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# taz.de -- Blutige Proteste in Nicaragua: Verhandeln ohne die Zivilgesellschaft
> Menschenrechtler zählen mindestens 25 Tote bei den Demos gegen die
> Erhöhung der Sozialabgaben. Präsident Ortega tauchte zunächst ab.
Bild: Unruhestifter und Plünderer liefern Präsident Ortega einen Vorwand, die…
Mindestens 25 Menschen sind in den vergangenen Tagen bei der
Niederschlagung von Protesten in Nicaragua ums Leben gekommen. Die Proteste
wenden sich gegen eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge.
Präsident Daniel Ortega begegnet der [1][bisher größten Krise] seiner
elfjährigen Präsidentschaft mit extremer Brutalität.
Mittlerweile hat sich auch der Protest radikalisiert. Während Demonstranten
ständig neue Barrikaden in den Straßen errichteten und alte Autoreifen in
Brand steckten, blieben schon am Freitag die Schulen und die meisten
Universitäten geschlossen. Am Wochenende gingen erneut viele Menschen auf
die Straße.
Ursache für die Unruhen ist der bevorstehende Bankrott des staatlichen
Sozialversicherungsinstituts INSS, das auf die steigende Lebenserwartung
der Bevölkerung nicht vorbereitet war. Ortega hatte per Dekret die Erhöhung
der Arbeitnehmerbeiträge von 6,25 auf 7 Prozent ab 1. Juli verfügt. Der
Arbeitgeberbeitrag soll schrittweise bis 2020 von 19 auf 22,5 Prozent der
Nettogehälter anwachsen. Besonders hart [2][trifft die Reform aber die über
200.000 Rentnerinnen und Rentner], die künftig 5 Prozent ihrer mageren
Pensionen für die Krankenversicherung abgeben sollen.
Ohne eine vorherige Debatte hat Ortega dies am Parlament vorbei verordnet.
Die Erhöhung der Beiträge soll 250 Millionen US-Dollar oder 1,5 Prozent des
Bruttonationaleinkommens einbringen. Nach Ansicht von Juristen ist
zumindest die Abgabe für die Pensionisten verfassungswidrig. Ortega, einst
einer der Comandantes der Sandinistischen Befreiungsbewegung (FSLN) gegen
die Diktatorendynastie der Somozas, regiert damit zunehmend autoritär.
## 43 Demonstranten gelten als verschollen
Die Proteste hatten am Mittwoch zunächst friedlich begonnen. Nur ein
Grüppchen von etwa 200 Studenten und Pensionisten hatte sich zu einer
Demonstration in einem Einkaufszentren in der Hauptstadt Managua gesammelt.
Wie schon bei früheren regierungskritischen Protesten tauchten
Schlägertrupps der Sandinistischen Jugend auf und versuchten, die
Demonstranten mit Stöcken und Metallrohren auseinanderzutreiben. Mehrere
Personen wurden blutig geschlagen, Journalisten verprügelt und ihrer
Kameras beraubt. Als sich immer mehr Menschen dem Protest anschlossen, trat
die Anti-Aufruhr-Polizei in voller Montur auf den Plan und prügelte auf die
Menge ein.
Wenig später begannen Proteste in anderen Teilen der Hauptstadt und in den
Städten Estelí, Masaya, Granada, León, Tipitapa und Bluefields. Überall
trafen die Demonstranten auf paramilitärische Gruppen der Parteijugend und
bewaffnete Polizisten. In Estelí im Norden Nicaraguas rückte die Armee ein.
Silvio Báez, Weihbischof von Managua, richtete sich via Twitter mit
ähnlichen Worten an die Regierung, wie einst der 1980 ermordete Erzbischof
von San Salvador Óscar Arnulfo Romero: „Stoppt die Repression!“
Das unabhängige Menschenrechtszentrum CENIDH zog am Wochenende eine Bilanz
von mindestens 25 Todesopfern, darunter ein Polizist, und über 80
Verletzten. 43 Demonstranten gelten als verschollen.
Daniel Ortega tauchte zunächst ab und ließ seine Frau und Vizepräsidentin
Rosario Murillo öffentlich auftreten. Mit salbungsvollen Worten über
Frieden und christliche Werte vermied sie es, auf die Krise einzugehen.
Erst am Samstag kam Ortega selbst aus der Deckung. In einer TV-Ansprache
machte er die Demonstranten als „dumme und fehlgeleitete“ Jugendliche
nieder. Unruhestifter und Plünderer lieferten Ortega einen Vorwand, die
ganze Bewegung zu diskreditieren.
Der Präsident erklärte sich zwar zu einem Dialog mit den
Unternehmerverbänden bereit. Die protestierende Zivilgesellschaft soll am
Verhandlungstisch aber keinen Platz haben.
22 Apr 2018
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## AUTOREN
Ralf Leonhard
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