# taz.de -- Kunstraub in Bremen: Putzfrau staubt Nolde ab | |
> Im Streit um einen gestohlenen Emil Nolde vor dem Landgericht Bremen | |
> haben alle verloren – außer einer Haushaltshilfe, die das Bild klaute. | |
Bild: Von den Besitzern nicht vermisst: „Wolkenhimmel“ von Emil Nolde | |
BREMEN taz | Niemand hat Emil Nolde vermisst. Jahrelang lagerten die teuren | |
Aquarelle unbeachtet in einer schnöden Kommode – ein Bild war sogar achtlos | |
an die Wand gelehnt. Die damals 68-jährige Wieslawa S., die in dem | |
wohlhabenden Haushalt in Berlin-Schmargendorf putzte, muss sich eines Tages | |
gedacht haben: Wenn sich ohnehin niemand für diese Kunstwerke interessiert, | |
werden sie auch keinem fehlen. | |
Sie sollte für eine lange Zeit recht behalten: Drei Aquarelle des | |
norddeutschen Malers Emil Nolde klaute sie: „Wolkenhimmel“, „Junge mit | |
Narrenkappe“ und „Stilleben mit Masken“. Die gestohlenen Bilder sind | |
wertvoll, Noldes Aquarelle sind für ihre Leuchtkraft und Radikalität | |
bekannt. Besonders das gestohlene Aquarell „Wolkenhimmel“ besticht durch | |
knallige, fast kitschige rosa-lila-Farbtöne im mutmaßlich norddeutschen | |
Sonnenuntergang 1935. | |
Trotz der Signalfarben fällt zwei Jahre lang niemandem auf, dass das Bild | |
fehlt. Wieslawa S. nimmt es aus dem Rahmen und platziert einen Kunstdruck | |
darin. Erst die Erben bemerken später, dass in der Sammlung ein paar Noldes | |
fehlen und erstatten umgehend Anzeige. Da hatte Wieslawa S. den | |
Wolkenhimmel längst verkauft – über 70.000 Euro hat ein Galerist auf einer | |
Auktion in Bremen dafür gezahlt. Geputzt hat die mittlerweile 70-Jährige | |
dann wohl nicht mehr. | |
## Das Geld ist futsch | |
Als alles herauskam, verurteilte das Amtsgericht Tiergarten sie im Dezember | |
2016 wegen Diebstahls und Betrugs in drei Fällen. S. bekam eine | |
Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten – allerdings auf Bewährung, | |
weil sie geständig war und keine Vorstrafen hatte. Das Geld war da schon | |
längst weg, wie es hieß. Inzwischen lebt S. in Polen. | |
An diesem Nachmittag Anfang März im Bremer Landgericht allerdings war sie | |
die Hauptperson. Alle Verfahrensbeteiligten im Saal 115 mit reich | |
verzierter Holzvertäfelung konnten sich darauf einigen, dass sie von S. | |
beschissen wurden. Sowohl das Auktionshaus Auctionata, zu dem Wieslawa S. | |
ging, um den Wolkenhimmel zu versteigern, als auch der Galerist, der das | |
Bild erwarb und gewinnbringend für 160.000 Euro weiterverkaufte, fühlten | |
sich als Opfer der ehemaligen Haushaltshilfe, bei der finanziell nichts | |
mehr zu holen sei. | |
Im Auktionshaus kam man nicht auf die Idee, dass der Nolde Diebesgut sein | |
könnte – zumal das Aquarell überhaupt nicht als gestohlen gemeldet war. | |
Auch deswegen ließ ein Kunsthistoriker des Auktionshauses mit Sitz in | |
Bremen und Berlin lediglich die Echtheit, nicht jedoch die Provenienz des | |
Noldes durch ein Gutachten bestätigen. | |
Wieslawa S. war am 7. Oktober 2014 in das Auktionshaus gekommen. Sie wolle | |
ein Bild versteigern, das ihr angeblich ihr Mann als Altersvorsorge | |
vermacht habe. Sie wisse nicht, von wem es ist. Nachdem sie den | |
Wolkenhimmel gestohlen hatte, fügte sie das Aquarell in ein Passepartout | |
und einen Plastikrahmen ein, sodass die Original-Signatur Noldes im | |
Verborgenen lag. Im Auktionshaus staunte man nicht schlecht. Das Auftreten | |
von S. sei authentisch und selbstbewusst gewesen, versicherte | |
Geschäftsführer Christian Gründel vor Gericht. | |
Einen Monat später schon kam das Bild bei einer Auktion neben anderen | |
teuren Bildern und Antiquitäten unter den Hammer. Ein Käufer ließ | |
angesichts des echten Noldes auch nicht lange auf sich warten: 77.000 Euro | |
zahlte der Galerist aus Essen für den Wolkenhimmel, inklusive Provision und | |
Pauschale für das Auktionshaus. 50.000 davon bekam S. | |
Der Galerist Hans N. ließ erneut die Echtheit prüfen und verkaufte es wenig | |
später weiter: Diesmal sogar für 160.000 Euro. Als zwei Jahre später jedoch | |
herauskommt, dass das Kunstwerk gestohlen ist, muss der Käufer es | |
zurückgeben. Das Geld bekommt er zurück – der Galerist will sich daraufhin | |
seinen Verlust vom Auktionshaus zurückholen. | |
## „Mit Nolde unterm Arm“ | |
Er ist ein älterer Herr mit feinem Anzug. Vor Gericht sagt er: „Wenn jemand | |
mit einem Nolde unterm Arm kommt, ist es meine Aufgabe als Auktionshaus | |
herauszufinden, woher das Bild kommt.“ Als seriöser Händler müsse man doch | |
stutzig werden, „wenn da eine polnische Putzfrau kommt, ohne Ahnung zu | |
haben, was sie da eigentlich in der Hand hat“, sagt N. sichtlich | |
aufgebracht. | |
Das Auktionshaus sah das allerdings völlig anders – das Gemälde sei ja | |
nicht einmal als gestohlen gemeldet gewesen. Alle Kunden hätten zudem | |
Anrecht auf eine schnellstmögliche Versteigerung, weswegen es unüblich sei, | |
zeitaufwändige Provenienzforschung zu betreiben. Auch richtige | |
Flohmarktfunde seien gar nicht so selten. Es komme vor, dass ahnungslose | |
Leute mit teuren Gegenständen vorbeikämen. Hinzu komme, dass man ja selber | |
von der Frau betrogen worden sei. Die habe schließlich die 77.000 Euro | |
abzüglich 20.000 Euro Provision kassiert. | |
Die Emil-Nolde-Stiftung im schleswig-holsteinischen Seebüll bestätigt, dass | |
Provenienzforschung komplex ist. Astrid Becker, Vorsitzende des | |
dokumentarischen Archivs der Stiftung, sagte der taz: „Wir machen | |
Provenienzforschung nach Anfragen kostenfrei.“ Schnelle Auskünfte zu | |
einzelnen Werken könne man aber in der Regel nicht geben – „Es ist | |
Forschung und oft richtige Recherchearbeit, wir müssen den Weg eines | |
Kunstwerks möglichst lückenlos nachweisen können“, so Becker. Anfragen von | |
Auktionshäusern und Galerien seien eher selten. Gutachten zur Echtheit | |
erledige in der Regel der ehemalige Stiftungsdirektor Manfred Reuter. | |
„Juristisch gesehen ist der Fall einfach schön“, sagte der Richter Gunnar | |
Isenburg während der Verhandlung. „Man kann so oder so entscheiden – es | |
steht genau 50 zu 50.“ Es sei eine Auslegungsfrage, wer für den Verlust | |
haften müsse. Fraglos jedoch würde eine Entscheidung zugunsten einer Partei | |
ausfallen. Knackpunkt bei der Rechtsfrage sei, wie man den Terminus | |
„öffentliche Versteigerung“ aus den Geschäftsbedingungen des Auktionshaus… | |
versteht, so Isenburg. Die Interpretation von „öffentlich“ sei | |
Auslegungssache – ob es wie in der Rechtsprechung und aus Sicht des | |
Galeristen eine gewisse Legitimität der Waren suggeriert oder einfach nur | |
wie im alltäglichen Sprachgebrauch meint, dass jeder zur Auktion kommen | |
könnte, was laut Auktionshaus hier der Fall sei. | |
## Rabatte für Rares | |
Richter Isenburg machte den Beteiligten bei aller Liebe zu dieser | |
Rechtsfrage allerdings auch klar: Das Ausfechten des Streits kann teuer | |
werden. Auch weil das Gerichtsverfahren durch weitere Instanzen gehen | |
könnte, riet er aus kaufmännischer Sicht, sich zu einigen. „Alles andere | |
ist wirtschaftlicher Wahnsinn“, so Isenburg. Ansonsten kämen zu dem ohnehin | |
für beide entstandenen Schaden noch die 12.000 Euro für das | |
Oberlandesgericht, sowie Kosten einer möglichen Revision hinzu. | |
Nach einer kurzen Bedenkpause und einem Telefonat des Galeristen mit seiner | |
Frau schlossen die Streitparteien Frieden. Sie einigten sich erneut darauf, | |
dass sie beide betrogen wurden. Das Auktionshaus erklärte sich bereit, | |
einen Teil des Verlustes der Galerie in Höhe von 77.000 Euro zu übernehmen. | |
48.000 zahlt Auctionata dem Galeristen. Und damit man sich wieder in die | |
Augen schauen kann, gibt es künftig Sonderkonditionen für alle Käufe, die | |
N. dort tätigt. Mit einem Handschlag ist alles besiegelt. Vielleicht ist ja | |
mal wieder ein Nolde günstig zu haben. | |
26 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
## TAGS | |
Gerichtsprozess | |
Auktion | |
Schadensersatz | |
Raubkunst | |
Emil Nolde | |
Kunstraub | |
Hildebrand Gurlitt | |
Museum | |
NS-Raubkunst | |
Raubkunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eröffnung von Gurlitt-Ausstellungen: Wem gehören die Werke? | |
Die Bundeskunsthalle Bonn und das Kunstmuseum Bern zeigen parallel erstmals | |
Exponate aus dem „Schwabinger Kunstfund“. | |
Virtuelles „Museum der 1000 Orte“: Verborgene Kunstsammlung | |
Ein grandioses Museum wächst im Internet. Es zeigt die Kunstwerke, die als | |
Kunst am Bau oft dort entstanden, wo Minister ein- und ausgehen. | |
Forschung zur NS-Raubkunst: Ein weißer Fleck in der Geschichte | |
NS-Rauborganisationen sind bisher zu wenig untersucht worden. 1.400 vom | |
„Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ konfiszierte Gemälde fehlen bis heute. | |
Bild aus dem Gurlitt-Fund: Der Matisse der Rosenbergs | |
Für einen Matisse der Sammlung Gurlitt steht der rechtmäßige Vorbesitzer | |
fest: Ein Pariser Kunsthändler. Seine Nachfahren wollen das Bild zurück. |