| # taz.de -- Menschenrechtler vor der Wahl in Ungarn: „Das ist Populismus an d… | |
| > Mit xenophober Rhetorik mobilisiert die Regierungspartei Fidesz ihre | |
| > Wähler, sagt Todor Gardos. Der Spielraum für die Zivilgesellschaft wird | |
| > kleiner. | |
| Bild: „Stoppt die Kandidaten von Soros!“ Wahlwerbung der Regierungspartei F… | |
| taz: Herr Gardos, am Sonntag wird in Ungarn gewählt. Wie lässt sich die | |
| Lage der Menschenrechte unter Regierungschef Viktor Orbán charakterisieren? | |
| Todor Gardos: Die heutige Situation ist das Ergebnis einer mehrjährigen | |
| Herrschaft der gegenwärtigen Regierung und ihrer Schritte, die Bürgerrechte | |
| immer stäker einzuschränken. Ein Beispiel ist die Reaktion auf die | |
| Flüchtlingskrise vor einigen Jahren. Die Regierenden haben ihr Flüchtlings- | |
| und Asylsystem total umgestellt, um jeden aus dem Land zu werfen und es | |
| denen besonders schwer zu machen, die ins Land kommen. Derzeit sind 500 | |
| Menschen an der Grenze interniert. Darunter sind auch Kinder und | |
| unbegleitete Geflüchtete, die alle traumatisiert sind. Viele internationale | |
| Organisationen wie die UNO, der Europarat sowie Menschenrechtsgruppen haben | |
| diesen Schritt als willkürliches Festhalten verurteilt. Das heißt Rechte | |
| von Geflüchteten, die durch das internationale Recht garantiert sind, | |
| werden massiv verletzt. | |
| Die Regierungspartei Fidesz arbeitet sich aber nicht nur an Geflüchteten ab | |
| … | |
| Auch andere Minderheiten sind betroffen. Als die Fidesz-Regierung 2010 an | |
| die Macht kam, hat sie sofort damit begonnen die Verfassung zu ändern. Die | |
| Ehe ist jetzt als eine Verbindung zwischen Mann und Frau definiert. Damit | |
| wird gleichgeschlechtlichen Paaren die Anerkennung ihrer Rechte verweigert. | |
| Die Herangehensweise der Regierung ist sehr nationalistisch. Das kommt auch | |
| in der Rhetorik zum Ausdruck. Diese ist sehr xenophob und galt in der EU | |
| viele Jahre lang als inakzeptabel. | |
| A propos Rhetorik. Bei einer Rede in Budapest Mitte März bezeichnete | |
| Regierungschef Viktor Orbán seine Gegner als Verräter und sprach von Rache. | |
| Der Ton war noch einmal schärfer, als bei vorherigen Auftritten… | |
| Diesen Diskurs muss man unbedingt ernstnehmen. Dem Parlament liegt bereits | |
| ein Gesetzentwurf vor, der die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen | |
| einschränkt, die sich um Migranten kümmern. Diese NGOs werden als Bedrohung | |
| der nationalen Sicherheit Ungarns gesehen. Noch wissen wir nicht genau, was | |
| das praktisch bedeutet. Nimmt man diesen Gruppen nur die Lizenz weg oder | |
| werden sie vor Gericht gezerrt? Klar ist, dass die Regierung dabei mitreden | |
| will, was diese NGOs zu tun und zu lassen haben. Sie haben jetzt schon | |
| große Probleme – zum Beispiel ihre Finanzierung sicherzustellen. Sie werden | |
| quasi stranguliert. | |
| Jüngsten Umfragen zufolge wird Fidesz die Wahlen wieder gewinnen, auch der | |
| rechtsextremen Jobbik wird ein gutes Ergebnis vorhergesagt. Warum wählt die | |
| Mehrheit der Ungarn rechts? | |
| Die jetzige Regierung, das ist Populismus an der Macht. Jahrelange | |
| Kampagnen und Propaganda haben in der Gesellschaft verfangen. Umfragen | |
| zeigen, dass die Ungarn viel intoleranter und weniger offen für | |
| unkonventionelle Lebensformen sind, als Menschen in anderen europäischen | |
| Staaten. Wenn es um christliche Familienwerte geht, hat die Regierung den | |
| Diskurs monopolisiert. Sie hat es geschafft, die Idee zu verkaufen, dass | |
| Ungarn vor äußeren Feinden geschützt werden müsse. Das kann der | |
| US-Milliardär Georges Soros sein, das können aber auch Migranten, die EU | |
| oder Regierungen sein, die Ungarn gegenüber kritisch eingestellt sind. | |
| Fidesz ist in der Lage, ihre Wähler zu mobilisieren und ein großes Publikum | |
| zu erreichen. Dieses hat sich daran gewöhnt, dass jeder äußere Einfluss | |
| schlecht ist. | |
| Viktor Orbán kuschelt ja auch ein wenig mit Russlands Präsidenten Wladimir | |
| Putin. Wie kommt das in der Bevölkerung an? | |
| Die Regierung hat es auch geschafft, die Wahrnehmung von Russland zu | |
| ändern. Noch vor 15 Jahren gehörten die Wähler von Fidesz zu den schärfsten | |
| Kritikern Russlands. Heute glauben sie, die EU und Soros seien eine viel | |
| größere Bedrohung für Ungarn als Russland. | |
| Die Partei Jobbik gibt sich plötzlich etwas moderater – nach dem Motto | |
| „Rechts mit menschlichem Antlitz“. Was steckt dahinter? | |
| Jobbik versucht jetzt, sich das Image einer zentristischen Partei zu geben. | |
| Das ist eine reine Wählerstrategie. Für mich sind das teilweise dieselben | |
| Leute, die Aufmärsche in Roma-Dörfern organisiert und Gesetze gefordert | |
| haben, die diese Minderheit diskriminieren. Sie wollen die Roma separieren | |
| in der Bildung, beim Zugang zu Arbeitsplätzen. Sie sprechen von sogenannter | |
| Zigeunerkriminalität und arbeiten mit rassistischen Stereotypen. Und sie | |
| haben beispielsweise Homo-Paraden angegriffen. | |
| Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie für die Zeit nach der Wahl? | |
| Die Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass Orbán seine Drohung | |
| wahrmachen könnte und tatsächlich Racheaktionen beginnt. Das heißt zum | |
| Beispiel, das zweite NGO-Gesetz im Parlament durchdrücken. Dieses zielt | |
| darauf ab, NGOs, die mit Migranten arbeiten, einzuschüchtern und | |
| auszuschalten. Doch der Effekt wird weit darüber hinausgehen. Der Spielraum | |
| für die gesamte Zivilgesellschaft wird weiter schrumpfen. Auch der Druck | |
| auf Journalisten dürfte sich weiter erhöhen. Es gibt ja bereits ein | |
| Mediengesetz aus dem Jahr 2012, aber keine Garantie dafür, dass die | |
| Regierung nicht mit neuen Forderungen um die Ecke kommt. So könnte es zum | |
| Beispiel neue Regeln für die Arbeit von Reportern geben. | |
| Glauben Sie, dass Orbán seinen Kurs gegenüber der EU beibehält? | |
| Die Regierung in Budapest hat stets sehr negativ auf Kritik aus Brüssel | |
| oder auch von der UNO reagiert. Der Kommissar für Menschenrechte bekam eine | |
| harte Antwort auf seine legitime Kritik. Orbán lehnt jeden Dialog über | |
| diese Fragen sowie freie und offene Debatten ab. Das wird auch nach den | |
| Wahlen so weiter gehen. | |
| Was erwarten Sie von Europa? | |
| Ungarn hat seinen Platz in Europa. Ich bin überzeugt, dass die | |
| EU-Mitgliedschaft zum Nutzen der ungarischen Bürger und anderer Menschen in | |
| Ungarn ist. Die EU-Partner müssten aber die Schritte Ungarns, das heißt | |
| sowohl die Rhetorik als auch die konkrete Politik, stärker skandalisieren. | |
| Natürlich sind die Möglichkeiten begrenzt, EU-Regeln durchzusetzen. Aber | |
| ich sehe Raum für mehr öffentliche Kritik. Es geht um einen prinzipiellen | |
| Schutz von Werten der EU wie Rechtsstaatlichkeit, Grund- und Menschenrechte | |
| sowie Demokratie. Die ungarische Regierung testet aus, wie weit sie gehen | |
| kann. Sie schreckt auch nicht davor zurück, Urteile des Europäischen | |
| Gerichtshofes für Menschenrechte nicht zu respektieren. Die EU muss Ungarn | |
| auf den Radar zurückholen, statt das Land zu bestrafen. Öffentliches | |
| Bloßstellen ist entscheidend, sowohl in der EU als auch in Ungarn selbst. | |
| Die dortige Bevölkerung profitiert davon, weil konstruktive Kritik aus dem | |
| Ausland auch eine Art der Unterstützung ist. | |
| 7 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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