# taz.de -- Roman von Lola Shoneyin: Die Universalität der Gefühle | |
> „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ erzählt von Polygamie in | |
> der nigerianischen Yoruba-Kultur. Das lesen besonders Deutsche und | |
> Italiener gern. | |
Bild: Will vor allem für ein afrikanisches Publikum schreiben: die nigerianisc… | |
Lola Shoneyin sitzt in der Lobby in einem schicken Hotel in Ikeja, einem | |
der besseren Viertel der Millionenmetropole Lagos. An den Decken der Bar | |
hängen schwere Leuchter. Es gibt Cappuccino mit frischer Milch. | |
Gegensätzlicher könnte das Setting zu ihrem Roman nicht sein. Der spielt | |
zwar auch im Südwesten Nigerias, wo die Yoruba die dominierende ethnische | |
Gruppe sind. Doch beim Lesen spürt man die Enge des Haushalts, in den eine | |
vierte, jüngere und besser gebildete Frau einzieht. | |
In Nigeria und vielen weiteren Regionen Afrikas ist es bis heute Realität: | |
Viele Familien leben polygam, was religiös, aber auch kulturell und | |
traditionell begründet wird. Männer heiraten bis zu vier Frauen, die mal in | |
einem Haus, mal auf derselben Hofstelle, aber auch in verschiedenen | |
Stadtteilen oder sogar anderen Städten leben. Während Männer oft und gerne | |
über ihre großen Familien und die Anzahl ihrer Frauen und Kinder sprechen, | |
schweigen die Frauen meist. Keine sagt von sich aus, dass sie Zweit- oder | |
Drittfrau ist, was zwar Alltag ist, meist aber wie ein Makel klingt. | |
## Wettbewerb der Frauen | |
„Nirgendwo auf der Welt gibt es eine einzige Frau, die ihren Ehemann gerne | |
teilen würde“, sagt Lola Shoneyin. Die Nigerianerin, die bereits als | |
Sechsjährige im schottischen Edinburgh ein Internat besuchte, heute | |
Kinderbücher und Gedichte schreibt und einige Jahre als Lehrerin arbeitete, | |
hat ihren ersten Roman 2010 veröffentlicht. Sie erzählt in „Die geheimen | |
Leben der Frauen des Baba Segi“ aus Sicht von vier Ehefrauen über | |
Polygamie. Der Roman ist mittlerweile in zwölf Sprachen erschienen und sei, | |
so Shoneyin, in Deutschland und Italien am erfolgreichsten. Damit | |
funktioniert ein Thema, das in Europa fremd erscheint und mit zahlreichen | |
Klischees belegt ist, vor allem in der Diaspora. | |
Neid und Misstrauen der übrigen drei Frauen sind allgegenwärtig. Doch | |
gleichzeitig sind die Protagonistinnen einfallsreich, alles andere als | |
passiv und keinesfalls in einer Opferrolle. Der Roman ist in Europa und den | |
USA auch deshalb erfolgreich, weil er einen Einblick in das Unbekannte | |
bietet. Lola Shoneyin hat eine weitere Erklärung. „Es geht um die | |
Universalität der Gefühle von Menschen. Leser finden einen Verbindung zu | |
dem Buch, auch wenn es aus einer komplett anderen Kultur stammen.“ | |
Dass ihr Buch ausgerechnet in Italien so populär ist, könnte noch einen | |
weiteren Grund haben. „Man kennt die Stereotype der italienischen Männer. | |
Ich frage mich manchmal, ob die Leserinnen eine Parallele zwischen ihren | |
Leben und denen einiger Charaktere sehen können.“ Frauen könnten eine | |
Verbindung zu dem Wettbewerb herstellen, in dem sie sich selbst befinden. | |
Besondere Erklärungen braucht das Buch allerdings nicht, wenn das Publikum | |
in Europa und den USA lebt; schließlich ist auch Nigerias Lesepublikum | |
keineswegs homogen. „Es wird häufig vergessen, dass es allein in Nigeria | |
etwa 300 Sprachen gibt. Mein Buch ist sehr Yoruba. Einige kleine | |
Extrainformationen, die ich für die nicht-afrikanischen Leser benötige, | |
benötige ich vielleicht sogar für die Leser, die keine Yoruba sind“, | |
erklärt die 44-Jährige, die zwar auf Englisch schreibt, aber auf Yoruba | |
denkt. Eine Herausforderung seien Sprichwörter, die in Übersetzungen nicht | |
immer funktionieren. Doch auch das betreffe jeden Leser, der Yoruba nicht | |
als Muttersprache spricht. | |
„Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ ist in Nigeria von Cassava | |
Republic verlegt worden. Damals war das Verlagshaus von Bibi Bakare-Yusuf | |
erst vier Jahre alt und machte mit dem Verlegen von jungen und teilweise | |
noch unbekannten afrikanischen Autoren auf sich aufmerksam. Die | |
nigerianische Literaturszene mit ihrer langen Tradition und weltweit | |
anerkannten Schriftstellern wie Wole Soyinka und Chinua Achebe war | |
plötzlich zurück und rückte wieder mehr in die Öffentlichkeit. Für Lola | |
Shoneyin sei es dennoch wichtig gewesen, einen weiteren Verleger in den USA | |
zu haben. „Es ist ein schöner Bonus und wundervoll, wenn Geschichten reisen | |
können. Es fühlt sich großartig an, wenn das Buch anderswo auf der Welt | |
erscheint.“ | |
Shoneyin erinnert sich an Lesungen in Deutschland, die alle gut besucht | |
waren, und an das Literaturfestival im italienischen Mantua, an dem sie | |
2012 teilnahm. „Wir sprachen über das Buch, über Polygamie und warum diese | |
bis heute populär ist. Ich hatte alle Begründungen dafür in meinem Kopf. | |
Als ich in das Publikum schaute, merkte ich: Dort gab es nicht ein einziges | |
schwarzes Gesicht. Manchmal ist das so in Europa. Ich spürte, dass ich eine | |
Plattform schaffen muss, mithilfe derer ich über solche Dinge mit | |
Afrikanern, mit Nigerianern sprechen kann.“ | |
Lola Shoneyin gründete das Aké Arts and Book Festival in Abeokuta, das 2017 | |
zum fünften Mal stattgefunden hat. Unter den Gästen sind Nigerias | |
bekannteste Autoren, viele Schriftstellerinnen, viele von ihnen | |
Feministinnen. Jedes Jahr steht die fünftägige Veranstaltung unter einem | |
speziellen Thema. Sie ist keine Verkaufsveranstaltung, sondern ein | |
Diskussionsforum für Gesellschaftsthemen. | |
## Das Denken befreien | |
Lola Shoneyin sagt heute, dass sie primär für ein afrikanisches Publikum | |
schreibt: „Es ist wertvoller für mich, wenn ich weiß, dass andere Afrikaner | |
mein Buch gelesen haben.“ Dennoch kann das Publikum gleichermaßen | |
international sein, da es schließlich auch aus Ghanaern, Südafrikanern und | |
Simbabwern bestehen könnte. „Der Grund dafür ist auch, dass ich nicht immer | |
entspannt bin, wenn ich Festivals außerhalb des Kontinents besuche.“ | |
Allerdings gibt es noch einen weiteren. Festivals eignen sich durchaus zum | |
Üben von Gesellschaftskritik. „Wenn wir kritisch sein wollen, dann müssen | |
wir das auch auf dem Kontinent tun. Wir müssen andere Afrikaner ansprechen | |
und sagen: Das ist der Grund, weshalb Dinge nicht funktionieren und wir | |
zurückgeworfen werden.“ Solche Plattformen seien für Autoren und Leser | |
gleichermaßen befreiend, da sie einen Kontakt zwischen beiden herstellen. | |
Das trifft auch auf die Themenwahl zu. Lola Shoneyin ist überzeugt, dass | |
Autoren einen Einfluss darauf haben, wie Menschen denken, etwa dann, wenn | |
sie über Homosexualität schreiben. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind | |
in fast allen Ländern auf dem Kontinent verboten. | |
In Nigeria wird besonders laut gehetzt, und mit dem sogenannten | |
Anti-Gay-Law wurde ab 2014 die Gefängnisstrafe für all jene, die in | |
gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, auf bis zu 14 Jahre erhöht. | |
„Gespräche darüber in einem sicheren Rahmen sind wirklich wichtig für viele | |
Menschen.“ Dazu gehöre, dass Autoren schreiben, wie es sich für Kinder | |
anfühlt, wenn sie schwul oder lesbisch sind. „Viele Menschen denken darüber | |
gar nicht nach.“ | |
Allerdings gibt es bis heute nur wenige Verlage in Afrika, die solche | |
Bücher auch verlegen. Dabei hatte gerade Nigeria bis in die 1980er Jahre | |
eine lange Tradition von Verlagshäusern, die während verschiedener | |
Rezessionen allerdings nach und nach aufgeben mussten oder seitdem nur noch | |
Schulbücher verlegen. Mittlerweile gibt es allerdings einige erfolgreiche | |
Neugründungen. Neben Cassava Republic ist Farafina bekannt, die beide in | |
den 2000er Jahren gegründet wurden. Etwas später folgte Parrésia. Seit 2016 | |
gibt es den Verlag Ouida Books, in dem gerade die ersten sechs Bücher | |
erschienen sind. | |
Ouida Books ist der neue Verlag von Lola Shoneyin, der künftig neben | |
Romanen auch Kinderbücher verlegen wird. Sie sind noch seltener zu finden | |
„Auch ich bin ein Kind westlicher Literatur. Viele Jahre lang waren sie | |
die einzigen Bücher, die ich gelesen habe“, erinnert sich Lola Shoneyin. | |
Ihr neuer Verlag könnte das künftig ändern. | |
25 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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