| # taz.de -- 63. Eurovision Song Contest in Lissabon: Engtanz und Extensions | |
| > 26 Länder treten beim ESC in Lissabon an. Setzt sich Israels | |
| > Empowerment-Song durch oder Zyperns Feuerlied? Eine Orientierungshilfe. | |
| Bild: Viel Show, wenig dahinter: Melovin aus der Ukraine eröffnet das ESC-Fina… | |
| 1. Ukraine – Melovin: Under The Ladder. Hochartifizielle | |
| Materialschlachtnummer aus Kiew. Der Sänger beginnt seine Darbietung | |
| gefesselt und eingesargt, aber diese Bilder entwickeln sich zum | |
| Riesenklavier … Kurzum: „Unter der Leiter“ ist ein Konzeptlied, das auf | |
| Kunst hält. Top 22! | |
| 2. Spanien – Alfred y Alma: Tu canción. Ein junger Mann mit etwas bellender | |
| Stimme und eine junge Frau, Pop-Idols in ihrer Heimat, sehr nah | |
| beieinander, fast im Engtanz. Nicht enden wollend! Und tranig. Platz 15. | |
| 3. Slowenien – Lea Sirk: Hvala, ne! Schön, dass dieses Land nach vielen | |
| Jahren des Scheiterns ins Finale gelobt wurde. Ihr Lied ist eine mit | |
| Elektroästhetik aufgefönte Nummer, die außerdem in der Aussage lapidar und | |
| sehr knapp bleibt. Extrapunkte bitte für die lila-pink Frise: fesch. | |
| Übersetzt heißt der Titel im Übrigen: „Nein danke!“ Hinteres Drittel. | |
| 4. Litauen – Ieva Zaisimauskaité: When We’re Old. Ihr Liebeslied, bei dem | |
| sie auf der Bühnenbrücke ihren Geliebten trifft, ist von selig stimmendem | |
| Charme. Die Farbe ihres Kleids ist vielleicht eine Spur zu cremig, als dass | |
| man sie als Mitfavoritin handeln müsste – der Titel des schönsten | |
| Sängerinnennamens ist ihr trotzdem gewiss. Top 6. | |
| 5. Österreich – Cesár Sampson: Nobody But You. Fresher Soul eines in Linz | |
| gebürtigen und nun in der Stadt der Walzer & des Jazz lebenden Manns – | |
| Solidarität muss ihm zuteilwerden, die Nazis in seinem Land hassen ihn. Top | |
| 20! | |
| 6. Estland: Elina Netschejeva: La forza. Wer Oper hören will, soll in die | |
| Oper – insofern ist dieses Lied fehl am Platz. Andererseits ist sie | |
| wahnsinnig schön und singt auch so. Top 10 und besser. | |
| 7. Norwegen – Alexander Rybak: That’s How You Write A Song. Ein flottes, | |
| extrem eitles Lied – denn weshalb sollte das Publikum interessieren, wie | |
| der ESC-Sieger von 2009 („Fairytale“) Lieder schreibt? Einerlei: Er wird | |
| gut abschneiden – und in die Top 5 kommen. | |
| 8. Portugal – Cláudia Pascoal & Isaura: O jardim. Feinster ESC-Beitrag | |
| dieses Landes, besser als Vorjahressieger Salvador Sobral: Textlich ein | |
| Flehen um Liebe, musikalisch der minimalste Act jemals. Komponistin Isaura | |
| ist mit auf der Bühne. Letztes Fünftel! | |
| 9. Großbritannien – SuRie: Storm. Eines der wenigen schmissigen, | |
| sympathischen Lieder des Abends: Die Britin, die ein wenig an Annie Lennox | |
| erinnert, wird sich mit einem abgelegenen Platz begnügen müssen. Letzter | |
| Platz? | |
| 10. Serbien – Sanja Ilic: Nova Deca. Schwermütigkeit pur, sehr | |
| balkantraditionell: Im Mittelpunkt stehen einerseits Frauen, andererseits | |
| ein glatzköpfiger, gleichwohl vollbärtiger Unhold, der unentwegt wichtige | |
| Dinge zu raunen scheint. Weit hinten! | |
| 11. Deutschland – Michael Schulte: You Let Me Walk Alone. Ergreifendes, | |
| hymnisches Lied über den Tod seines Vaters – geschrieben, kurz nachdem der | |
| Mann aus Buxtehude erfuhr, selbst ein Kind zu bekommen. | |
| Rührungstränenalarm! Top 5! | |
| 12. Albanien – Eugent Bushpepa: Mall. Er, der den zweitschönsten Namen | |
| dieses ESC trägt, singt albanisch, was man von einem jungen Mann aus dem | |
| Land Enver Hodschas nicht erwarten durfte. Flotte, folkige drei Minuten, | |
| wobei der Sänger durch eine prima Stimme auffällt. Hinteres Mittelfeld. | |
| 13. Frankreich – Madame Monsieur: Mercy. Ein von Jean-Paul Gaultier | |
| geschmackvollst und edel eingekleidetes Paar singt aus der Perspektive | |
| eines Flüchtlingskindes, das „Mercy“ heißt und „Merci“ sagt, weil es … | |
| Flucht überlebt hat: Ob die Zuschauer und Juroren übel nehmen, dass das | |
| Chanson etwas zu überkandidelt klingt? Top 7! | |
| 14. Tschechien – Mikolas Josef: Lie To Me. Ein Schüler mit Ranzen, der in | |
| Halbschuhen keine Strümpfe trägt, dafür fein tanzt zu gelegentlich | |
| Sax-Gequieke. Ein Darling mit Matt-Damon-Memory-Brille und beglückendem | |
| Lächeln. Top 12! | |
| 15. Dänemark – Rasmussen: Higher Ground. Stampfiger Act, bei dem der Sänger | |
| auf der Bühne rumpelt, als sei er auf einem Wikingerschiff im Trockendock, | |
| um Martialität zu simulieren. Inzwischen ist ihm inszenatorisch sogar | |
| verordnet worden, die Augen mit Kajalstrichen zu umranden. Der | |
| Kunstbühnenschnee ist obendrein überfrachtend. | |
| 16. Australien – Jessica Mauboy: We Got Love. Pop-Act, der sich wie von | |
| John Farnham gewerkt anhört. Die Chanteuse trägt nach der für Zypern | |
| startenden Eleni die fettesten Extensions auf dem Kopf – und weiß sie zu | |
| schütteln und zu wedeln. Ihre Körperlichkeit wird über manche stimmliche | |
| Unwucht hinweghelfen. Sie kann live einfach am besten. Top 10! | |
| 17. Finnland – Saara Aalto: Monsters. Das Violett des Bühnenlichts ist | |
| gewöhnungsbedürftig, überhaupt ist dieses Lied sehr lärmend und tanzbar. | |
| Energische Finnin, die am Ende sogar sich auf ein Stage-diving einlässt. | |
| Mutig, das. Top 25! | |
| 18. Bulgarien – Equinox: Bones. Was ist nur aus Land des Kefirs, des | |
| Rosenöls und der Frauenchöre geworden? Verschwunden! Dafür dräuender Gesang | |
| wie aus der Gruft, knöchern, etwas sehr kalkuliert – die Künstler lächeln | |
| leider nie. Top 9! | |
| 19. Moldau: DoReDoS: My Lucky Day. Sechs Menschen, die eine ziemlich | |
| fröhliche Comedy-Geschichte im Geiste Molières (oder, je nach Perspektive, | |
| mit dem Spirit eines Schwanks) singen: Viele Türen öffnen und schließen | |
| sich, Menschen verschwinden dahinter und kommen durch sie wieder hervor. | |
| Lustig, schwungvoll und gutgelaunt sowieso: Das ist bei diesem ESC fast ein | |
| Alleinstellungsmerkmal. Top 8! | |
| 20. Schweden – Benjamin Ingrosso: Dance You Off. Der Spross einer | |
| Künstlerdynastie in seinem Land kann alles, was man können muss in seinem | |
| Gewerbe: Tanzen, singen und sogar die gewissen Gesten sind auf cool | |
| getrimmt. Trotzdem lässt dieses Ding kalt. Es ist wie beim Design aus | |
| Stockholm: Man guckt es an, bewundert Formvollendetheit und will es dennoch | |
| nicht in der Wohnung – es trüge zur Verfrostung der Laune bei. Top 9! | |
| 21. Ungarn – AWS: Viszlát Nyár. Noch nie hat eine Metalband gewonnen, noch | |
| nie war Ungarn so nah an seinem ersten ESC-Sieg. Das Lied auf Ungarisch | |
| winkt dem Sommer hinterher: Das ist auch in der Puszta noch zu früh. | |
| Aktuell sind sie gerade nach Wacken zum Festival eingeladen worden. Dieser | |
| ESC hat sich schon mal gelohnt für diese Jungs. Top 6! | |
| 22. Israel – Netta Barzilai: Toy. Das ESC-Statement zur #metoo-Debatte | |
| schlechthin. 20 Jahre nach Dana International will diese tolle | |
| Live-Performerin wieder einen israelischen Sieg nach Hause bringen. Eine | |
| Nummer, die die einen nervt, die anderen beglückt: Die Grinsekatzen als | |
| Bühnendeko – süß. Top 3! | |
| 23. Niederlande: Waylon: Outlaws In ’Em. Die professionellste | |
| Außenseiterinszenierung seit Langem, auch wenn es nicht nach Blood, Sweat & | |
| Tears wirklich klingt, sondern nach holländischem Bierbike. Der Sänger war | |
| schon mal Zweiter beim ESC, mit Ilse DeLange 2014. Er verkörpert ein | |
| Mosaiksteinchen in einem sehr rockig gewirkten ESC dieses Jahres. | |
| 24. Irland – Ryan O’Shaugnessy: Together. Das erste offen schwule | |
| Liebeslied beim ESC, das vom ESC-Sieger 1961, Jean-Claude Pascal mit „Nous | |
| les amoureux“, zählt nicht, denn es war auf Homos gemünzt, die mussten sich | |
| das aber denken. Der Ire kommt aus dem Land, das den Katholizismus zu | |
| zähmen weiß – auch wenn das Lied etwas zu heulsusig und cheesy ist. Top 21! | |
| 25. Zypern – Eleni Foureira: Fuego. Will die Israelin kein „Toy“ sein, wi… | |
| diese Griechin in Diensten Zyperns genau das. „Feuer“, so die Übersetzung, | |
| ist das beste ESC-Feuerlied seit Ireen Sheers ESC-Act von 1978. Als | |
| Spielzeug des Mannes würde Eleni ihm ihre Spielregeln diktieren. Liebling | |
| der Fans, Fummel des Abends, Extension-Alarm. Top 3! | |
| 26. Italien – Ermal Meta & Fabrizio Moro: Non mi avete fatto niente. | |
| Politisch, antireligionskriegorientiert, empört über den islamistischen | |
| Terror, drängeliger Sound – so muss ein Protestcanzone (deutsch: Ihr habt | |
| mir nichts getan) sein. Man möchte sofort die Welt besser machen und mit | |
| beiden einen heben gehen. Top 17! | |
| 12 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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