# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Bierkampf auf St. Pauli | |
> St. Paulis Clubbetreiber wollen den Kiosken ab 22 Uhr den Bier-Verkauf | |
> verbieten, um Publikum zurück zu gewinnen Offenbar haben sie über das | |
> Bier hinaus nichts zu bieten. | |
Bild: Gegen das Kiosk-Trinken demonstrierten am Samstag Wirte, Clubbesitzer und… | |
Irgendwann, im letzten Jahr, glaube ich, habe ich mich mal zum Trend des | |
Cornerns geäußert. Es ist eigentlich nichts anderes, als ein | |
Vor-dem-Kiosk-Rumhängen. Aber irgendwie ist es doch was anderes, weil es | |
eben Cornern heißt. Weil es nicht jeder beliebige Kiosk sein darf. | |
In Hamburg-Wandsbek, zum Beispiel, da wird nicht gecornert. Die Leute, die | |
vor dem Penny rumhängen, mit einer Dose Bier in der Hand, die würden mich | |
auslachen, wenn ich sie fragte, ob sie cornern täten, sie cornern nicht, | |
sie hängen mit einer Dose Bier vor dem Penny rum. | |
Wenn man das Wesen des Cornern erfassen wollte, dann müsste man sauber die | |
Unterschiede zwischen der Tätigkeit dieser Leute und der Leute, die am | |
Grünen Jäger nahe des Schanzenviertels mit dem Bier in der Hand vor dem | |
Kiosk herumhängen, herausarbeiten. | |
Die Leute am Grünen Jäger ähneln einander in modischer Hinsicht, sie haben | |
ähnliche Haarschnitte, Bärte, Hosen, Mützen, Handys. Sie haben das Geld, | |
sich diese Haarschnitte, Bärte, Hosen, Mützen und Handys zu kaufen. | |
Die Leute vor dem Penny an der Wandsbeker Chaussee, tragen alte Sachen auf. | |
Sie telefonieren nicht mit dem Handy, sie machen auch keine | |
Streetfotografie und keine Selfies. Möglicherweise haben sie keine Handys. | |
Das sind die Unterschiede. Sie unterscheiden sich in ihrer Eigenschaft als | |
Konsument und in modischer Hinsicht. | |
## Gemeinsame Codes | |
Gemeinsamkeit ist, zum Beispiel, sie pullern in die Ecke. Gegen die Leute | |
vor dem Penny sagt keiner was, weil es sie schon immer gegeben hat. Sie | |
sind meistens zu fünft oder zu viert, manchmal sind es sieben, aber mehr | |
werden es nicht, weil immer mal wieder einer wegbleibt. Sie finden sich | |
schon seit vielen Jahren vor den Lidls und Pennys und Aldis dieser Stadt | |
zusammen, um Bier zu trinken. | |
Manchmal hauen sie sich und manchmal halten sie sich lange Vorträge. | |
Manchmal schreien sie rum und manchmal sind sie still und in sich gekehrt. | |
Sie sind, an sich, als Gruppe, interessanter als die große Gruppe der Leute | |
am Grünen Jäger, als die Leute, die cornern. | |
Die Leute, die cornern, sind viel mehr. Sie kennen sich nicht alle, aber | |
sie sind einem Haufen gemeinsamer Codes unterworfen, modisch und als | |
Konsument. Sie tragen das richtige Handy bei sich, sie trinken das richtige | |
Bier, die richtige Jeans und sie sagen die richtigen Sätze. Sie sind nicht | |
exaltiert und gehen nicht so aus sich heraus, wie die Penny-Menschen, | |
außer, sie sind total besoffen. | |
## Eine wunderbare Vorstellung von Protest | |
Sie sind mehr wie Ameisen. Sie sind Teil einer großen Bewegung, die sich | |
entschieden hat, lieber auf der Straße zu stehen, als im Club zu tanzen. | |
Das ärgert nun die Clubbesitzer, weil sie ihr teureres Bier nicht mehr | |
verkaufen können, stattdessen aber ihre Toiletten zur Verfügung stellen | |
sollen. Und daraus ergibt sich dann eine wunderbare Vorstellung von | |
Protest. | |
Die Clubbesitzer wollen die Trinker wieder zurück. Sie wollen sie nicht | |
etwa mit ihren guten Angeboten zurücklocken, nein, sie wollen vielmehr das | |
Cornern abschaffen, in dem sie den Kiosken das Bierverkaufen ab 22 Uhr | |
verbieten wollen. Ab 22 Uhr geht das Trinken ja erst richtig los und | |
Trinken müssen die Leute, da gibt es keine Alternative. | |
Es gab also eine Demonstration in Hamburg, die kein geringeres Ziel hatte, | |
als St. Pauli zu retten. Retterinitiativen sind in Hamburg momentan sehr | |
beliebt. Wer wollte nicht irgendwas oder irgendwen retten? Bedroht ist | |
nicht etwa das Geschäft der Clubbetreiber, wie man vielleicht meinen | |
könnte, sondern die kulturelle Vielfalt, wie der Demo-Mitorganisator, Axel | |
Strehlitz, das ausdrückt. Man müsste nur den Kiosken das Bier wegnehmen, | |
dann würden die Corner-Menschen wieder ihr Bier im Club kaufen, und St. | |
Pauli wäre gerettet, die kulturelle Vielfalt auch. | |
Über das Bier hinaus haben die Clubs von St. Pauli, die Bars und Kneipen, | |
offensichtlich nichts zu bieten, was es den Leuten wert wäre. Nehmt den | |
Kiosken das Bier weg, dann strömt das Publikum zurück, und alles wird gut. | |
Und es wird auch nicht mehr gepinkelt und gekotzt auf dem Kiez, weil ja | |
alle diese Einrichtungen Toiletten haben. So muss es sein. | |
28 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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