# taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Neurotische Zimperlichkeit | |
> Frauen erfinden angeblich ständig neue Unverträglichkeiten, um was zum | |
> Reden zu haben. Ich kenne keine vergleichbaren Klischees über Männer. | |
Bild: Was für Frauen? Glutenfreie Brötchen, mit Handschuhen angefasst | |
Milch macht müde Männer munter!“, sagte der halbnackte Post-Hipster und | |
fläzte sich im Schanzenpark ins sommergrüne Gras. Ein paar Jungs | |
beobachteten mit großer Aufmerksamkeit, wie er den Liter Milch direkt aus | |
dem Tetrapak trank. Aus seinem Bart tropfte es weiß und in seliger | |
Erwartung schaute er in Richtung der Mütter. | |
Nachdem eine Reaktion ausblieb, biss er in ein überlanges Baguette und | |
rief: | |
„Gluten macht groß und stark.“ | |
Nun wurden auch die Mütter aufmerksam. Eine sagte: | |
„Was soll der Quatsch? Ist das ’ne Kunstaktion?“ | |
Mit vollem Mund antwortete der Typ: „Nee, das ist meine ganz normale | |
Alltagsperformance. Jetzt regt euch schon auf!“ | |
Sie hob die Arme, klatschte über dem Kopf und zeigte dabei ihr langes | |
Achselhaar. | |
„Bravo, du Wilder!“ | |
Er lächelte: | |
„Hey, ich steh auf Frauen mit Ego, krieg ich deine Nummer?“ | |
Sie sagte: | |
„Nö. Du bist mir zu gelangweilt.“ | |
Der Typ sagte: | |
„Eben. Und deshalb dachte ich, wir könnten uns hier jetzt mal schön | |
streiten. Was ist los mit euch Muttis? Warum habt ihr denn gar keine Angst | |
vor Milch und Gluten oder davor, nicht glattrasiert zu sein?“ | |
Ich kenne sie nicht, die hysterischen Frauen, die Ernährung zu einer | |
angsterfüllten Religion machen, ihren Körper verachten, ständig Heilfasten | |
und Milch für ähnlich gefährlich halten wie Heroin. | |
Die meisten mir bekannten Frauen essen gern und alles, viele rauchen mal | |
mehr, mal weniger und trinken bei Gelegenheit ohne Gewese einen zu viel. | |
Auch Mütter. Ich habe mich bei einer Freundin erkundigt, die zwei Kinder | |
hat und im Klischee umrankten Eimsbüttel wohnt. Von Einzelfällen abgesehen | |
alles soweit entspannt. Mehrheitlich neurotische Zimperlichkeit scheint ein | |
sexistisch aufgebauschtes Märchen zu sein. | |
Frauen werden oft als Gestörte oder wenigstens Uncoole beschrieben, wenn es | |
um Dinge der Alltagsgestaltung geht. Als Teil der Gesellschaft, der sich | |
mit Seichtem den Tag vollmacht. Schuhe, Haare, Nägel, Deko und neuerdings | |
eben auch Ernährung. Sogar ein Krankheitsbild namens „Orthorexie“ gibt es | |
dazu. | |
Frauen neigen also zum banalen Extremismus. Als Teenies magersüchtig oder | |
bulimisch, dann besessen von Superfood und negativ zwangsfantasierend über | |
Bodenständiges wie Brot und Milch. Als hätten sie nur Dung im Kopf. Frauen | |
erfinden angeblich ständig neue Unverträglichkeiten, um was zum Reden zu | |
haben und würden am liebsten ihr ganzes Leben desinfizieren. Ich kenne | |
keine vergleichbar breitgeschriebenen Klischees über Männer. | |
Und immer schon habe ich mich gefragt, was eigentlich eine | |
Latte-Macchiato-Mutter ist. Klingt nach dummer Person, deren Leben aus | |
Rumsitzen und Schlürfen besteht, während der Mann ohne alberne | |
Kennzeichnung befrachtet, Wichtiges vollbringt. Gesellschaft leistet ihr | |
dabei höchstens der Hänger-Hipster. Vielleicht gibt es ihn nur, damit er | |
mit der Latte-Macchiato-Mami ein lauwarmes Techtelmechtel anfangen kann. | |
Das macht sie dann immerhin zum Cougar, also einem Puma – so werden in | |
Amerika ältere Frauen genannt, die sich neben dem perfekten Smoothie auch | |
noch für junge Typen interessieren. | |
26 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Ramadan | |
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