| # taz.de -- Bausünden in Berlin: Hässlich bauen ist leider nicht verboten | |
| > Warum baut man heute in deutschen Städten eigentlich so hässlich? Beim | |
| > Bauen gibt es zwar Tausende von DIN‑Normen, aber keine Norm für | |
| > Schönheit. | |
| Bild: Das fand sogar Wowereit hässlich: Einkaufszentrum Alexa in Kotzrosa | |
| Gibt es ein Recht auf schlechten Geschmack? Im Prinzip ja. In einer freien | |
| Gesellschaft kann man schließlich den Bürgern nicht vorgeben, wie sie zu | |
| leben haben und welche Präferenzen sie in Sachen Schönheitsempfindung haben | |
| sollten. Schlechter Geschmack ist schließlich keine Straftat. Auch wenn | |
| viele darunter leiden, dass ihre städtische Wohnumwelt von Hässlichkeit | |
| strotzt. | |
| Dass es mit dem Schönen und Guten im Hier und Heute in der gebauten Umwelt | |
| nicht weit her ist, hat schließlich 2007 sogar zur Gründung der | |
| Bundesstiftung Baukultur geführt. Ziel der Stiftung mit Sitz in Potsdam ist | |
| es, „das Bewusstsein für gutes Planen, Bauen und Baukultur sowie den Wert | |
| der gebauten Umwelt bei Bauschaffenden und bei der Bevölkerung zu stärken“, | |
| so der Auftrag der Stiftung. | |
| „Die Leute identifizieren Baukultur mit etwas Schönem“, so brachte Reiner | |
| Nagel, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Baukultur, es Mitte Februar bei | |
| einem öffentlichen „Baukultursalon“ mit dem Titel „Schön und gut“ auf… | |
| Punkt. Nagels Lagebeschreibung in Sachen Baukultur war allerdings | |
| deprimierend: „Schönheit hat keine Konjunktur“, so sein Blick auf die | |
| gegenwärtige Baukultur. Auch die eingeladenen Experten auf dieser | |
| Veranstaltung – Philosophen, Architektin, Architekturkritiker – mochten da | |
| nicht wirklich widersprechen. | |
| Nur: Warum baut man in deutschen Städten so hässlich? Und das nachdem man | |
| ihnen schon seit etwa 1900 vorgehalten hatte, unsozial, dysfunktional und | |
| unwirtlich zu sein. Bereits der 1907 gegründete Deutsche Werkbund hatte ja | |
| versucht, die erkannte Malaise in der Gestaltung sämtlicher Lebensbereiche | |
| zu beheben. Und zwar mittels Geschmacksbildung. | |
| Doch die Durchsetzung der „guten Form“ des Werkbundes – ursprünglich auch | |
| eine verkaufsfördernde Maßnahme zur Stärkung deutscher Waren in einem sich | |
| globalisierenden Weltmarkt – kann inzwischen als gescheitert gelten. Daran | |
| änderte zwischenzeitlich auch das Bauhaus (1919–1933) nichts, das die | |
| bessere Gestaltung der Umwelt „vom Sofakissen bis zum Städtebau“ mittels | |
| Ausbildung der Gestalter praktisch ins Werk setzen wollte. | |
| Die Moderne hat inzwischen ohnehin keinen guten Ruf mehr. Ihr Anspruch auf | |
| Lösung sämtlicher Gestaltungsfragen hatte etwas Totalitäres. Das „Anything | |
| goes“ der Postmoderne passt besser in die pluralistische Gesellschaft mit | |
| ihrem Patchwork der Minderheiten. | |
| So gibt es beim Bauen heute Tausende von DIN‑Normen, nur eben keine Norm | |
| für Schönheit. Wo es im staatlich geregelten Städtebau doch einmal so etwas | |
| wie eine Norm für das Schöne gibt, das heißt wo eine Gestaltungssatzung das | |
| Aussehen des zu Bauenden auf verpflichtende Formen festlegt, da orientiert | |
| sich das Regelwerk einfach an den historischen Gegebenheiten vor Ort. | |
| Gestaltungssatzungen existieren in Berlin für etliche Stadtquartiere – etwa | |
| für die Spandauer Vorstadt, Teile der Karl-Marx-Allee oder den Bereich des | |
| ehemaligen Luisenstädtischen Kanals, wovon heute nur noch das Engelbecken | |
| geflutet ist. Und stets orientiert man sich dabei an der vermeintlich | |
| „schönen“ Vergangenheit. Zeitgenössisch-verbindliche Vorstellungen über … | |
| Schöne scheinen zu fehlen. Also das, was Immanuel Kant seinerzeit | |
| „Gemeinsinn“ nannte. | |
| Heute scheint das Vormoderne aus der Geschichte als einzige Norm für die | |
| Gegenwart als verbindlich. Und seltsamerweise wird – zumindest in | |
| ästhetischer Hinsicht – von den meisten das Frühere dem Heutigen | |
| vorgezogen. 36 Prozent der Bevölkerung fänden Altbauten schöner als | |
| Neubauten, eruierte die Stiftung Baukultur kürzlich, umgekehrt seien es nur | |
| 7 Prozent. | |
| Und in der Tat: Wenn man sich alte Fotografien vom Stadtbild Berlins | |
| ansieht, wird man wohl kaum jemanden finden, der etwa den alten vom | |
| Luisenstädtischen Kanal durchflossenen Oranienplatz nicht seinem heutigen | |
| öden Aussehen vorzöge. Und diese Präferenz hat fast etwas Verbindliches. | |
| Peter Joseph Lennés Planungen für das Cöpenicker Feld – das heutige | |
| Kreuzberg – mit „Schmuckplätzen“ und baumgesäumten Promenaden aus den | |
| Jahren 1840/41 folgte künstlerischen Überlegungen. Das galt selbst noch für | |
| so funktionale Projekte wie die Anlage des Luisenstädtischen Kanals | |
| zwischen Landwehrkanal und Spree. | |
| Lenné suchte das Angenehme mit dem Nützlichen zu vereinen. Ein künstlicher | |
| Wasserlauf, auch wenn er der Schifffahrt diente, sollte durch seine | |
| Schönheit erfreuen. Deshalb wurde er geschmückt mit Brückenbauwerken und | |
| flankiert durch begrünte Flanierstrecken. | |
| Was von dieser Haltung zum Schönen übriggeblieben ist, findet sich heute im | |
| Hang zu einer Art neuem Historismus. Retrospektive Ästhetik und | |
| Rekonstruktion von (Alt‑)Bauten und ganzer Stadträume bis hin zu | |
| Wiederauferstehung des abgerissenen Berliner Schlosses füllen die Leere, | |
| die der Verlust des Gemeinsinns für das Schöne in der Gegenwart mit sich | |
| gebracht hat. | |
| Der Anspruch auf eine „kritische Rekonstruktion“, wie in der Ära des | |
| Berliner Senatsbaudirektors Hans Stimmann in den 90ern postuliert, war | |
| dabei im Grunde nur ein Feigenblatt für die Dürftigkeit in den Details, die | |
| nicht allzu viel kosten durften. | |
| „Schön und gut“ oder doch „hässlich und schlecht“, was darf man von d… | |
| Zukunft der Baukultur erwarten? Die Frage muss so lange unbeantwortet | |
| bleiben, wie ein gesellschaftlicher Konsens über Ethik und Ästhetik (nicht | |
| nur in Architektur und Städtebau) fehlt. | |
| Vielleicht wird Schönheit erst dann eine gewisse Verbindlichkeit erlangen, | |
| wenn sie als überlebenswichtige Notwendigkeit erscheint. Und vielleicht ist | |
| die Zeit bereits nahe, wenn nicht gar angebrochen, wo Umweltfragen | |
| existenzielle Relevanz bekommen. Eine Stadt ohne Massenautomobilität etwa, | |
| ohne flächendeckende Blechkarossen im Lebensraum Straße und ohne | |
| Abgasausstoß in die Atemluft, das könnte doch Chancen zumindest für etwas | |
| Schöneres eröffnen – für Parks und Gärten statt Autobahnen, für Ruhe und | |
| Erholung in der Stadt statt Verkehrstoten und Stress im Stau, mit | |
| Wohnungen, die sich wieder zum öffentlichen Straßenraum öffnen könnten | |
| statt sich hinter Schallschutzfenstern zu barrikadieren. Das wäre doch | |
| schön. | |
| 20 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ronald Berg | |
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