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# taz.de -- Verhaftung von Ex-Präsident Lula da Silva: Im Sumpf der Korruption
> Bestechlichkeit ist in Brasilien Teil des politischen Systems. Statt sie
> zu bekämpfen, werden Institutionen wie die Justiz politisch
> instrumentalisiert.
Bild: Brasilianische Real: Darf's ein bisschen mehr sein?
Rio de Janeiro taz | [1][Die Verhaftung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula
da Silva] treibt die politische und institutionelle Krise in Brasilien auf
den Höhepunkt. Die Spaltung in zwei diffuse politische Lager vertieft sich.
Für die einen ist das vorläufige politische Aus von Lula ein Sieg des
Rechtsstaats gegen Straflosigkeit von korrupten Politikern. Für die anderen
ist es das genaue Gegenteil: der Sieg einer politischen Strömung, die
mithilfe einer willfährigen Justiz den Rechtsstaat und demokratische Wahlen
aushebelt. Beide Seiten eint die Überzeugung, gegen Korruption zu sein.
Doch scheint es just das Thema Korruption zu sein, das Brasilien immer
weiter in Richtung Abgrund schiebt.
Korruption ist keineswegs ein besonders lateinamerikanisches Phänomen,
sondern ein weltweites Problem – das wissen die Menschen beispielsweise in
Südkorea ebenso wie die Kundschaft von Volkswagen oder der Deutschen Bank.
Genauso wenig haben korrupte Umtriebe Brasilien erst seit dem Amtsantritt
von Lulas Arbeiterpartei PT im Griff. Allerdings hat der illegale Tausch
von Geld gegen Gefälligkeiten in Brasilien ein Ausmaß erreicht, dass er
inzwischen als Teil des politischen und wirtschaftlichen Systems verstanden
werden muss.
Im Grunde handelt es sich bei der in Brasilien üblichen Korruption um eine
klassische Win-win-Situation für die Beteiligten: Unternehmer oder andere
Interessierte zahlen eine begrenzte Summe Geld, um im Gegenzug Verträge
oder Leistungen zu bekommen, die dem Geschäftsbetrieb später eine
wesentlich höhere Einnahme ermöglichen. Die Geldnehmer, oder
„Korrumpierten“, sind diejenigen, die aufgrund öffentlicher Ämter oder
Machtposition in der Lage sind, andere zu bevorteilen.
Sie stecken die illegalen Geldgeschenke entweder in die eigene Tasche oder
in die chronisch knappen Kassen politischer Parteien. Da das Tauschgeschäft
sehr gut funktioniert, solange Staat und Justiz wegschauen, und oft von
vielen Beteiligten geradezu als Selbstverständlichkeit eingefordert wird,
ist es nicht nur ein Problem korrupter Individuen, sondern auch des Systems
als Ganzem.
## Der aktuelle Skandal: eine „Autowaschanlage“
Der aktuelle Korruptionsskandal in Brasiliens – allgemein als „Java Jato“,
also Autowaschanlage bekannt, da die Ermittlungen auf einer Tankstelle
begannen – funktionierte genau nach diesem Schema. Vor allem große
Bauunternehmen, aber auch der weltgrößte Rindfleischproduzent JBS und
andere Unternehmen schmierten Politiker aller Couleur, um überteuerte
Aufträge von Staatsunternehmen wie dem Ölkonzern Petrobras zu ergattern
oder um per Dekret oder Gesetzesinitiative Vorteile zu erheischen.
Nicht nur der Odebrecht-Baukonzern, der in über zehn Ländern Politiker
schmierte, unterhielt eigene Abteilungen, um über Jahre hinweg die mehreren
Milliarden Euro Bestechungsgeld so breit zu verteilen, dass die Bevorzugung
seitens der Politik nicht von einem Regierungswechsel beeinträchtigt werden
konnte. Ähnlich offen wurde innerhalb der Parteien mit dem Geldsegen
umgegangen. Es gibt viele Zeugenaussagen über Spitzenpolitiker, die über
die Verteilung der Pfründen an Koalitionspartner und andere Verbündete
beratschlagten.
Das Lava-Jato-System funktioniert zumindest seit den 90er Jahren und wird
erst seit vier Jahren juristisch verfolgt. Zeitgleich wurde der sogenannte
Zelotes-Skandal aufgedeckt, bei dem Beamte von Steuerbehörden und des
Finanzministeriums bestochen werden, damit sie Steuerschulden von
Unternehmen unter den Tisch fallen lassen. Die Summen, die dabei veruntreut
werden, sind ungleich höher als bei Lava Jato, doch weder die
Öffentlichkeit noch die Justiz zeigt großes Interesse an einer Aufklärung.
Der erste Höhepunkt der Korruptionsbekämpfung war allerdings der sogenannte
Mensalão am Ende der ersten Amtszeit von Lula da Silva 2006. Dabei ging es
um den Kauf von Stimmen im Kongress, um Gesetzesvorhaben durchzubringen.
Hintergrund war, dass die PT-Regierung nicht genug Parlamentarier hatte und
auf die Unterstützung durch dubiose Politiker und Kleinstparteien
angewiesen war. Der Stimmenkauf innerhalb von Regierungskoalitionen ist in
Brasilien seit langem üblich und zum Teil dem präsidentiellen Wahlsystem
geschuldet.
## Bis heute sitzt kein Beteiligter hinter Gittern
Mehrere PT-Minister und Spitzenpolitiker wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Auch damals schon klagte die PT – wie viele ihrer Unterstützer – über das
selektive Vorgehen von Justiz und Ermittlungsbehörden. Ein identischer
Skandal im Bundesstaat Minas Gerais, in dem die konservative PSDB, der
wichtigste Gegenspieler der PT in den letzten 25 Jahren, die Strippen zog,
war schon lange zuvor aktenkundig. Trotz mehrerer Prozesse sitzt bis heute
kein Beteiligter hinter Gittern.
Der Vorwurf, dass die Korruptionsermittlungen politisch instrumentalisiert
werden, ist kaum von der Hand zu weisen. Jahrzehntelang wurde über korrupte
Machenschaften nur geklagt. Als 2003 erstmals seit der Militärdiktatur eine
fortschrittliche, sozial ausgerichtete Regierung in Brasilien an die Macht
kam, war es plötzlich zu Ermittlungen gekommen.
Korruptionsrichter Sérgio Moro, heute der große Held der rechten
Anti-PT-Bewegung, trieb gezielt Prozesse gegen PT-Politiker voran, ließ
Lula einmal vor versammelter Presse mittels eines martialischen
Polizeieinsatzes zum Verhör abführen und veröffentlichte ungestraft einen
illegalen Telefonmitschnitt der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff mit
Lula. Seine Verurteilung Lulas wegen der angeblichen Überlassung eines
Apartments durch einen Baukonzern aufgrund einer Kronzeugenaussage und ohne
materielle Beweise wird auch international stark in Zweifel gezogen.
Während viele PTler hinter Gittern sitzen, endete noch kein
Korruptionsprozess gegen die zahlreichen verdächtigten PDSB-Politiker mit
einer rechtsgültigen Haftstrafe. Dass Mitglieder der jetzigen konservativen
Regierung teilweise juristisch verfolgt werden, ist darauf zurückzuführen,
dass sie zuvor Teil der PT-Regierungskoalition waren und just deswegen in
das Visier von Moro gerieten.
## Einfluss auf die Wahl
Das Problem des selektiven Vorgehens der Strafverfolger ist nicht nur die
Ungerechtigkeit, es sind vor allem die politischen Konsequenzen. Jenseits
der Schuldfrage von Lula da Silva nimmt der angebliche Kampf gegen
Korruption direkt Einfluss auf die kommende Wahl. Während Umfrageführer
Lula im Knast sitzt, darf sich der vielfach verdächtigte PSDB-Mann Geraldo
Alckmin in Stellung bringen.
Schon die umstrittene Amtsenthebung von Rousseff im Kontext einer breiten
Antikorruptionsstimmung hat keinesfalls den Rechtsstaat geschützt, sondern
nur eine rechtskonservative Regierung an die Macht gebracht, die an den
Urnen keine Chance hatte. Institutionen wie Staatsanwaltschaft, Justiz und
Polizei werden heute in Brasilien im Namen der Korruptionsbekämpfung mehr
für ideologische Zwecke missbraucht, als dass sie dem Übel an die Wurzel
gehen.
8 Apr 2018
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[1] /Brasiliens-Ex-Praesident-Lula/!5496755/
## AUTOREN
Andreas Behn
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