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# taz.de -- 200. Geburtstag von Karl Marx: Marx als Marke
> In seiner Geburtsstadt Trier soll der berühmteste Sohn der Stadt ein
> ganzes Jahr lang gefeiert werden. Ein Besuch bei den Vorbereitungen.
Bild: Rot wie die Revolution: Marx-Ampelmännchen in Trier
TRIER taz | Im Ballettsaal des freien Kulturzentrums „Alte Tuchfabrik“
(Tufa), unweit der römischen Konstantinbasilika, haben die Vorproben für
die „Karl-Marx-Revue“ begonnen. Zwei Dutzend Männer und Frauen zwischen 18
und 74 Jahre alt üben pantomimische Bewegung und chorisches Sprechen. Auch
die „Tufa“ leistet ihren Beitrag zum Marx-Jahr. Anlass ist der 200.
Geburtstag des Philosophen, Journalisten und Revolutionärs am 5. Mai.
Szenen und Texte, Lieder und Installationen rund um Karl Marx und sein Werk
sollen im Herbst auf die Bühne gebracht werden. Im Sommer steigen
professionelle Schauspieler*innen und Musiker*innen ein. Bei den Vorproben
wagen Laien erste Schritte auf der Bühne. Vier von ihnen erzählen der taz
in einer Probenpause, warum sie mitmachen. Anika, 18, sucht eine Ergänzung
zum Schulunterricht, in dem sie sich mit Marx auseinandersetzen muss.
Alfons, 74, Künstler und Architekt, beklagt, in der Schule habe man Marx
stets „als etwas Schlimmes“ dargestellt.
Später sei er gescholten worden, er singe Nazilieder, als er zum
Schifferklavier deutsche Volkslieder gesungen habe. „Beides hat mich
irritiert, ich will mit der Arbeit an der Revue mehr über die Zusammenhänge
erfahren“, sagt der Mann mit Bart und langer Mähne. Ihn kann man sich gut
in der Rolle von Karl Marx vorstellen.
Susanne, 61, lässt sich parallel zu den Proben als Stadtführerin ausbilden,
die den Zehntausenden Gästen, die erwartet werden, die Lebensstationen des
frühen Marx zeigen wird. „Die Stadt hat Marx als Marke erkannt“, sagt die
engagierte Triererin.
Ein ganzes Jahr lang feiert Trier seinen berühmtesten Sohn, der seine
Heimat aus politischen Gründen früh verlassen musste. Trier ehrt den Denker
mit zahlreichen Ausstellungen, Themenführungen, Podien, spektakulären
Events und eben auch mit einer Revue, bei der BürgerInnen mitmachen können.
Rund 300 Veranstaltungen führt das Festprogramm auf.
„Marx in der Karikatur“ heißt eine Ausstellung. In einem Vortrag wird die
politische Ökonomie von Entenhausen nach der Marx’schen Theorie untersucht,
Dagobert Duck als früher Kapitalist. In der Tufa wird man wie im Comic in
Geldmünzen „baden“ können. Geldschein-Flyer mit dem Wert von „200 Marx�…
werben schon jetzt für die Aktion. Marx-Banknoten mit echtem Wasserzeichen
und dem Nennwert „Null Euro“ sind in Vorbereitung. Auf dem Programm stehen
zudem rund dreihundert Themenführungen durch die Stadt.
## Armut im englischen Exil
Da ist zum Beispiel Dorothee Gasber. Als „Jenny Marx“ begrüßt sie ihre
Gäste im Biedermeierkostüm auf dem Trierer Kornmarkt. Sie zeigt auf das
klassizistische Casino-Gebäude gegenüber, seit seiner Eröffnung 1825 Stolz
der Trierer Bürgerschaft. „Hier saßen mein Vater, Ludwig von Westphalen,
und mein späterer Schwiegervater, Justizrat Heinrich Marx, beim Weine
zusammen“, sagt sie und berichtet, scheinbar verlegen, von ihren ersten
Begegnungen mit „Charly“, mit dem sie im Casino das Tanzbein geschwungen
habe.
Gasber alias Jenny erzählt die Geschichte des großen Denkers aus der
Perspektive seiner Ehefrau. Sie zeigt das barocke Wohnhaus in der
Brückenstraße, in denen der kleine Karl seine ersten Schritte machte. Sie
berichtet erbost von Charlys Seitensprüngen, aber sie schildert ihn auch
als liebenden Ehemann und Vater ihrer gemeinsamen Kinder, etwa wenn er auf
allen Vieren durch die Wohnung kroch und die Kleinen auf seinem Rücken
reiten ließ.
Eindrucksvoll berichtet Jenny von der Armut im englischen Exil. Sie liest
einen Brief vor, den der Philosoph an seinen Gönner Friedrich Engels
schrieb: Marx klagt darin, dass die Familie „aus Mangel an Credit“ leider
kein Fleisch zu essen habe; wegen seiner zerschlissenen Kleidung wage er
sich nicht mehr vor die Tür, um einen „Scandal“ zu vermeiden. Jenny
berichtet von der alltäglichen Not, „nur drei von sieben unserer Kinder
haben überlebt“, selbst für die Begräbnisse der Kinder habe das Geld
gefehlt, so Jenny. Linderung brachte erst ein Erbe, das Jenny nach dem Tod
ihres adligen Onkels zustand. Darauf hatte Marx in seinem Brief an Engels
bereits spekuliert: „Stirbt der Hund, so bin ich aus der Patsche heraus“,
heißt es da respektlos.
Jenny erinnert aber auch an ihren persönlichen Beitrag zu Marx’ Werk. Sie,
deren Mutter von schottischem Adel gewesen sei, habe schließlich die
Zeitungsartikel ins Englische übersetzt, die Marx an die New York Daily
Tribune verkaufen konnte. Marx selbst habe sie vor Freunden als „mein
Sekretär“ bezeichnet und sie damit als seine bedeutendste Mitarbeiterin
geadelt, berichtet Gasber alias Jenny Marx. „Mehr konnte eine Frau in
meiner Zeit nicht erreichen“, sagt sie.
## Laufbänder befördern Einsichten
Zur Eröffnung der großen Landesausstellung am 5. Mai kommt ihr Schirmherr,
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Ausstellung zeigt Marx’ Werk
in seiner Zeit. Die Lebenssituation der Menschen in der Industrialisierung
des frühen 19. Jahrhunderts steht im Zentrum. So rattern in einer großen
Installation, der „Marx-Maschine“, Metallbauteile und Laufbänder. „Sie
befördern hier keine Waren, sondern Einsichten“, heißt es in der
Ankündigung. An den Stationen erfahren die Besucher vom Wesen des
kapitalistischen Produktionsprozesses. Die Maschine zeichnet den
Arbeitskreislauf der Industrie und die Akkumulation des Kapitals nach. Karl
Marx’ bekanntestes Werk, „Das Kapital“, wird so in Szene gesetzt. Zwischen
den Förderbändern und den Stationen zeigen Exponate die Arbeitswelt des 19.
Jahrhunderts, etwa historische Arbeitsschutzkleidung oder Stechuhren.
Das letzte Marx-Jubiläum 1983 war deutlich von der Wirkungsgeschichte des
revolutionären Denkers geprägt, davon, was Marx’ Theorie in der
Weltgeschichte ausgelöst hat. Doch der antikommunistische Impetus der 80er
Jahre scheint überwunden. „Anders als bei den vorangegangenen Marx-Jubiläen
betrachten wir das Werk eher im historischen Kontext,“ betont Rudolf Hahn,
der Koordinator des Jubiläumsprogramms, und fügt hinzu: „ganz wichtig ist
es uns diesmal, dass die Menschen dieser Stadt daran Anteil nehmen.“
Sogar das Bistum leistet seinen Beitrag zu Ehren des prominenten
Kirchen-Kritikers. „Wir huldigen ihm nicht“, sagt Micha Flesch, der
Kulturbeauftragte des Bistums, „aber wir respektieren ihn, weil auch er
stets vom Menschen her gedacht hat.“ Unter anderem wird der Vorsitzende der
Bischofskonferenz, Reinhard Marx, an seinem früheren Bischofssitz über das
Verhältnis von Lebensglück und Geld diskutieren. Wie viele andere Trierer
trägt er den gleichen Nachnamen, ohne mit Karl Marx verwandt zu sein.
Dabei ist auch die Volksrepublik China. Sie hat eine 4,40 Meter große Figur
aus Bronze des Künstlers Wu Weishan gestiftet. Das Denkmal zeigt einen
kantigen Marx, der dynamisch ausschreitet. Die Statue ist vor wenigen Tagen
in Trier eingetroffen, bruchsicher verpackt. „Sie wird bis zum 5. Mai an
einem geheimen Ort aufbewahrt“, heißt es. Dann wird sie auf dem
Simeonstiftplatz feierlich enthüllt, im Beisein hoher chinesischer
Staatsgäste. Vor dem Vandalismus von Farbsprühern ist sie allerdings
vorsichtshalber mit einer Wachsschicht geschützt.
Der anfängliche Widerstand der Trierer gegen das monumentale Denkmal ist
inzwischen verblasst. Schließlich stellen Gäste aus China eine wichtige
Touristengruppe. Zehntausend besuchen jedes Jahr Trier und das Museum in
Marx’ barockem Geburtshaus in der Brückenstraße. Zurzeit ist das Museum
geschlossen. Es wird für den 5. Mai aufpoliert.
An diesem kalten Tag Ende Februar sind deshalb nur vier Touristen aus China
unterwegs. Auf die Frage nach Marx winken sie ab. Sie kommen gerade aus
Paris und interessieren sich eher für die römischen Baudenkmäler. Auch die
Reisegruppe aus Ho-Chi-Minh-Stadt mag nichts zum Vordenker sagen, auf den
sich die kommunistischen Staatsideologie ihres Landes beruft. Sie posiert
lieber mit Fähnchen vor der Porta Nigra, dem mächtigen römischen Stadttor.
Das steht nur deshalb noch, weil es im Mittelalter zur Kirche umgebaut
worden war.
## Gäste aus Fernost
Würden sich die Gäste aus Fernost der Stadtführung von Xaver Brandner
anschließen, könnten sie eine kleine Einführung in die Gedankenwelt des
historischen Materialismus erleben. Brandner erläutert nämlich an Ruinen,
Plätzen und Gebäuden der Stadt die Verteilungs- und Machtkämpfe der letzten
2.000 Jahre. Da sind die eindrucksvollen Reste der römischen Kaiserstadt,
mit deren Prachtbauten die Besatzer dem unterworfenen Volksstamm der
Treverer ihre Macht demonstrierten.
Nach dem Untergang der Römer bauten Bischöfe den mächtigen Dom aus den
Steinen der niedergerissenen römischen Stadtbefestigung. Xaver Brandner
zeigt auf die erste Stadtkirche, St. Gangolf, mit dem höchsten Turm der
Stadt. Das aufstrebende Bürgertum habe so seinen Reichtum demonstriert.
Doch der Bischof, gleichzeitig Kurfürst und weltlicher Herr, habe Grenzen
aufgezeigt. Postwendend ließ er den Westturm seines Domes aufstocken und
die alte Hierarchie wiederherstellen.
Der Stadtführer zeigt auf die prächtige goldene Turmuhr der Bürgerschaft.
„Betet und wachet“ lautete die fromme Inschrift, doch der Bischof behielt
auch hier das letzte Wort. Die Inschrift auf dem Turm seines Doms erinnert
bis heute an das jüngste Gericht, dessen Stunde niemand voraussagen könne,
schon gar nicht das Bürgertum. Den Wettstreit zwischen Bischof und
Stadtgesellschaft habe schließlich erst Napoleon entschieden, der in Trier
mit Jubel empfangen worden sei, berichtet Brandner.
Wenige Jahre später war der Traum von der Republik indes ausgeträumt. Dem
französischen Recht folgte die Willkür der preußischen Besatzer, die Trier
und die Rheinprovinz ausplünderten. In dieser Zeit, die von Unterdrückung
und Armut geprägt war, bestand ein gewisser Karl Marx sein Abitur, am
Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, benannt nach dem ungeliebten preußischen
König.
In der absolutistischen Gesellschaft Preußens war später für Marx kein
Platz. Man versagte ihm eine Professur. Er floh vor Zensur und
Unterdrückung. Sein epochales Werk entstand in Paris, Brüssel und London.
Marx starb als Staatenloser im Londoner Exil. Seine Geburtsstadt diskutiert
auch heute noch kontrovers über ihn, zum Beispiel über die Frage, ob die
Trierer Universität in Zukunft seinen Namen tragen soll. Die Entscheidung
steht aus.
15 Apr 2018
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
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Trier
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