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# taz.de -- Virtuelles „Museum der 1000 Orte“: Verborgene Kunstsammlung
> Ein grandioses Museum wächst im Internet. Es zeigt die Kunstwerke, die
> als Kunst am Bau oft dort entstanden, wo Minister ein- und ausgehen.
Bild: Thorsten Goldberg, „Cumulus Berlin“, am Berliner Dienstsitz des Bunde…
Seit 5 Jahren residiert das UN–Klimasekretariat im ehemaligen Bonner
Abgeordnetenhochhaus „langer Eugen“. An der Stirnwand des Gebäudes zeigt
ein überdimensionales Rundthermometer von 3,40 Meter Durchmesser die
aktuelle Temperatur an. Es erinnert an Klimawandel und ist Kunst.
Das [1][Thermometer von Michael Sailstorfer] ist eines von etwa 10.000
Kunst-am-Bau-Projekten, die der Bund in den vergangenen 70 Jahren in
Auftrag gegeben hat. Für Ministerien, Behörden, Dienststellen im In- und
Ausland, von der deutschen Botschaft in Kabul bis zum Stasimuseum in
Berlin.
Ein Prozent der jeweiligen Bausumme, so die Formel seit 1950, werden für
Werke bildender Kunst ausgegeben. Damit sollen die jeweiligen Bauwerke
ästhetisch veredelt, kreative Assoziation zu den profanen Aufgaben
befördert und bei Bediensteten wie Besuchern emotionale Bindungen
hergestellt werden. Hohe Ansprüche.
Kunst am Bau ist Auftragskunst. Für Künstler, die sich darauf einlassen,
nicht ohne Risiko. Ihre Arbeiten müssen den durch Ort und Funktion
gegebenen Kontext akzeptieren, sich dabei gleichzeitig als eigenständige
Werke behaupten.
Wie das gelingen kann, zeigt sich exemplarisch im Bundesaußenministerium:
[2][Trak Wendischs Skulptur eines doppelten Seiltänzers] überspannt in
schwindelnder Höhe einen Innenhof, unabweisbar der Gedanke an riskante
Drahtseilakte internationaler Diplomatie. Zu Gesicht bekommen das
allerdings nur Menschen mit Hausausweis.
## 1000 Orte? 58. Noch
Trotz renommierter Namen von [3][Emil Schumacher] bis [4][Rebecca Horn]
führt Kunst am Bau oft eine Existenz im Halbschatten reduzierter
Aufmerksamkeit. Aber das ändert sich gerade. Das Bundesbauministerium und
das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung haben sich entschlossen, diese
zahlenmäßig wohl größte Kunstsammlung im Bundesbesitz öffentlich zu zeigen
im eigens dafür geschaffenen [5][„Museum der 1000 Orte“]. Das kann nur ein
virtuelles Museum sein. Eine Website.
Diese ist den Machern gut gelungen. Man kommt gar nicht auf den Gedanken,
hier würde ein Surrogat geliefert, ein elektronisches Bilderbuch als
verlegener Ersatz. Jedes einzelne Kunstobjekt wird in einer Serie von Fotos
präsentiert, sie zeigen Werk und Bauwerk im visuellen Kontext. Dazu Texte,
die Werk, Künstler, Bau, Historie in durchweg gelungener Mischung aus
Sachkenntnis, Engagement und Lesbarkeit verbinden. Suchfunktionen nach
Künstlern, Kunstwerken, Bauten, Zugänglichkeit, Entstehungsjahren, lokaler
Verortung erschließen sich – endlich einmal stimmt dieser Begriff –
intuitiv. Der virtuelle Museumsbesuch ist ein Vergnügen.
Die versprochenen „1000 Orte“ werden allerdings nicht erreicht. Tatsächlich
verzeichnet die Datenbank gerade 58 Orte mit 121 Arbeiten. Das sind
überschaubare Zahlen, angesichts der seit 1950 realisierten 10.000
Kunst-am-Bau-Werke. Aber der Titel ist wohl weniger Hochstapelei als
ehrgeizige Absichtserklärung, das virtuelle Museum soll kontinuierlich
ausgebaut werden.
Doch schon die erste Auswahl zeigt historische Entwicklungen: Der Mut zur
künstlerischen Brechung von Amtsfunktionen wuchs mit der Zeit – ein
überdimensionales Spielzeugboot wäre vor 70 Jahren an einem
Militärstützpunkt kaum denkbar gewesen. 2003 wurde die Skulptur [6][„Im
selben Boot“ von der Künstlergruppe Inges Idee] der Marineschule bei
Stralsund vor die Tür gelegt.
## Brechungen durch ihre Vorgeschichten
Kunst an Bonner Regierungsbauten der 1960er bis 1980er Jahre ließ Anschluss
an die internationale Moderne erkennen, aber blieb doch zurückhaltender als
die oft auftrumpfenden Gesten an und in späteren Amtsgebäuden der Berliner
Republik. Von denen zeigen manche mehrfache Brechungen, auch künstlerisch,
durch ihre Vorgeschichten.
Das Bundesfinanzministerium, nicht unbedingt ein Ort sozialistischer
Haushaltspolitik, wird von einem 24 Meter langen realsozialistischem
Wandbild geschmückt, Titel: [7][„Aufbau der Republik“]. Diese monumentale
Arbeit schuf in der frühen DDR der kommunistische Künstler Max Lingner, als
politisch-ästhetisches Signal gegen einen heroisierenden Soldatenfries, den
zuvor die Nationalsozialisten für das ursprüngliche
Reichsluftfahrtministerium Hermann Görings geordert hatten. Hier ist die
besondere Geste, Lingners Bild als Kunst am Bau und als Zeugnis deutscher
Zeitgeschichte zu erhalten.
Eine besondere Pointe setzt die Installation [8][„Pure Moore“] des Berliner
Bildhauers Fritz Balthaus. 221 Bronzebarren im Gesamtgewicht von 2,1
Tonnen. So viel wog die 2005 in England verschwundene „Reclining Figure“
von Henry Moore. Sie wurde mutmaßlich wegen des Materialwerts geklaut und
eingeschmolzen. Diese Erinnerung an einen nie aufgeklärten Kunstraub hat
ihren Platz im Innenhof des Bundeskriminalamts. Ironische Brechung und
Reflexion von Kunstwert zugleich. Allein diese Geschichte lohnt einen
Besuch im virtuellen „Museum der 1000 Orte“.
8 Aug 2017
## LINKS
[1] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/aussenthermometer
[2] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/seiltanzer
[3] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/o-t
[4] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/sonnenschatten
[5] https://www.museum-der-1000-orte.de/
[6] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/im-selben-boot-in-…
[7] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/aufbau-der-republik
[8] https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/pure-moore
## AUTOREN
Hans Jessen
## TAGS
Museum
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Irmela Mensah-Schramm
Kunst Berlin
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