| # taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Antikapitalistische Heimatsuche | |
| > Der Autor Heinz Bude schreibt über die Heimatlosigkeit | |
| > antikapitalistischer Gefühle. Die bräuchten eine klare, linke | |
| > Handlungsoption. | |
| Bild: Performance beim G-20-Protest: Wo findet das antikapitalistische Gefühl … | |
| Heimatloser Antikapitalismus – das sei heute eine der vorherrschenden | |
| Stimmungen. Schreibt Heinz Bude in seinem wunderbaren Buch „Das Gefühl der | |
| Welt. Über die Macht von Stimmungen“. Das wirft natürlich etliche Fragen | |
| auf. | |
| Zunächst: Wer befindet sich in solch einer Stimmung? Wer sind diese | |
| Antikapitalisten? Es sind, so Bude in dem ihm eigenen Bude-Sound, | |
| „Ultraliberale und Restkommunisten, enttäuschte Sozialdemokraten und | |
| verstummte Christdemokraten, antideutsche Globalisten und biodeutsche | |
| Territorialisten“ – eine richtige „antikapitalistische Querfront“. Worin | |
| aber besteht deren Antikapitalismus? | |
| Er ist eine Reaktion auf die neoliberale Verwandlung des Kapitalismus. Eine | |
| Verwandlung, die eine Entfesselung ist. Durch „Befreiung“ von allem, was | |
| ihn eingehegt, was ihn begrenzt hat. Und durch die Kolonisierung aller | |
| Gegenkräfte, aller Kräfte, die einer nicht profitorientierten, einer nicht | |
| kapitalistischen Logik gefolgt sind – vom sozialen Ausgleich bis hin zum | |
| Kollektiveigentum und zum Wohlfahrtsstaat. Sodass der heutige Kapitalismus | |
| im Unterschied zu jenem der Nachkriegszeit „keine Grenzen und kein Maß mehr | |
| kennt“ (Bude). | |
| Die nachhaltigste Kolonisierung ist jene, die uns selbst betrifft. Das ist | |
| der wohl größte Coup des Neoliberalismus: die Individuen selbst zu seinen | |
| Agenten machen. Uns alle zum Teil der Mobilisierung – und nicht zum Teil | |
| der Gegenmobilisierung machen. Angesichts dessen ist Antikapitalismus heute | |
| vor allem ein Gefühl, eine Stimmung. Empörung, Unbehagen, Gereiztheit. | |
| Negative Gefühle, die die neoliberale Maschine aber nicht ins Stocken | |
| bringen. Diese Stimmung sei nun, so Bude, heimatlos. | |
| ## Die Vorstellung einer Handlungsoption | |
| Was aber wäre denn eine Heimat für solche antikapitalistischen Gefühle? | |
| Deren Heimat wäre zunächst das, was Heimat immer ist: eine enge Verbindung | |
| mit anderen. Eine Art des Zusammenseins, des Zusammenstehens. Das Bilden | |
| einer kollektiven Kraft. Eine solche Heimat würde einer Form, einer | |
| Organisation bedürfen, die die Gefühle übersetzt: diffuse Gefühle wie | |
| Empörung und Unbehagen in zielgerichtete Gefühle wie Wut. Eine | |
| Organisation, die auch fehlende Gefühle liefern könnte – wie etwa Hoffnung. | |
| Auch diese ein zielgerichtetes Gefühl. | |
| An dieser Stelle zeigt sich, dass eine Heimat für solche Gefühle weit über | |
| die Neue Erzählung hinausgeht, nach der alle rufen – und die aus ominösen | |
| Gründen keiner liefern kann. | |
| Ebenso wie keiner solch eine Erzählung liefern kann, findet auch die | |
| antikapitalistische Stimmung keine Heimat (etwa dort, wo sie mal aufgehoben | |
| war – bei linken Parteien). Deshalb haben wir heute, so Bude, eben einen | |
| heimatlosen Antikapitalismus. Das aber ist nicht einfach ein Fehler der | |
| Linken oder ein Versäumnis, sondern in erster Linie ein strukturelles | |
| Problem. | |
| Linke Parteien bauen auf einem äußeren Widerspruch auf – jenem zwischen | |
| Arbeit und Kapital. Die Komplexität des Neoliberalismus aber beruht darauf, | |
| diesen Widerspruch zwischen Lohn und Profit, zwischen Preis der | |
| Arbeitskraft und Rendite „ins Individuum selbst verlegt zu haben“. Mit | |
| anderen Worten: Die Front, gegen die man antreten will, verläuft quer durch | |
| einen selbst. Deshalb ist die Verbindung mit anderen, das Bilden einer | |
| kollektiven Kraft so schwierig. Und deshalb entsteht keine Neue Erzählung – | |
| weil allen möglichen Erzählungen das Entscheidende fehlt: der Platz für die | |
| Akteure, der Platz für die Subjekte der Veränderung. | |
| Es fehlen der Linken also nicht, wie oft beklagt, die Akteure – das neue | |
| Proletariat. Es fehlt ihr die Vorstellung einer tatsächlichen | |
| Handlungsoption. Die Zeit der kollektiven Selbstbestimmung sei vorbei, | |
| meint Bude. Deshalb plädiert er auch für eine andere Stimmung – jene der | |
| „entspannten Systemfatalisten“. | |
| Ansonsten bleiben nur hilflose Antikapitalisten übrig, die auf ihren | |
| diffusen Emotionen sitzen bleiben. Außer jenen, die nach rechts abwandern | |
| und dort eine Heimat finden. Eine Heimat anderer Art. | |
| 24 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Isolde Charim | |
| ## TAGS | |
| Antikapitalismus | |
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