# taz.de -- Zukunft des Flughafens Kiel-Holtenau: Herzenssache Flughafen | |
> Fliegen oder wohnen? Am Sonntag stimmen die KielerInnen bei der | |
> Kommunalwahl über eine mögliche Neugestaltung des Verkehrslandesplatzes | |
> Holtenau ab. | |
Bild: Landeanflug auf Kiel-Holtenau: Kann sein, dass sich im Laderaum Organspen… | |
„So ein Organ zerfällt doch!“, sagt der junge Mann, der am Stand des | |
Bündnisses „Wir machen Stadt“ stehen geblieben ist und immer lauter wird, | |
je länger das Gespräch dauert: „Es kommt auf jede Minute an!“ | |
Der Flugbetrieb in Kiel-Holtenau scheint für diesen Mann unverzichtbar. | |
Eines der gewichtigsten Argumente betrifft die Organtransplantationen, die | |
im Kieler Universitätsklinikum stattfinden. Die Flieger von Euro-Transplant | |
landen zurzeit in Holtenau. | |
Als der Mann gegangen ist, hebt Lydia Rudow, die Sprecherin der Initiative | |
„Wir machen Stadt“ und Ratsfrau der Grünen im Kieler Stadtparlament, die | |
Schultern. „Es ist auf jeden Fall gut, dass es eine breite Diskussion um | |
Stadtentwicklung gibt“, sagt sie. | |
Entschieden wird die Diskussion am Sonntag der Kommunalwahl – dann können | |
die KielerInnen darüber abstimmen, ob die Landeshauptstadt einen | |
Flugzeug-Landeplatz braucht oder ob auf dem Gelände etwas Neues, etwa | |
Wohnungen, entstehen soll. Es ist, ganz buchstäblich, auch eine | |
Herzensfrage. | |
Während am Stand der Bürgerinitiative gestritten wird, liegt der Flugplatz | |
in nachmittäglicher Ruhe. Zwar dengelt in der benachbarten Flugzeugwerft | |
ein Werkzeug auf Metall, aber in der Gaststätte neben dem Tower stehen die | |
Stühle auf den Tischen, und über der Landebahn kreisen nur Möwen. | |
## Militärische Nutzung | |
Der Flugplatz im Stadtteil Holtenau entstand 1914 und wurde von Anfang an | |
auch militärisch genutzt, seit 1958 vom Marinefliegergeschwader 5 (MFG 5), | |
deren Maschinen von Kiel aus zu Seerettungseinsätzen aufbrachen. Die | |
Flieger zogen 2012 ab, auch der zivile Flugverkehr schwand. | |
Anfang des Jahrtausends gab es Pläne, die Landebahn für größere Maschinen | |
zu verlängern – ein Bürgerentscheid brachte das Aus für diese Erweiterung. | |
Das Land, das Mitbetreiber gewesen war, zog sich zurück. Die | |
Linienverbindungen wurden nach und nach eingestellt. | |
Seit 2006 gibt es keinen regulären Flugbetrieb mehr von oder nach Kiel. | |
Heute treffen sich hier Segel- und SportfliegerInnen, unter anderem von | |
einer studentischen Fluggruppe. Eine Charterfluggesellschaft und die | |
Flugzeugwerft haben hier ihren Sitz, zudem eine Firma, die Training zur | |
Sicherheit in der Luft und simulierte Zielflüge im Auftrag der Bundeswehr | |
anbietet. Rund 16.000 „Flugbewegungen“ gebe es im Jahr, sagt Alexander Eck | |
von der Pro-Flughafen-Initiative, die unter anderem von der IHK und vom DGB | |
unterstützt wird. | |
## Ideale Infrastruktur | |
Wie eine Schneise liegt der Platz mit seiner 1.300 Meter langen Start- und | |
Landebahn zwischen den Häusern am Nord-Ostsee-Kanal und den Kieler | |
Randbezirken. Das MFG-5-Gelände schließt sich an. Gemeinsam bilden sie eine | |
Fläche von 192 Hektar, von denen 100 Hektar auf den Flugplatz entfallen. | |
Lydia Rudow kommt ins Schwärmen, wenn sie den bunten Stadtteil skizziert, | |
der hier wachsen könnte: Gewerbeflächen nahe der bereits bestehenden | |
Umgehungsstraße, Wohngebäude auf der Seite, die zur Kieler Förde zeigt. | |
Das alte Militärgeschwader-Gelände, für das bisher eine gute Lösung fehlt, | |
ließe sich gemeinsam mit dem Flughafen entwickeln, sagt Rudow. Da der Stadt | |
das Flughafen-Land fast zur Gänze gehöre, könne sie selbst entscheiden, wie | |
viel sozialer Wohnraum dort entstehen soll. „In Kiel herrscht Bedarf an | |
bezahlbaren Wohnungen, und der wird in den kommenden Jahren noch steigen“, | |
sagt die Ratsfrau. | |
Wenn nicht in Holtenau gebaut werde, dann müssten Flächen in den | |
Außenbezirken erschlossen werden – teurer für die Stadt und wegen des | |
weiteren Weges in die Innenstadt weniger attraktiv als das | |
Flugplatz-Gelände mit seiner erhöhten Lage über der Kieler Förde. Sogar | |
Infrastruktur an Schulen, Läden und Straßen gibt es bereits durch die nahen | |
Stadtteile Friedrichsort und Pries. Die BefürworterInnen des | |
Bürgerentscheids plakatieren die Frage: „Wohnen für viele oder fliegen für | |
wenige?“ | |
## Der Flughafen als Standortvorteil | |
Pro-Flughafen-Sprecher Eck ärgert diese Frage: „Es wird ja nicht über | |
Wohnungen abgestimmt, sondern nur über den Flughafen.“ Der Platz sei gerade | |
für Wirtschaftsbetriebe ein wichtiger Teil der Infrastruktur: „Auch wenn | |
sie ihn vielleicht nicht ständig nutzen, ist ein Flughafen ein | |
Standortvorteil für Kiel.“ Wohnungen könnten überall geschaffen werden, es | |
müsse nicht auf diesem Gelände sein. | |
Auch die Mehrheit in der Ratsversammlung und die Stadtverwaltung mit | |
Bürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) an der Spitze kämpfen für den Erhalt des | |
Flughafens. Die Stadt plakatiert auch selbst, rund 50.000 Euro für | |
Werbemaßnahmen hat der Rat dafür bewilligt. | |
„Wir haben vielleicht ein Fünftel dieser Summe“, sagt Rudow. Das Bündnis | |
„Wir machen Stadt“ wird von Attac, von der Straßenzeitung Hempels, dem | |
Landesverband alleinerziehender Väter und Mütter, den Lokal-Initiativen | |
„Katzheide ja!“ und „Hansastraße 48“ sowie den Ortsvereinen der Grüne… | |
Linken und Piraten getragen. „Es ist sicher das Recht der Ratsmehrheit, für | |
eigene Projekte zu werben – aber hier fällt störend auf, dass die Stadt, | |
die als neutrale Instanz den Bürgerentscheid organisiert, sich mit ihrem | |
Wappen für eine Seite stark macht“, sagt Rudow. Sie wünscht sich eine | |
andere Regelung bei künftigen Bürgerentscheiden. | |
## Flugzeuge mit Organspenden | |
Oberbürgermeister Ulf Kämpfer möchte am liebsten „das Beste aus beiden | |
Welten“: neuen Wohnraum und Gewerbeflächen schaffen, aber auf den Flugplatz | |
nicht verzichten. „Wenn der einmal weg ist, kriegen wir ihn nicht wieder“, | |
sagte Kämpfer bei einer Podiumsdiskussion der Kieler Nachrichten. Bei der | |
gleichen Veranstaltung sprach sich Gewerkschafter Frank Hornschuh für den | |
Erhalt der 73 Arbeitsplätze rund um den Flughafenbetrieb aus. Die | |
Wirtschaft hofft auf eine weitere Ansiedlung von flugaffinen Betrieben – | |
es hat allerdings seit 2002 keine neuen Unternehmen rund um den Platz | |
gegeben. | |
62 Flugzeuge mit Organspenden sind im vergangenen Jahr in Holtenau | |
gelandet, berichten die Kieler Nachrichten und zitieren Felix Braun, den | |
Leiter der Transplantationsabteilung im Kieler Universitätsklinikum: „Wir | |
sind sehr dankbar, dass wir den Flughafen haben.“ | |
## Helikopter statt Flugzeuge? | |
Es sei schwierig, dagegen zu argumentieren, gibt Rudow zu: „Das Thema ist | |
so emotional.“ Aber die Initiative „Wir machen Stadt“ sieht die | |
Transplantationen nicht gefährdet, schließlich könnten Organe per | |
Hubschrauber von Hamburg oder Lübeck eingeflogen werden – direkt aufs Dach | |
des UKSH statt zur sieben Kilometer entfernten Landebahn. Alexander Eck | |
hält dagegen: „Fakt ist, so wie heute würden die Transporte nicht mehr | |
möglich sein.“ | |
Gegen den Transport per Hubschrauber spricht aus seiner Sicht, dass der | |
Hubschrauber nicht direkt in Lübeck stationiert und zu klein für | |
begleitendes ärztliches Personal ist. Rudow verweist auf ein neues | |
Transportsystem für Organe, das gerade erprobt wird. Dabei lässt eine Pumpe | |
das Blut in den entnommenen Lebern oder Herzen weiter zirkulieren, Zellen | |
sterben nicht so schnell ab. Mit diesem Verfahren würden die Zeitfenster | |
deutlich größer. | |
Wenige Tage vor dem Bürgerentscheid halten beide Seiten ihre Chancen für | |
recht gut. „Wir bekommen positive Rückmeldungen“, sagt Eck. Auch Rudow ist | |
optimistisch: „Wir haben die besseren Argumente.“ | |
3 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
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