# taz.de -- Debatte Europäisches Kulturerbe: Heimat für alle | |
> „Sharing Heritage“ lautet das Motto des Europäischen Kulturerbejahres. | |
> Hört sich gut an. Aber wollen wir unser Erbe wirklich mit allen teilen? | |
Bild: Gehört auch das zum europäischen Kulturerbe? Ein Adonisröschen an den … | |
Schlösser, Gärten, historische Altstädte. Auch in diesem Jahr hat sich | |
Brandenburg vorgenommen, mit seinen Pfunden zu wuchern. „Europa in | |
Brandenburg, Brandenburg in Europa“ heißt das Motto des Themenjahrs, mit | |
dem das [1][„Kulturland Brandenburg“] Touristen in die Mark locken und die | |
regionale Identität stärken möchte. | |
Brandenburg dockt damit an [2][das Europäische Kulturerbejahr] an, das die | |
Europäische Kommission für 2018 ausgerufen hat. Unter dem Stichwort | |
„Sharing Heritage“ soll, so heißt es aus Brüssel, Europa den Europäern | |
wieder ein Stück nähergebracht werden. „Werfen wir gemeinsam einen Blick | |
auf unser kulturelles Erbe“, heißt es an die Bürgerinnen und Bürger | |
gerichtet, „hören unserer gemeinsamen europäischen Geschichte zu, erzählen | |
sie weiter – auch ganz lokal bei uns zu Hause.“ | |
Eine gute Idee, zumal in europäischen Krisenzeiten. Ihr liegen gleich | |
mehrere Prämissen zugrunde. Erstens: Die europäische Kultur war und ist | |
eine Kultur der Vielfalt. Zweitens: Das kulturelle Erbe prägt unser Bild | |
der Vergangenheit und schafft Angebote für nationale und regionale | |
Identitäten. Und drittens: Wenn wir dieses Erbe teilen, öffnen wir uns | |
anderen und lassen sie an diesen Identitäten teilhaben. | |
Aber genau da liegt der Knackpunkt: Wie ernst meinen wir das mit dem Öffnen | |
und Teilen wirklich? Was teilen wir und mit wem? Und was wollen wir lieber | |
nicht teilen, weil wir es lieber für uns behalten? Ist Sharing Heritage | |
eine inklusive Kampagne oder schließt sie auch aus? Seit Horst Seehofer als | |
Heimatminister bekanntgegeben hat, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, | |
birgt auch die Frage des kulturellen Erbes einiges an Konfliktpotenzial. | |
Ist es für alle da? Oder zieht es den Kreis enger, markiert eine | |
unsichtbare Trennlinie zwischen „uns“ und „den anderen“? | |
## Erfahrungswelt der Geflüchteten | |
Es lohnt sich, dieser Diskussion einmal aus der Perspektive von | |
Flüchtlingen nachzugehen. Seit einiger Zeit bieten die Staatlichen Museen | |
zu Berlin und das Deutsche Historische Museum (DHM)Führungen auch in | |
arabischer Sprache an. [3][„Multaka. Treffpunkt Museum“] heißt das Projekt, | |
für das 19 Geflüchtete aus Syrien und dem Irak als Museumsguides | |
fortgebildet wurden. „Das Deutsche Historische Museum will den Flüchtlingen | |
eine Annäherung an die deutsche Kultur und Geschichte mitsamt ihrer Krisen | |
und Erneuerungsbewegungen ermöglichen“, heißt es zu dem Projekt. | |
Nun kann man sich natürlich fragen, ob es für Flüchtlinge nichts | |
Wichtigeres gibt als die „deutsche Kultur und Geschichte“. Ein Dach über | |
dem Kopf zum Beispiel, das Lernen der Sprache, ein Job. Stimmt: Aber die | |
Integration, die wir fordern, verlangt auch eine Auseinandersetzung mit der | |
Kultur der Aufnahmeländer, den Respekt ihrer Werte, und die ist ohne ihre | |
Geschichte und Kultur kaum möglich. Dem fühlt sich das Angebot des DHM | |
verpflichtet. Gleichzeitig versucht „Multaka“ auch, an der Erfahrungswelt | |
der Geflüchteten anzusetzen. Im Zentrum der Führungen steht die Zeit nach | |
dem Zweiten Weltkrieg und der Wiederaufbau. | |
Leider stehen die Leuchttürme des deutschen Kulturerbes auf der Berliner | |
Museumsinsel damit weitgehend allein. Vor allem in den ländlichen Regionen | |
und kleinen Städten, in denen die regionale Identität stärker ausgeprägt | |
ist und von der Mehrheitsgesellschaft dominiert wird, sollte es ähnliche | |
Angebote geben. Wie soll sonst ein Dialog zustande kommen zwischen einer, | |
sagen wir, Syrerin aus Aleppo, die in einer Flüchtlingsunterkunft im | |
Spreewald lebt, und einer Touristin, die mit Fontane bewaffnet in Lübbenau | |
in einen Spreewaldkahn steigt? | |
Wie wichtig dieser Dialog ist, zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel | |
Sachsens und dort vor allem in Dresden. „Schönheit will bewahrt sein“, | |
schrieb Oberbürgermeister Dirk Hilbert im Oktober in der Sächsischen | |
Zeitung. „Dementsprechend groß ist die Zurückhaltung gegenüber Neuem und | |
dementsprechend groß ist auch die Zahl der Bewahrer.“ Das mag als | |
psychologische Erklärung für ein Dresden als Hauptstadt von Pegida und AfD | |
taugen, nicht aber als Bewerbung für eine europäische Kulturhauptstadt, die | |
Dresden 2025 werden will. Als solche muss sie nicht nur bewahren, sondern | |
auch teilen wollen. Denn es geht ja nicht um eine deutsche, sondern um eine | |
europäische Kulturhauptstadt. | |
## Ein großer Wandschrank namens Heimat | |
Oder ist es doch so, dass man in Dresden das Erbe lieber für sich behält, | |
das familiäre ebenso wie das Kulturerbe? Alles zusammengepackt im großen | |
Wandschrank namens Heimat? | |
Bewahren oder auch teilen? Gleiches gilt für die Kampagne „Sharing | |
Heritage“. Doch teilen muss auch mit Angeboten verbunden sein. Die Sprache | |
ist das eine, die Bereitschaft zum Dialog das andere. Bislang aber sind es | |
vor allem Ehrenamtliche, die mit Flüchtlingen in Museen gehen oder eine | |
Fahrt in den Spreewald unternehmen. Öffnen müssen sich aber auch Kommunen, | |
Stiftungen, historische Vereine – und damit zeigen, dass sie nicht nur | |
unter sich bleiben wollen mit dem Stolz auf das historische Erbe. | |
Zumindest, was das gemeinsame Erbe mit Polen angeht, gibt es in Brandenburg | |
keinen Zweifel mehr: Hier wird geteilt. Hier gibt es aber auch eine | |
gemeinsame Geschichte. Komplizierter ist es, wo es diese Geschichte nicht | |
gibt, wo man sie sich gegenseitig erzählen und erklären muss, um die | |
verschiedenen Welten miteinander ins Gespräch zu bringen. | |
Immerhin hat Brandenburg diese Aufgabe erkannt. Kulturministerin Martina | |
Münch (SPD) betont, dass gerade die Hauptstadtregion für die Begegnung der | |
Kulturen stehe. „Es sind die kulturellen Verknüpfungen, die das Fundament | |
für Austausch und Zusammenhalt in Europa sind“, sagt Münch. Das kulturelle | |
Erbe sei demnach nichts Trennendes. Und: „Die Zuwanderung aus | |
außereuropäischen Regionen hat schon immer die europäische Kultur | |
bereichert.“ | |
17 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kulturland-brandenburg.de/ | |
[2] https://sharingheritage.de/ | |
[3] http://multaka.de/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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