| # taz.de -- Israelische Sängerin Netta: Den ESC der Likes schon gewonnen | |
| > Der Song „Toy“ der israelischen Kandidatin Netta wird als Kommentar zur | |
| > MeToo-Debatte gedeutet – auch, weil sie darin wie ein Huhn gackert. | |
| Bild: Die Existenz feiern: Sängerin Netta | |
| BERLIN taz | „Kzat meschugaat“ heißt eines der Lieder von Netta, mit dem | |
| die Sängerin Zuschauer und Jury der Talentshow „HaKochav HaBa“ (Der nächs… | |
| Star) überzeugte. Dort wird seit einigen Jahren darüber entschieden, wer | |
| Israel beim European Song Contest vertreten darf. „Kzat meschugaat“ ist auf | |
| Hebräisch die weibliche Form von „ein bisschen verrückt“. Ein bisschen | |
| verrückt ist allerdings, dass Netta Barzilai, wie sie mit vollem Namen | |
| heißt, jetzt schon den ESC der Herzen und Likes gewonnen hat. [1][Das | |
| offizielle Video zu ihrem Beitrag „Toy“] war am Dienstagnachmittag auf | |
| YouTube bereits fast 20 Millionen Mal aufgerufen worden. | |
| Der ESC ist ein Wettbewerb der klassisch schönen Frauen und Jungs. Sieht | |
| man von Guildo Horn ab, den vor zwanzig Jahren die israelische Diva Dana | |
| International hinter sich ließ. Nun also schickt Israel eine junge Frau | |
| nach Lissabon, die sich ihre extravaganten Kleider von Designern schneidern | |
| lässt, weil es in ihrer Größe kaum coole Klamotten von der Stange gibt. | |
| Netta findet sich schön, wie sie ist: „Look at me, I’m a beautiful | |
| creature“ lautet die erste Zeile von „Toy“. Die so einfache wie klare | |
| Ansage des Refrains: „I’m not your toy. You stupid boy.“ Barbie habe was … | |
| sagen, singt sie außerdem ironisch, um später, in der einzigen hebräischen | |
| Zeile des Lieds, klarzumachen: „Ani lo buba.“ – „Ich bin keine Puppe.�… | |
| des Gesangswettbewerbs erkennen darin einen Verweis auf „Poupée de cire, | |
| poupée de son“, den Eurovisionsbeitrag von France Gall aus dem Jahr 1965. | |
| Er handelt von einer Sängerin, die Wachs in den Händen ihrer Produzenten | |
| ist, einer der vielen bösen Texte, die Serge Gainsbourg Frauen in den Mund | |
| legte. | |
| Am Anfang von „Toy“ gackert Netta wie ein Huhn. Das ist ein Verweis auf die | |
| Unsitte, Frauen als Hühner zu bezeichnen, aber auch auf männliche Feiglinge | |
| gemünzt. „Toy“ wird daher als Kommentar zur MeToo-Debatte gelesen. Aber | |
| Netta beharrt in Interviews darauf, dass ihr Song alle ansprechen soll, die | |
| den gesellschaftlichen Standards nicht entsprechen und deswegen schlecht | |
| behandelt werden. Ihr gehe es darum, Diversität zu zelebrieren, wiederholt | |
| sie unermüdlich. „Wir sind nur eine Minute hier, wir sollten unsere | |
| Existenz feiern.“ | |
| ## In der Marine-Band | |
| Barzilai wurde am 22. Januar 1993 in Hod HaSharon, einem Vorort von Tel | |
| Aviv, geboren, wo sie immer noch lebt. Als sie klein war, lebte die Familie | |
| vier Jahre lang in Nigeria. Ihren Militärdienst leistete sie in der Band | |
| der Marine, aus der schon die ersten israelischen Popstars der Sechziger | |
| hervorgingen. | |
| Diversität propagiert nicht nur ihr knallbunter Bekleidungsstil, sondern | |
| zeigt sich auch in ihrer Musik. Nettas Sound ist eine wilde Mischung aus | |
| zeitgenössischem asiatischem Pop und elektronischer Tanzmusik. Bei ihren | |
| Auftritten bei „HaKochav HaBa“ zeigte Netta, dass sie ein voluminöses | |
| Stimmorgan hat, aber auch, wie perfekt sie mit dem Looper spielt. | |
| Mittels dieser Box stapelt Netta live gesungene Zeilen und rhythmische | |
| Geräusche übereinander. Sie versteht es außerdem bestens, Mash-ups aus | |
| verschiedenen Songs zu basteln. Ob Netta den Looper in Lissabon benutzen | |
| darf, war bis zuletzt unklar. | |
| Pop aus Israel hat eine politische Dimension, weil er aus Israel kommt. Die | |
| Tatsache, dass Tel Avivs schwule Partykultur im City Marketing eine | |
| wesentliche Rolle spielt, wird Israel und seiner queeren Gemeinde seit | |
| vielen Jahren von linken Gruppen zum Vorwurf gemacht: Das sei | |
| „Pinkwashing“, mit dem das wegen der Besatzung schlechte Image des Landes | |
| aufpoliert werden solle. Warum man einer Gesellschaft zum Vorwurf macht, | |
| dass sie ihre Minderheiten nicht unterdrückt, bleibt das Geheimnis der | |
| Kritiker. Davon abgesehen, dass man in den Nachbarstaaten, aber auch im | |
| Westjordanland und im Gazastreifen, besser nicht als schwul oder lesbisch | |
| geoutet wird. Einer der Komponisten von „Toy“, Doron Medalie, hat die | |
| schwule Tel-Aviv-Hymne „Tel Aviv Ya Habibi“ geschrieben. So hat man nicht | |
| lange darauf warten müssen, bis die bisweilen auch antisemitisch | |
| argumentierende BDS-Bewegung die Europäer aufrief, Netta Barzilai beim | |
| Televoting null Punkte zu geben. Die absurdeste Begründung des | |
| Boykottaufrufs lautete, Nettas Botschaft der Selbstermächtigung richte sich | |
| nicht an die Frauen in Gaza, als sei die fehlende Ermächtigung von Frauen | |
| im Gazastreifen nicht Folge der Politik der dort regierenden islamistischen | |
| Hamas. | |
| ## Fans in Marokko und Jemen | |
| Israelische Popexporte wie die Frauenband A-Wa sind häufig Anlass für | |
| begeisterte Kommentare arabischer Hörer, die sich von der Propaganda in | |
| ihren Ländern anscheinend wenig beeindrucken lassen, vielleicht weil man | |
| den eigenen korrupten Regimen generell nicht mehr zu glauben bereit ist. | |
| Bei A-Wa ist das insofern wenig verwunderlich, als die drei aus einer | |
| jemenitischen Familie stammenden Schwestern traditionelle Melodien mit | |
| elektronischen Sounds und modernen Beats verbinden und auf Arabisch singen. | |
| Als das israelische Außenministerium den ESC-Clip Nettas auf seiner | |
| arabischsprachigen Facebookseite postete, die eineinhalb Millionen | |
| Abonnenten hat, zeigte sich ein ähnliches Bild. Die Stimme Nettas und die | |
| arabeske Melodie des Refrains, typisch für den orientalischen | |
| Misrachi-Sound des israelischen Pops, kam bei vielen Kommentatoren, | |
| darunter viele Frauen, aus Marokko, Saudi-Arabien oder Jemen, gut an, wie | |
| die israelische Ha’aretz berichtete. Als ein Mitarbeiter des irakischen | |
| Innenministeriums namens Achmed der Sängerin Glück wünschte, meldete sich | |
| ein anderer Achmed aus Ägypten zu Wort: „Du bist Moslem, aber deine Gefühle | |
| sind jüdisch. Du verdienst den Namen Achmed nicht.“ Der irakische Achmed | |
| gab zurück: „Was hat die Religionszugehörigkeit mit Musik und | |
| Gesangswettbewerben zu tun?“ | |
| 8 May 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=CziHrYYSyPc | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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