# taz.de -- Medium zur internationalen Solidarität: Blätter, die die Welt bel… | |
> 284.195 Dokumente lagern in einem Freiburger Hinterhaus: Das Archiv des | |
> „IZ3W“ ist ein Geschichtsbuch linker Soli-Bewegungen. | |
Bild: Der Archivar und sein Reich: Christian Neven-Du Mont | |
FREIBURG taz | Sie haben sie alle. „Afrika kämpft“ zum Beispiel, das | |
Blättchen des einstigen Afrika Komitee Heidelberg, „Revolutionäres Afrika�… | |
den „Khmer Report“, den „Tropenlandwirt“. Bis unter das Dach ist das die | |
Kronenstraße 16a, ein Hinterhaus, mitten in Freiburg, gefüllt mit solcher | |
Art Literatur. Das Informationszentrum 3. Welt (IZ3W) ist die | |
Nationalbibliothek der Solidaritätsbewegung. Und es ist auch ein Museum der | |
70er und 80er Jahre, als der Kampf für die Befreiung der unterdrückten | |
Völker Hochkonjunktur hatte. Wie erfolgreich die Kämpfer waren, ist | |
Ansichtssache. Aber fest steht: Wenig geschrieben haben sie nicht. | |
50 Jahre alt wird das IZ3W in diesen Tagen. Und genauso lange sammelt es | |
jedes Flugblatt, jede Broschüre, jede Zeitung, die von der Szene | |
herausgegeben wird. „Die Revolution war von Anfang an ein wesentlicher | |
Bestandteil von 1968“, sagt Christian Neven-Du Mont, der das Archiv seit | |
über vier Jahrzehnten verwaltet. „Wir haben ja alle geglaubt, mit der | |
Revolution, das ist eine Sache von fünf bis zehn Jahren. Dann kommt sie.“ | |
Für viele war klar, woher sie kommen würde: aus dem globalen Süden. Das | |
Problem war: Über diesen war wenig bekannt. „Man kann sich heute kaum mehr | |
vorstellen, wie dilettantisch die Berichterstattung war“, sagt Neven-Du | |
Mont. „Ob es deswegen Hunger gibt, weil nicht für alle genug Essen da ist – | |
so etwas wurde breit diskutiert.“ | |
Also sammelten die Aktivisten 2.000 unterschiedliche Zeitschriften, manche | |
nur einmal erschienen, von anderen Ausgaben ganzer Jahrzehnte, bis heute. | |
200 bis 300 gebe es nur in ihrem Archiv, sagt Dumont. Einst hat er | |
Geschichte studiert, doch schon in den 70ern fing er im IZ3W-Achiv an. Es | |
ist sein Haupterwerb, seit rund 40 Jahren. 284.195 Dokumente mit | |
Inhaltsangabe gibt es im elektronischen Verzeichnis. Einzelne Artikel, | |
Buchbeiträge, Broschüren, Flugblätter. Über eine halbe Million Dokument | |
insgesamt, die meisten noch nicht verschlagwortet. „Die noch alle zu | |
erfassen, das möchte ich mir gar nicht vorstellen, bis dahin bin ich längst | |
tot“, sagt-Du Mont. | |
Die Mühe lohnte sich. 2007 kam der namibische Historiker Bennet Kangumu | |
nach Freiburg. Er forschte zur Geschichte der SWAPO. Im IZ3W entdeckte er | |
ein Plakat mit einem Porträt des SWAPO-Führers Brendan Simbwaye. Den hatte | |
1964 Südafrika ins Gefängnis gesteckt. Er ist nie wieder aufgetaucht. In | |
Namibia gab es kein Porträt mehr von ihm. Das 1970 in Daressalam gedruckte | |
Plakat aber hatte in Freiburg überlebt. Heute wird es in Basel verwahrt. | |
Das Problem gab es in vielen Ländern mit repressivem Regimen, sagt Du Mont. | |
Aus Angst vor Verfolgung sei vieles vernichtet oder so gründlich versteckt | |
worden, dass es später keiner mehr finden konnte. Nur im Exil konnten | |
manche Schriften aufbewahrt werden. | |
## Als Mugabe im Bett des Solibewegten schlief | |
Natürlich, sagt Du Mont, habe es immer den Vorwurf gegeben, „dass wir | |
Befreiungsbewegungen glorifizieren“. Und tatsächlich habe man sich manchmal | |
dann die Frage gestellt, auf welcher Seite man eigentlich stand, „wenn | |
Konflikte auftraten, die nicht zu leugnen waren“. | |
Horst Pöttker erinnert sich an solche Fälle. 1971 war er der erste | |
hauptamtliche Redakteur der Blätter des IZ3W. Der spätere Diktator | |
Simbabwes, Robert Mugabe, durfte damals bei einer Vortragsreise in seinem | |
Bett übernachten, erinnert er sich. | |
Sein Ressort der Blätter trug den Namen „Medienkritik“. Und das hieß, so | |
erinnerte er sich später: „Fälschungen aufdecken, mit denen die von | |
Profitgier besessenen Medien die imperialistischen Strategien der deutschen | |
Konzerne deckten und rassistische Vorurteile gegen die Völker der Dritten | |
Welt, besonders gegen die Befreiungsbewegungen schürten.“ | |
Im Oktober 1976 erschien die Ausgabe 56 der Blätter, der Titel: | |
„Revolutionäre Gewalt in Indochina“. Auf dem Cover war das Bild eines Khmer | |
mit gezückter Pistole, kurz nach dem Abzug der Amerikaner aus Phnom Penh. | |
Pöttker zitierte, was die verhassten bürgerlichen Blätter zu dem Bild | |
geschrieben hatten. Der Stern schrieb: „Dem Sieg folgt die Rache an den | |
Reichen“. | |
Darunter setzte Pöttker die eigene Deutung: Das Foto zeige einen „Soldaten | |
der siegreichen kambodschanischen Befreiungsbewegungen, der gegen | |
Plünderungen vorgeht“. Später habe er sich für den „triumphalen Unterton, | |
mit dem ich uns auf die Seite des mörderischen Regimes schlug, geschämt“, | |
schreibt Pöttker. | |
## Keine Einigkeit in der Militanzfrage | |
Auch Du Mont erinnert sich an die Sache mit maoistischen Khmer, die rund | |
zwei Millionen Landsleute ermordeten. „Während des Indochinakrieges ging | |
jeder davon aus, das sie das allerbeste für ihr Land wollen. Erst als sie | |
an der Regierung waren und mit terroristischen Methoden vorgingen, hat sich | |
der Blickwinkel geändert, mit einer gewissen Zeitverzögerung.“ Wie schnell | |
das ging? „Bei einigen sehr schnell, andere brauchten etwas länger.“ | |
Die Khmer waren ein Extremfall, aber doch die Frage, wie man es mit der | |
Militanz hielt, war immer da. Für viele AktivistInnen war einst klar: Die | |
unterdrückten Indigenen in Lateinamerika hätten kaum mit | |
Unterschriftensammlungen versuchen können, CIA und Großgrundbesitzer mit zu | |
vertreiben. Und so hielten sie den bewaffneten Kampf selbstverständlich für | |
legitim. Andere waren grundsätzlich pazifistisch. | |
Die Militanzfrage war nicht die einzige Kontroverse. Auch auf die Frage, | |
was Entwicklung eigentlich sein soll, fand die Gruppe keine eindeutige | |
Antwort. „Um 1990 sollten alle die Frage, was sie unter Entwicklung | |
verstehen, schriftlich auf einem Blatt Papier beantworten. Da kamen sehr | |
kontroverse unterschiedliche Sachen raus.“ Ein Teil der Gruppe wollte die | |
Industriegesellschaften zurückbauen – auf ein Niveau, irgendwo „zwischen | |
Bangladesch und den USA. | |
## Aus der Guerilla wurden Bürgerliche | |
Viele hatten erwartet, dass der Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks | |
eine Zäsur für Gruppen wie das IZ3W bedeuten würde. Tatsächlich kam diese | |
erst fünf Jahre später. Vom Realsozialismus hatte man nie viel gehalten, | |
von den nationalen Befreiungsbewegungen umso mehr. Doch nun entwickelten | |
sich die Guerillas in Mittelamerika zu bürgerlichen Parteien, Korruption | |
und Repression inklusive. In Südafrika machte der ANC nach seiner | |
Machtübernahme Schluss mit sozialistischen Ideen. „Da haben sich dann sehr | |
viele Hoffnungen verflüchtigt“, sagt Du Mont. | |
Als 2004 der PLO-Führer Yassir Arafat starb, kam eine Schülerin zu Du Mont. | |
Sie wollte „was Radikales“ über Arafat lesen. Er habe geantwortet: „Wir | |
haben was Radikales für und was Radikales gegen Arafat. Was willst du?“ Ein | |
Archiv müsse ganz gegensätzliche Materialien enthalten, sagt er. Auch | |
Verabscheuungswürdiges könne historisch interessant sein. Die Gruppe wolle | |
die Vielfalt des Materials bewahren, auch wenn es in sich widersprüchlich | |
sei. „Und damit wollen wir auch leben.“ | |
Differenzen gibt es viele, der Konsens war schmal und ist es bis heute. | |
„Jeder von uns wird sich sicher als antirassistisch verstehen“ sagt Du | |
Mont. Und „im Groben“ begreife man sich „als antimilitaristisch und fängt | |
nicht plötzlich an, den Krieg zu bejubeln“. Doch im Detail ist das | |
schwierig. Nach dem Beginn des Irakkriegs, 2004, erinnerte der | |
iz3w-Redakteur Christian Stock an den „antiamerikanischen Konsens der | |
Mehrheitslinken“. Daraufhin wurde ihm von Außen „Bellizismus“ vorgeworfe… | |
und auch im Innern der Gruppe habe es „ziemlich gekracht“, so | |
iz3w-Redakteurin Larissa Schober. | |
In den 70er Jahren war das Angebot an Subjekten der Solidarität groß. Im | |
Zweifelsfall war man für die Unterdrückten. Heute haben nicht nur Terror | |
und Dschihad die Sache komplizierter gemacht. „Es ist jetzt wohl leichter, | |
die Ausnahmen der aufzuzählen, mit denen man noch solidarisch sein kann“, | |
sagt Du Mont. Vieles gilt deutschen Linken heute nicht mehr als links. | |
„Nordsyrien ist vielleicht eine Ausnahme.“ Doch soll man versuchen, das | |
Assad-Regime zu stürzen? Oder lässt man das besser bleiben? Darauf haben | |
die Aktiven im IZ3W auch keine gute Antwort. Die Schwierigkeit, eindeutig | |
Position zu beziehen, breche „alle naselang auf“, sagt Du Mont. Zuletzt in | |
Katalonien. „Da existieren sehr unterschiedliche Antworten drauf. Und dafür | |
sind wir ja da, das zu dokumentieren.“ | |
Einen Teil des Archivs hat das IZ3W bereits abgegeben, etwa an die Basler | |
Afrika-Bibliografien. Der Rest liegt in dem gemieteten Haus in der | |
Kronenstraße. „Ich weiß wo alle Dokumente liegen. Aber ich bin da wohl der | |
einzige. Wenn mir eines Tages ein Blumentopf auf den Kopf fällt und ich | |
dement werde, müsste ich das bis dahin so gestaltet haben, dass das jemand | |
anderes recherchieren kann“, sagt Du Mont. | |
## Was soll aus dem riesigen Archiv werden? | |
Er ist jetzt 70 Jahre alt. „Das ist traurig, irgendwann tickt da die | |
biologische Uhr“, sagt Du Mont. So, wie es ist, wird es nicht weitergehen. | |
Das Archiv ist Teil eines Verbundes der „Dritte Welt Archive“. Sie werden | |
sich zentralisieren müssen, vielleicht an Universitäten. Für zwei, drei | |
Leute, schätzt Du Mont, könnte sich eine Finanzierung finden. „Unter den | |
Archiven diskutieren wir das nicht gern, weil sie alle so weitermachen | |
wollen wie bisher.“ | |
Doch so wird nur ein kleiner Teil der Dokumente erhalten bleiben. Kein | |
Zweiter wird, wie Du Mont, sein Leben der Aufgabe widmen, den gigantischen | |
Korpus erschlossen zu halten. Der einzige Weg, das Material zu erhalten, | |
wäre seine Digitalisierung. Du Mont weiß das. Aber er ist skeptisch. „Es | |
scheitert an der Masse“, sagt er. Es gebe Maschinen, die Texte scannen und | |
automatisch verschlagworten. „Aber der Apparat denkt nicht mit.“ Und | |
denken, darum gehe es doch. | |
4 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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