# taz.de -- Kind oder politische Karriere?: Kinderfreie Zone | |
> Zum ersten Mal lehnten zwei aussichtsreiche KandidatInnen es aus | |
> familiären Gründen ab, Hamburgs BürgermeisterIn zu werden. Politische | |
> Karriere und aktive Elternschaft gehen noch immer nicht zusammen. | |
Bild: Bürgermeister mit Kleinkind: In Hamburg scheint dies nicht möglich | |
HAMBURG taz |Zwei PolitikerInnen sagen Nein. Nein zum nächsten | |
Karriereschritt – der Kinder wegen. Als über die Nachfolge von | |
Bürgermeister Olaf Scholz entschieden wurde, haben Andreas Dressel und | |
Melanie Leonhard, die ersten beiden AnwärterInnen auf das Scholz’sche Erbe, | |
ein klares und starkes Signal gesetzt. Sie haben das Amt abgelehnt, um sich | |
weiter um ihre Kinder kümmern zu können, so sagen sie, haben sich dem | |
nächsten Karriereschritt und einer Chance, die vielleicht nie wiederkommt, | |
verweigert. Davor gilt es den Hut zu ziehen. | |
Dass Dressel, der Scholz-Kronprinz, sich wegen seiner drei kleinen Kinder | |
und seiner kranken Mutter schwertat, das Amt jetzt schon zu übernehmen, war | |
bekannt. Dass jedoch alle Parteifreunde und politischen Beobachter trotzdem | |
ganz selbstverständlich davon ausgingen, Dressel würde natürlich zugreifen, | |
spricht für eine problematische Prioritätensetzung. | |
Ein Politiker darf heutzutage schon mal über die Doppelbelastung | |
lamentieren, die Familie und Amt mit sich bringen, um sich dann aber | |
letztendlich doch bitte für das Amt zu entscheiden. Die Kinder vor die | |
Karriere zu stellen, das kommt praktisch nicht vor. Genau das aber haben | |
Dressel und Leonhard getan und damit einen Tabubruch begangen, für den man | |
ihnen dankbar sein muss. | |
In diesem Jahrhundert nahmen fast nur Männer auf dem Hamburger | |
Bürgermeistersessel Platz, die kinderlos waren: Olaf Scholz, Christoph | |
Ahlhaus, Ole von Beust. Sein Vorgänger, Ortwin Runde hatte bei Amtsantritt | |
einen volljährigen und einen schon fast erwachsenen Sohn. Der verstorbene | |
Henning Voscherau war somit der letzte Familienvater der Hamburg regierte | |
und Kinder erzog, die noch nicht aus dem Gröbsten raus waren. | |
## Stets informiert | |
Erzog? Bruder Eggert sagte bei Voscheraus Trauerfeier, er sei auch als | |
Bürgermeister zumindest „über alle Entwicklungen und Ereignisse im Leben | |
der Kinder (…) stets informiert gewesen“. Mehr ging da nicht, aktive | |
Vaterschaft aber fühlt sich anders an. Andreas Dressel lehnt nun ab, weil | |
er mehr als nur informiert sein will, Leonhard, weil Kindersitz plus | |
Bodyguard im Dienstwagen für sie kein harmonisches Bild ergeben. Die | |
Botschaft lautet: Wir haben kleine Kinder, wir sind raus. | |
Peter Tschentscher hat einen erwachsenen Sohn. Doch wenn faktisch nur auf | |
dem Rathaus-Chefsessel Platz nehmen kann, wer kinderlos ist, oder wessen | |
Söhne und Töchter schon eigene Wege gehen, verbaut das jede Chance auf | |
einen Generationswechsel im Rathaus, etabliert den Ü50-Bürgermeister. | |
Tschentscher ist 52, Dressel wäre 44, Leonhard 40 gewesen. | |
Tatsächlich lässt sich das Bürgermeister-Amt nicht mit einer aktiven | |
Elternschaft vereinbaren. Der Tag des Bürgermeisters beginnt am frühen | |
Morgen und endet – wenn der Amtsinhaber seine Repräsentationspflichten | |
ernst nimmt – am späten Abend. Handy aus am Wochenende ist unvorstellbar. | |
Wer Hamburg regieren will, muss immer verfügbar sein. Für Parteifreunde, | |
Interessengruppen oder Medien; nicht aber für seine Kinder. Das gehört | |
nicht zur Kernkompetenz eines Bürgermeisters. | |
Die Entscheidungen von Dressel und Leonhard zeigen: PolitikerInnen von | |
heute stellen ihre Karriere nicht zwangsläufig über alles. Das ist gut so. | |
Das System aber lässt ihnen keine Chance. Und das ist schlecht. | |
Doch wozu gibt es eigentlich eine Zweite Bürgermeisterin, einen Zweiten | |
Bürgermeister? Der ChefInnen-Job im Rathaus ist so zeitintensiv, dass man | |
ihn teilen könnte, ja müsste. Parteien werden heute oft mit einer | |
Doppelspitze geführt. Warum soll dass bei einer Stadt, einem Land, | |
prinzipiell unmöglich sein? | |
## Engagierte Eltern fördern | |
In einer politischen Landschaft, in der Familienpolitik, Kitabetreuung, | |
Kinderarmut und Schulentwicklung immer wichtiger werden, ist es nicht ganz | |
verkehrt, jemanden auf dem Bürgermeistersessel zu wissen, der auf dem | |
Spielplatz eine genauso gute Figur macht wie in der Senatsrunde. | |
Hamburg muss darüber nachdenken, was zu tun ist, um es auch jungen Eltern | |
zu ermöglichen, die Stadt zu regieren. Politikerinnen werden glaubwürdiger, | |
wenn sie nicht nur beklagen, dass in der Wirtschaft noch immer Frauen und | |
engagierten Eltern der Weg in die Führungsspitze verbaut ist, sondern | |
Lösungen finden würden, dass es im eigenen Laden anders läuft. Die | |
Entscheidung von Dressel und Leonhard verdient deshalb nicht nur Respekt, | |
sie mahnt auch Veränderung an. | |
14 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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