# taz.de -- Urteil für Gruppe Freital: Sie sind alle Paragraf 129a | |
> Nach einer Gewaltserie gegen Geflüchtete im sächsischen Freital werden | |
> acht Angeklagte als terroristische Gruppe verurteilt. | |
Bild: Der Angeklagte ist auf Anforderung seines Rechtsanwaltes zum Schutz seine… | |
DRESDEN taz | Einer der größten Prozesse in Dresdens Nachkriegsgeschichte | |
beginnt tumultartig. Im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden | |
verkündet der Vorsitzende Richter Thomas Fresemann unter Zwischenrufen | |
eines der Anwälte das Strafmaß der acht Angeklagten im | |
[1][Freital-Prozess]: zehn Jahre Gefängnis für Timo S., neun Jahre und | |
sechs Monate für Patrick F. Beide sind verurteilt wegen vierfachen | |
versuchten Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung | |
und wegen zahlreicher weiterer Delikte. | |
Die vier weiteren Mitangeklagten nehmen ihre Freiheitsstrafen zwischen fünf | |
und achteinhalb Jahren konsterniert entgegen, die einzige Frau lacht auf. | |
Der heute 20-jährige Justin S. erhält eine Jugendstrafe von vier Jahren. | |
Damit bleibt das Gericht nur knapp unter dem Strafmaß, das die | |
Bundesanwaltschaft zuvor gefordert hatte. | |
Das Urteil ist eine Zäsur. Erstmals werden Flüchtlingsfeinde für eine | |
Anschlagsserie auf Asylunterkünfte als Terrorgruppe verurteilt. Das | |
Oberlandesgericht Dresden sendet damit ein Signal, nicht nur nach Sachsen: | |
Die Zeit, in der solche Taten als Bagatellen geahndet werden, ist vorbei. | |
Ab dem Sommer 2015 hatten die acht Angeklagten im sächsischen Freital, | |
unweit von Dresden, zwei Asylunterkünfte mit Sprengsätzen attackiert. Zudem | |
sprengten sie das Auto des Linken-Fraktionschefs Michael Richter, | |
zerstörten dessen Parteibüro und griffen das alternative Hausprojekt | |
Mangelwirtschaft in Dresden an. Richter Fresemann wies die Darstellung von | |
Angehörigen und Verteidigung zurück, denen zufolge hier bloß ein paar | |
Jugendliche über die Stränge geschlagen hätten. „Keine der Taten war von | |
spontanem Charakter oder hatte sonst etwas Jugendhaftes“, sagte er vor der | |
Urteilsbegründung. Ein Kreis von möglichen Anschlagszielen sei deutlich zu | |
erkennen: Geflüchtete, deren Unterstützer und Nahestehende der Linken. | |
Ein Jahr lang wurde über die Taten verhandelt. Vor Gericht sitzen zwei | |
Busfahrer, ein Pizzabote, ein Altenpfleger, ein Paketzusteller, ein | |
Gleisbauer-Azubi, eine gelernte Goldschmiedin und ein Mann, der aus | |
Früchten Figuren schnitzt. Sieben Männer, eine Frau, 20 bis 40 Jahre alt. | |
Auf Kundgebungen gegen eine Freitaler Asylunterkunft lernten sie sich | |
kennen. Später gründeten einige eine Bürgerwehr. Dann reichte auch das | |
nicht mehr. | |
## 130-fach stärker als Silvesterfeuerwerk | |
An die acht richtete Fresemann deutliche Worte. Der Anstieg an Brutalität | |
in Zeitraum von nur drei Monaten sei bemerkenswert: „Es stellt sich die | |
Frage, zu welchen Anschlägen es gekommen wäre, hätte es keine Festnahmen im | |
November 2015 gegeben.“ Die Gefahr für Leib und Leben der Opfer sei | |
insbesondere den Rädelsführern Timo S. und Patrick F. nicht nur bewusst | |
gewesen, sondern in Kauf genommen worden. | |
Wie Splitterbomben hätten die eingesetzten illegalen Böller gewirkt, teils | |
130-fach stärker als Silvesterfeuerwerk. In einem Fall waren einem Syrer | |
Glassplitter ins Gesicht geflogen. Nur durch pures Glück habe es keine | |
Toten gegeben. Die Bundesanwälte hatten bis zu elf Jahre Haft gefordert. | |
Aber war das Terrorismus? Die Verteidiger bestritten den Vorwurf vehement, | |
er sei „völlig überzogen“. Einige Anwälte sahen höchstens eine kriminel… | |
Vereinigung. Es habe keine feste Gruppe gegeben, alle Taten seien spontan | |
passiert, aus Frust. Nur anderthalb bis sieben Jahre Haft forderten die | |
Verteidiger für ihre Mandanten. | |
Die Bundesanwaltschaft indes hielt bis zum Schluss an ihrem | |
Terrorismusvorwurf fest. Natürlich handele es sich hier nicht um die RAF, | |
sagte ihr Vertreter. Den Terrorismusparagrafen 129a erfüllten sie dennoch. | |
Die Angeklagten hätten sich fest und konspirativ organisiert, mit zwei | |
Rädelsführern und in einem verschlüsselten Chat. Die Gruppe habe einen | |
„tief verwurzelten Fremdenhass“ geteilt, ihre Taten genau geplant und um | |
die potenziell tödliche Wirkung ihrer Sprengsätze gewusst. Und sie habe | |
letztlich ein Signal an alle Geflüchteten im Land gesendet: Ihr seid hier | |
nicht sicher. | |
## Unbedarfte Blitzradikalisierte? Eher nicht | |
Auch Alexander Hoffmann sieht das so. Der Anwalt vertritt einen der | |
angegriffenen Syrer im Prozess und ist eigentlich ein Kritiker des | |
Terrorismusparagrafen 129a. „Wenn es den Paragrafen aber nun mal gibt, dann | |
muss er auch im Fall Freital gelten.“ Denn die Gruppe habe mit ihren Taten | |
auf die ganze Gesellschaft abgezielt – und Flüchtlingen und ihren | |
Unterstützern das Lebensrecht abgesprochen. Und, so betont Hoffmann: Es | |
gehe letztlich auch, und vor allem um versuchten Mord. Und das verdiene | |
harte Haftstrafen. Dieser Ansicht, welche auch die Bundesanwaltschaft | |
vertrat, folgte auch das Gericht. | |
Der Prozess zeigte auch, dass einige der acht bereits länger rechtsextrem | |
auftraten, teils schon vor Jahren Szeneaufmärsche besuchten. Einer ätzte | |
noch aus der Haft heraus gegen die „Juden in der Justiz“. Die Gruppe reiste | |
zu Pegida nach Dresden oder zu den rechten Randalen vor einer | |
Asylunterkunft in Heidenau. Das linke Hausprojekt in Dresden griff sie | |
zusammen mit der örtlichen Kameradschaft an. Unbedarfte | |
Blitzradikalisierte? Eher nicht. Auch wenn Fresemann darauf hinwies, dass | |
die Gruppe keine homogene politische Einstellung habe: Die | |
nationalsozialistische Gesinnung einzelner Mitglieder stellte das Gericht | |
eindeutig fest. | |
Auch Richter, der Linken-Fraktionschef, hatte eine hartes Urteil gefordert, | |
als Signal. Inzwischen ist Richter nach Bayern gezogen. Auch die meisten | |
angegriffenen Geflüchteten haben Freital verlassen. Geblieben sind die | |
Unterstützer der Angeklagten: Sie saßen auch im bis auf den letzten Platz | |
besetzten Zuschauerbereich. | |
7 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Helke Ellersiek | |
Konrad Litschko | |
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