Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pilgern zu Karl Marx: Besuch beim linken Übervater
> Trier ist eine Pilgerstätte für chinesische Touristen – denn hier steht
> das Geburtshaus von Karl Marx. Er bleibt die Ikone des Kommunismus und im
> chinesischen Leben präsent.
Bild: Mitglieder der Roten Garde in China demonstrieren während der Kulturrevo…
TRIER taz | Es geht alles ganz schnell und ganz leise. Plötzlich ist sie
da: die 16-köpfige chinesische Reisegruppe im Trierer Geburtshaus von Karl
Marx. Während deutsche Touristen einen Riesenlärm machen und sich
umständlich vom Reiseleiter jede Kleinigkeit erklären lassen, sind die
Chinesen hier pragmatisch. Kaum angekommen, strömen schon die Ersten mit
ihren Audioguides in das Museum.
Im einen Moment noch weltgewandt, spürt man im zweiten den Muff der
Diktatur. Mit einem Journalisten reden können oder wollen sie trotz
Ankündigung nicht. Auch die des Englisch mächtigen Besucher vertiefen sich
gekünstelt in ihre Audioguides oder überhören lächelnd die Frage nach ihrer
Europareise. Eine Chinesin mittleren Alters in hellblauer Daunenjacke
erbarmt sich schließlich zu einer Antwort: "Unser Führer hat gesagt, wir
sollen nicht mit Ihnen reden", presst sie auf Englisch heraus und ist schon
wieder weg, im nächsten Raum. "Was immer man aus Marx gemacht hat: Das
Streben nach Freiheit, nach Befreiung der Menschen aus Knechtschaft und
unwürdiger Abhängigkeit war Motiv seines Handelns", kommentiert Willy
Brandt auf der Wand hinter ihr. Vielleicht hätte die Museumsleitung dieses
Zitat auch auf Chinesisch anbringen lassen sollen.
"Der Besuch hier ist uns sehr wichtig, weil Karl Marx der Vater des
Kommunismus ist", erklärt schließlich Li Xin, ausgerechnet jener
Reiseleiter, der seinen Teilnehmern vorher angeblich verboten hat, mit
Journalisten zu reden, und schaut durch seine etwas zu dicken
Brillengläser. Mehr ist aus ihm auch nicht herauszubekommen. Er
verabschiedet sich. Der Rest der Gruppe ist schon wieder vor dem Haus und
macht Fotos. Die scheinen den chinesischen Touristen ohnehin am
wichtigsten. In den 30 Minuten, in denen die Gruppe von
Human-Ressources-Managern aus der chinesischen Provinz Jiangsu durch das
pittoreske Patrizierhaus hetzt, bleibt kaum Zeit für Inhalte. Trier wird in
drei Stunden abgehakt. Gleich geht es weiter nach Stuttgart. Von dort aus
nach Frankfurt und Heidelberg. Der Geist ist willig, aber die Zeit ist
knapp.
Trotz des eng gerafften Sightseeing-Marathons, das die chinesischen
Touristen in Deutschland absolvieren, ist die Provinzstadt an der Mosel für
nahezu alle Teil des Pflichtprogramms. Rund 12.000 chinesische Besucher
hatte das Karl-Marx-Haus allein 2008. Dazu kommen tausende, die nur vor dem
Haus ein Beweisfoto machen und dann weiterreisen. Aber wie kommt es, dass
dieser Bartträger heute am anderen Ende der Welt immer noch so populär ist?
"Das Bild von Karl Marx ist in China niemals ins Negative umgeschlagen",
erklärt André Hakmann, Geschäftsführer des Konfuzius-Instituts in Trier,
"viele glauben sogar, dass er mehr mit China zu tun hat als mit
Deutschland." Zusammen mit einem Sinologie-Professor der örtlichen Uni hat
er eine Studie über die Besucher des Karl-Marx-Hauses gemacht, für die er
mehrere 10.000 chinesische Gästebucheinträge seit 1975 analysiert hat. Auch
eine nicht repräsentative Umfrage floss in seine Forschungsarbeit ein.
"Die Sprache in den Einträgen ist immer noch sehr kommunistisch. Oft stehen
da Parolen wie ,Proletarier aller Länder vereinigt euch!' oder ,Wir sind
Soldaten der Arbeiter-und-Bauern-Armee'. Viele verbinden auch heute noch
große Emotionen mit Karl Marx. Der Tenor der Einträge sieht ihn als großes
Glück für China. Er gilt als die Person, deren Ideen die Befreiung gebracht
haben", sagt Hakmann.
Rund 54 Prozent der chinesischen Besucher - so das Ergebnis seiner Studie -
messen Marx heute eine positive Rolle für China zu, 17 Prozent ist er
gleichgültig und nur sechs Prozent assoziieren etwas Negatives mit dem
linken Übervater.
Dementsprechend verwundert es nicht, dass auch viele hohe Parteikader zum
Teil undercover nach Trier kommen. So war beispielsweise 2005 eine
Delegation des Ministeriums für Disziplinaraufsicht samt Minister zu
Besuch. "Es ist sogar noch nicht einmal ausgeschlossen, dass Hu Jintao, der
chinesische Staatspräsident, oder der Premierminister Wen Jiabao mal
irgendwann hier waren", sagt Sebastian Heilmann, Politikwissenschaftler und
China-Experte an der Universität Trier.
Obwohl das Land heute wirtschaftlich liberaler denn je agiert, spielen die
Symbolfiguren des China-Kommunismus doch nach wie vor eine große Rolle.
Auch in China selbst boomt ein "roter Tourismus", der beispielsweise
jährlich über drei Millionen Besucher allein in die kleine Provinzstadt
Shaoshan führt, den Geburtsort von Mao Tse-tung. Die geistigen
Gründungsväter des heutigen China werden kultisch verehrt. Entsprechend
selten gehen die Besucher auch kritisch mit ihrem Erbe um. Chinesische
Einträge wie "Alter Marx, du hast 1,3 Milliarden Menschen großen Schaden
zugefügt" sind eine Seltenheit im Trierer Gästebuch.
Auch Zhang Chunmei - eine unauffällig schwarz gekleidete Frau mit
mittellangen Haaren - teilt die Begeisterung ihrer Landsmänner und -frauen.
Die 46-Jährige ist Vizedirektorin des Fachbereichs Philosophie am Shanghai
Administration Institute, einer elitären Kaderschmiede in der bedeutendsten
Industriestadt Chinas. Sie genießt das Privileg einer Privatführung durch
die Geburtsstätte des deutschen Philosophen. Interessiert lauscht sie
Beatrix Bouvier, der Leiterin des Hauses, lächelt häufig und stellt Fragen.
Eine Tafel mit den Namen von Intellektuellen, die von Marx beeinflusst
wurden, interessiert sie besonders. Auch, was die Deutschen über Marx
denken, will sie wissen. Bouvier klärt über sein hier vielerorts schlechtes
Image auf. Zhang schaut ungläubig.
Im letzten Raum des Rundgangs werden die globalen Auswirkungen der
Marxschen Theorie behandelt. Eine Tafel ist China gewidmet. Hier werden
auch die Ereignisse von 1989 am Platz des Himmlischen Friedens erwähnt. Die
Demokratiebewegung wurde damals von der eigenen Regierung brutal
niedergeschlagen. Ein Tabuthema in der Heimat von Zhang. Darauf
angesprochen, lächelt sie nur verlegen und schweigt. "Bitte keine
peinlichen Fragen", flüstert Bouvier auf Deutsch. Okay, so geht man nicht
mit Gästen um.
"Marx ist für uns eine Idee, wie man die Welt sehen kann. Wir haben noch
einen langen Weg vor uns, um diese Vorstellungen umzusetzen. Er ist ein
großer Philosoph, an dem ich auch als Wissenschaftlerin interessiert bin",
erläutert Zhang später ihren Standpunkt. "Mit Mao haben wir Marx Ideen an
die chinesische Tradition und Geschichte angepasst. Konfuzius ist auch sehr
wichtig. Eine harmonische Gesellschaft ist unser Ziel. Marx kann uns
beibringen, Missstände zu kritisieren. Das ist der einzige Weg, Lösungen
für unsere Probleme zu finden", schiebt sie hinterher. Als Zhang dies sagt,
weiß man nicht, ob man ihrem Lächeln glauben soll.
17 Dec 2009
## AUTOREN
Robert Ackermann
## TAGS
Karl Marx
## ARTIKEL ZUM THEMA
200. Geburtstag von Karl Marx: Marx als Marke
In seiner Geburtsstadt Trier soll der berühmteste Sohn der Stadt ein ganzes
Jahr lang gefeiert werden. Ein Besuch bei den Vorbereitungen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.