# taz.de -- Kommentar Trinken auf der Straße: Gassi gehen | |
> Gastronomen auf St. Pauli fordern von der Hamburger Politik, sie möge den | |
> Kiosken Einhalt gebieten. Sie tun nur so, als ob sie den Kiez retten | |
> wollten. | |
Bild: Cornern auf St. Pauli: An warmen Tagen sitzen Trinkwillige auf der Kreuzu… | |
HAMBURG taz | Der Staat soll’s mal wieder richten. Gastronomen auf St. | |
Pauli fordern von der Hamburger Politik, [1][sie möge dem Kiosk-Unwesen | |
Einhalt gebieten]. Die, so die Erzählung der richtigen Gastronomen, machten | |
ihnen das Geschäft kaputt, indem sie billigen Alkohol verkauften. Und die | |
Käufer ließen das, was nach Stoffwechsel davon übrig bleibt, dann auch noch | |
in ihren Kneipen die Rinne runterlaufen. Unerhört! | |
Ist doch klar, was man dagegen machen kann: Kiosken einfach den | |
Alkoholverkauf verbieten oder ihn wenigstens so verteuern, dass er nicht | |
mehr lukrativ erscheint. In der Weltwirtschaft würde man so was | |
Protektionismus nennen. Doch die Kiezwirte geben vor, für die gute Sache zu | |
kämpfen. Hier geht es selbstverständlich nicht nur um den schnöden Umsatz, | |
sondern um St. Pauli, wie „wir“ es kennen und lieben, also nachgerade um | |
ein Kulturgut, dessen Rang anzuzweifeln in Hamburg in die Nähe der | |
Gotteslästerung kommt. | |
Dass dieses St. Pauli, das die Wirte zu verteidigen vorgeben, eine | |
klitzekleine Momentaufnahme ist, unterschlagen sie gern: Es ist das St. | |
Pauli, das in den vergangenen 30 Jahren durchkapitalisiert wurde wie kein | |
anderer Hamburger Stadtteil, in dem die meisten alten Pinten längst | |
aufgegeben haben. Und zwar häufig unter dem Druck von Mieten, die ihnen | |
unter anderem jene selbst ernannten „Szene“-Gastronomen eingebrockt haben, | |
die jetzt am lautesten schreien. | |
Sie würden das Rad der Geschichte nun gern an dem Punkt anhalten, der für | |
sie persönlich am profitabelsten war. Eine Mischung aus Freilichtmuseum und | |
Freizeitpark, in der einst legendäre Spelunken mittlerweile nur noch als | |
Kitschzitat ihrer selbst weiter existieren und die Kulisse bilden für die | |
ganze restliche Event-Gastronomie. Und dann kommen diese Kioske und | |
verramschen einfach den Alkohol. Doof. | |
## Das Flair nervt irgendwann doch | |
Die Wirte haben Verbündete. Anwohner klagen über die vielen Menschen, die | |
jedes Wochenende auf der Straße rumlungern, Alkohol trinken und laut sind. | |
Nicht wenige dieser Anwohner sind der Empfehlung der Zeitschrift Capital | |
gefolgt, die Ende der Achtzigerjahre St. Pauli als renditeträchtigsten | |
Stadtteil in ganz Deutschland ausgemacht hatte, und haben | |
Eigentumswohnungen gekauft. Und sie alle sind bewusst in ein | |
„Amüsierviertel“ gezogen, wegen des Flairs, des Lebens auf den Straßen. | |
Aber nach ein paar Jahren finden Viele, nun sei Schluss mit lustig. | |
Anwohner in St. Georg, dem anderen Hamburger Amüsierviertel, wo sich vor | |
allem schwule Männer und die Kunden von Elendsprostitution gern amüsieren, | |
sind schon einen Schritt weiter: Die Stadt prüft gerade die rechtlichen | |
Möglichkeiten, den Alkoholverkauf dort rund um den Hansaplatz temporär zu | |
verbieten. Natürlich nur für Kioske, nicht für Kneipen. Denn dort stört | |
bislang noch kein fröhliches Partyvolk, sondern Alkoholkranke. Sie können | |
sich ganz sicher kein Bier aus der Kneipe holen. Und wenn sie zu Hause | |
weiter tränken, vor dem Supermarkt oder unter „ihrer“ Brücke – wäre da… | |
nicht alles gut? | |
## Am Ende haben die jungen Leute woanders Spaß | |
Wenn das Alkoholverkaufsverbot in St. Georg kommt, ist der Weg nach St. | |
Pauli nicht mehr weit. Das würde dann zum Amüsierviertel für jene, die | |
sich’s leisten können. Denn die alten Eckkneipen, wo das Astra Einsachtzig | |
kostet, sind ja längst weg. Irgendwann gibt es da dann, zwischen den | |
Bürokomplexen, nur noch Filialisten im Ballermann-Stil und ein paar | |
Show-Schuppen, für die Busladungen aus der ganzen Republik. Und die jungen | |
Leute haben ihren Spaß eben woanders. Das nennt man dann Stadtentwicklung. | |
Es ist aber auch nicht so, dass der Staat gar nichts tun könnte. Die Stadt | |
Hamburg hat in den vergangenen Jahrzehnten überall Toilettenhäuschen | |
stillgelegt, umgenutzt oder verkauft. An den Party-Hotspots könnte sie | |
vielleicht das eine oder andere Pissoir wieder aufstellen. Damit wäre schon | |
mal ein Konflikt mit der Anwohnerschaft entschärft. Und die Wirte müssten | |
ihre Toiletten auch nicht mehr gegen ganz so viele Fremdpinkler | |
verteidigen. Wenigstens das. | |
Den ganzen Schwerpunkt der taz nord über den Kampf um die Kioske in Hamburg | |
lesen Sie in der taz am Wochenende im gut sortierten Zeitungshandel oder am | |
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20 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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