für inhaltliche und aktionistische Akzente. Die Begleitmusik aus
Polizeisirenen und zerschellenden Flaschen blieb aus, die übliche
Bilanz-Pressekonferenz der Polizei am Tag danach fiel gleich ganz aus.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte wie selbstverständlich: „Die
Normalität in Berlin ist nicht Randale.“
Im 31. Jahr seines Bestehens scheint der Revolutionäre 1. Mai in Kreuzberg
– zumindest vorerst – so etwas wie sein Ende gefunden zu haben. Die großen
Ausschreitungen sind etwa seit 2010 passé, jetzt ist es auch der
Teilnehmerboom. Laut Polizei waren es 6.000 Demonstranten, 2014 war die
Zahl noch dreimal so hoch.
Der Block derjenigen, die ganz in Schwarz, teilweise vermummt, die Demo
anführten, bestand aus wenigen Dutzend Personen. Sie wirkten wie ein
Relikt, eine Erinnerung an vergangene Zeiten. Einzig der Block der
Kurdistan-Solidarität versprühte mit seinen gelb-rot-grünen Fahnen und
Afrin-Sprechchören noch einen Hauch von Lebendigkeit.
## Bitte die Party nicht stören
Der einst so stolzen Demo, die Wochen vor und nach dem 1. Mai die
Stadtdebatte prägen konnte, gelang es am Dienstag kaum noch, in der
Dreiviertelstunde ihres Bestehens Aufmerksamkeit zu erlangen. Nicht wenige
Kreuzberger Feiergäste am Rand tanzten mit der Demo im Rücken ungerührt
weiter, ohne den Blick von den DJs abzuwenden. Die Party-Touris wollen sich
nicht stören lassen – auch diese nicht mehr neue Erkenntnis hat viele Linke
den Ausweg Grunewald nehmen lassen.
Die Polizei hat ihr Deeskalationskonzept erkennbar perfektioniert: Beim Zug
der Demonstranten durchs MyFest war sie unsichtbar und auch danach wurde
auf ein begleitendes Spalier verzichtet. Die wenigen Beamten am Rand, etwa
vor den Eingängen zum Görlitzer Park, wirkten selbst auf die Hartgesottenen
kaum noch als Provokation. Erst als nach dem Endpunkt am Schlesischen Tor
die ersten Blöcke der Demo versuchten, wieder zurück Richtung MyFest zu
ziehen, sperrte die Polizei konsequent die Straße und erstickte den Versuch
im Keim.
Dass der Tag keine Niederlage für die politische Linke wurde, ist der Demo
im Grunewald zu verdanken. Etwa 3.000 Menschen, jung wie alt, fanden den
Weg hinaus ins „Problemviertel“. Satirisch ummantelt, war es ihnen dabei
ernst mit ihren gepinselten Forderungen: „Enteignungen – warum nicht?“ hi…
es da, oder auch: „Alles allen“. Die Musiker vom „The Incredible
Herrengedeck“ machten sich Gedanken darüber, wie Enteignungen wieder
positiv zu besetzen seien. Ihr Vorschlag: hippere Begriffe – „De-Ownership�…
etwa.
Es war kein Neid, der die Demonstranten durch die von Villen gesäumten
Alleen führte, wie manche Konservative nun raunen, sondern die urlinke
Forderung nach Gleichheit. Dass es inhaltlich vor allem um den Zugang zu
günstigem Wohnraum ging, ist den vorherrschenden Nöten der Zeit geschuldet.
Die antikapitalistische Stoßrichtung war dabei nicht weniger pointiert als
unter der schwarzen Kapuze in Kreuzberg. Für die kommenden Jahre sollte das
ein Beispiel geben: Raus aus Kreuzberg und den Ritualen, hinein in neue
Viertel und inhaltliche Auseinandersetzungen. Es gibt nichts zu verlieren.
(Außer die Ketten.)
2 May 2018
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## AUTOREN
Erik Peter
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