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# taz.de -- Eurovisão am Tejo, Folge 8: Lissabon ist das neue Amsterdam
> Arm und billig war gestern. Heute gibt es immer weniger bezahlbare
> Wohnungen, dafür umso mehr Bierbikes. Über Gentrifzierung in Lissabon.
Bild: Der Ausverkauf hat begonnen; sogar Madonna soll Probleme haben, ein Domiz…
Lissabon ist inzwischen eurovisionsgeschmückt. Aber [1][der ESC] fällt im
Stadtbild nicht weiter auf: Dafür ist diese Metropole zu groß. In Malmö vor
fünf Jahren sah das anders aus, aber die Hafenstadt gegenüber von
Kopenhagen hatte es auch nötig, sich der Eurovisionswelt als schmuckes,
hippes Ding zu zeigen: Eben doch ein deindustrialisiertes Drecksloch im
südschwedischen Irgendwo, nun ein Start-Up am Ausgang der Brücke zum
Kontinent.
Lissabon aber hat andere Sorgen. Wir sind noch im Mai, sagt eine
Caféhauswirtin, im Sommer ist es noch voller. Auf dem Rossio, dem
wichtigsten Platz, ist alles touristenüberschwemmt. Das Café Nicola, eine
der ersten Adressen an diesem Flanierstück, schon morgens um 8:30 Uhr –
vollbesetzt draußen. Bierbikes sieht man, die moderne Unsitte der
Junggesell*innenabschiede wird auch in Lissabon gelebt, nur jede*r Zweite
in der Innenstadt spricht Portugiesisch.
Man kann sagen: Lissabon ist eine Art Amsterdam der Jetztzeit. Die
niederländische Stadt ist durch Besucher*innen zum Disneythemenpark „Die
Stadt als cooler Ort mit schönen alten Bauten, durch Wasseradern getrennt“
geworden; die portugiesische Hauptstadt, noch vor Jahren sehr billig, sehr
ungepflegt, sehr unrenoviert, steht dieses Schicksal bevor.
Die alten Häuser auf den sieben Hügeln sind entweder verkauft oder stehen
zum Erwerb durch Immoiblienanleger parat. Grundstückspreise: wie in Paris,
nahe an den Tarifen Londons, nur unwesentlich finanzierbarer als Oslo und
Kopenhagen. Obendrein sind die Filetteile in Innenstadtlage weitgehend
verkauft, sogar Madonna, der US-Star, der sich in Lissabon europäisch
niederlassen will, soll Schwierigkeiten haben, eine passende, das heißt
standesgemäße Herberge zu finden.
Man hatte die Expo 1998, die neue Bauten brachte, man hat die Waterfront
bis zum Atlantik mit interessanten neuen Gebäuden – Museen etwa – bebauen
lassen: schick und fein, für alle offen. Der ESC trägt insofern aktuell nur
dazu bei, Lissabon auf die Landkarte der coolen Orte noch weiter zu
lancieren. 6.000 Menschen sind für diesen Musikwettbewerb angereist, was in
der Sprache des Stadtmarketings Influencer auf Mindestniveau sind.
## Ist das nicht alles putzig zwischen den Gassen?
Sie werden, wieder nach Hause gekommen, erzählen, wie schön das war am
Tejo, wie freundlich die Leute (oh, ja, das sind sie im Vergleich mit denen
in Kiew 2017, schon gar mit den Moskowiter*innen 2009 wirklich) sind. Und
ist das nicht alles putzig zwischen den Gassen, die sich die steilen Hügel
hinaufwinden, wobei man als Fußgänger nur auf die Straßenbahn Rücksicht
nehmen muss, die sich ebenso heraufächzt, die Waggons mit zu den Seiten
höchstens 90 Zentimenter Abstand?
Ja, das sind metropole Akzente, wie sie in den meisten anderen europäischen
Städten längst abgeschliffen wurden? Lissabon wird durch die Liebe der
Besucher*innen zu dieser Stadt zum Vergnügungspark, wo man mit Kulissen zu
tun hat, die wirklich sind, nicht nur nachgebaut für die Tourist*innen. Es
dauert vielleicht noch 15 Jahre – und die vergehen schnell, die
Stadtverwaltung von Amsterdam kann davon ein Lied singen –, dann ist
Lissabon durchgekärchert im metaphorischen Sinn.
Für den Schmutz auf den Straßen hat man kein Verständnis dann mehr.
Klassische Arme-Leute-Viertel wie am Hafen werden dann schmuck sein, und
das ist ja nicht nur schrecklich: Ohne finanzielle Aufwendungen wäre
Lissabon sonst vielleicht schon in sich zusammengefallen zu Trümmern.
P.S.: Donnerstagabend findet die zweite Vorrunde des ESC statt; 10 Acts
kommen ins Grand Final am Samstag, acht scheiden schon aus. Netta Barzilai
aus Israel ist keine unumschränkte Favoritin mehr, sie liegt bei den
Buchmachern auf dem dritten Rang.
10 May 2018
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## AUTOREN
Jan Feddersen
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