# taz.de -- Kriminologe über Amokfahrt von Münster: „Ein erweiterter Selbst… | |
> Es gibt eine Verschiebung hin zum Individualterrorismus, sagt Thomas | |
> Feltes. Der Kriminologe spricht über die Gefährdung durch psychisch | |
> erkrankte Menschen. | |
Bild: Das Tatfahrzeug von Münster | |
taz: Herr Feltes, was war die Tat ein Amoklauf oder ein Attentat? | |
Thomas Feltes: Amoklauf im ursprünglichen Wortsinn heißt, dass jemand mit | |
dem Messer oder einem Gewehr losgeht, um eine möglichst große Zahl von | |
Menschen zu töten. Der Begriff ist zu einem Zeitpunkt entstanden, als es | |
noch keine motorisierten Fahrzeuge gab. Man kann Münster demnach als | |
Amokfahrt bezeichnen, denn dem Täter ging es nach dem, was wir bisher | |
wissen, darum ungezielt Menschen zu töten. Wenn dort aber jemand gewesen | |
sein sollte, dem er gezielt schaden wollte oder das Restaurant selbst | |
gezielt angegriffen wurde, wäre es kein Amoklauf. | |
Sondern ein Attentat? | |
Dann wäre es schlichtweg versuchter Mord. Den Begriff Attentat würde ich | |
für Mordversuche auf Repräsentanten des Staates oder hochrangige Personen | |
reservieren wollen, so wie man traditionell Morde an Königen Attentate | |
genannt hat. | |
Bei der Tat von Münster konnte man früh bezüglich eines islamistischen | |
Hintergrunds stutzig werden. Der Täter hat sich selbst nach der Fahrt | |
erschossen. Das ist bei Islamisten nicht üblich. | |
Ich bin mir nicht so sicher. Wir haben im Bereich Terrorismus eine | |
Verschiebung hin zu Individualterroristen, die sich außer der Tatsache, | |
dass sie Schaden anrichten wollen, wenig um Gepflogenheiten scheren. Die | |
Münsteraner Polizei hat sehr gut reagiert, indem sie gesagt hat: Haltet | |
euch mit Interpretationen zurück, bevor wir mehr wissen. | |
Warum begeht man eine solche Tat? | |
Meist gibt eine depressive Phase bei solchen Menschen, wo sie die Hoffnung | |
auf ein für sie sinnvolles Leben aufgegeben haben und sagen: Ich will | |
möglichst viele andere Menschen mit in den Tod nehmen, um ein Zeichen zu | |
setzen. Zu der psychischen Störung muss dafür noch Hass auf die | |
Gesellschaft oder andere Menschen hinzukommen. Letztlich war Münster ein | |
erweiterter Selbstmord, bei dem andere Menschen in den Selbstmord mit | |
hineingenommen werden. Das sind in der Regel, aber eben nicht immer | |
Angehörige. | |
Und dann nimmt der Täter eine Tatform als Vorbild, die gerade ein bisschen, | |
sagen wir, in Mode ist: nämlich mit Autos in Menschenansammlungen | |
hineinzufahren? | |
Kriminologen kennen das als „Werther-Effekt“. Als sich zum Beispiel | |
Marilyn-Monroe selbst tötete, stieg die Zahl der Suizide an. Durch Berichte | |
über Amokfahrten sehen Menschen, die den Wunsch haben, andere mit in den | |
Tod zu nehmen: Das ist relativ leicht zu bewerkstelligen. | |
In Münster sind Einwohner wieder ausgegangen, als sie wussten: Es war ein | |
psychisch gestörter Deutscher. Müssen wir uns vor denen weniger fürchten | |
als vor islamistischen Terroristen? | |
Natürlich nicht. Die Wahrscheinlichkeit, durch eine terroristische Tat zu | |
Tode zu kommen, ist extrem niedrig … | |
… und durch eine Tat von psychisch gestörten? | |
Wenn wir den familiären Nahbereich mit einbeziehen, ist sie nicht mehr ganz | |
so niedrig. Eine Vielzahl von Familientragödien, die es nicht in die | |
Schlagzeilen schaffen, haben einen solchen Hintergrund. Acht von zehn | |
Menschen, die von der Polizei erschossen werden, sind psychisch krank. | |
9 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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