# taz.de -- Debatte Afghanistan: Vergesst die Taliban | |
> Das Land am Hindukusch braucht eine regionale Friedenslösung. Derzeit | |
> bietet sich eine Chance. Es geht nicht ohne China und Russland. | |
Bild: Auf dem Weg in den Frieden? | |
Der afghanische Präsident Aschraf Ghani ist ein guter Mann. Kurz nach | |
seinem Amtsantritt 2014 versuchte er, Pakistan zu überzeugen, eine | |
konstruktive Rolle in Afghanistan zu spielen und die Taliban an den | |
Verhandlungstisch zu bringen. Wenig später sah man einen völlig | |
frustrierten Ghani in der indischen Hauptstadt Delhi klagen, dass mit | |
Islamabad kein Geschäft zu machen sei. Was die Inder natürlich schon lange | |
wussten. | |
Kurz darauf holte er den als „Schlächter von Kabul“ bekannt gewordenen | |
Warlord Gulbuddin Hekmatjar aus dem pakistanischen Exil zurück nach | |
Afghanistan, in der Hoffnung, dieser könnte – altersweise – den Taliban | |
einen Weg zum Verhandlungstisch zeigen. Mit wenig Erfolg. | |
Letzte Woche nun bot Ghani den Taliban im Rahmen des sogenannten | |
Kabul-II-Prozesses [1][„Verhandlungen ohne Vorbedingungen“] an, was diese | |
erwartungsgemäß ablehnten. Ghani sei wie sein Vorgänger Karsai eine | |
„Marionette der USA“. So weit bekannt. Nur einen Monat zuvor hatten die | |
Taliban in Kabul mehr als 100 Zivilisten durch ein Attentat mit einem | |
Krankenwagen ermordet. | |
Wer auf dieser Basis Hoffnungen für einen innerafghanischen Friedensprozess | |
sieht, muss sehr optimistisch sein. Dennoch bietet sich derzeit eine | |
Chance, die Situation zum Besseren zu wenden, weil sich die geostrategische | |
Situation seit dem Ende der Taliban-Herrschaft 2001 radikal verändert hat. | |
China und Russland sind zu weltpolitischen Akteuren aufgestiegen, die eine | |
Rolle spielen wollen und werden. Da sie Afghanistans unmittelbare Nachbarn | |
sind, müssen sie Teil der Lösung werden. | |
## Die Neuauflage des „großen Spiels“ | |
Allerdings muss auch Kabul sich von einigen lange gehegten Illusionen | |
verabschieden. Eine davon ist, dass eine wie auch immer geartete Aussöhnung | |
mit den Taliban zu Frieden führen wird. Anders als 2001 ist der Krieg in | |
Afghanistan heute wieder ein von multiplen Akteuren geführter, | |
ausgewachsener Stellvertreterkrieg, eine Neuauflage des berüchtigten | |
„großen Spiels“. Alle Akteure in Afghanistan werden aus dem Ausland | |
finanziert, weil jede Macht auf ihre Weise hofft, dadurch einen Fuß in der | |
Tür zu behalten. | |
Die Taliban können daher nicht den Anspruch erheben, sie seien die wahren | |
Vertreter des Volkes, das gegen eine Besatzungsarmee kämpft. Diese These | |
war schon immer fragwürdig, heute ist sie angesichts der Unterstützung, die | |
die Taliban aus China, Russland, Iran und aus Pakistan ohnehin erhalten, | |
eine Farce. | |
Weil so viele Länder in Afghanistan Krieg führen, ist es unmöglich, ohne | |
einen breiten Konsens auch nur einen Waffenstillstand zu erreichen. | |
Afghanistan braucht daher eine internationale Sicherheitslösung. Mein | |
Vorschlag ist daher, dass Deutschland erneut zu einer Petersberg-Konferenz | |
einlädt, die unter den neuen geostrategischen Bedingungen darauf zielt, | |
Afghanistan zu befrieden. Deutschland ist das einzige relevante Land, das | |
bei den Afghanen Vertrauen genießt und bei den anderen Mächten als | |
ausreichend unparteiisch gilt. | |
Die großen Regionalmächte in Asien, also China, Indien und Russland, sind | |
alle daran interessiert, Afghanistan zu stabilisieren. Daher sollte es | |
möglich sein, diese für eine solche Lösung zu gewinnen. Alle drei wollen | |
verhindern, dass der islamische Fundamentalismus auch in Gestalt | |
ausländischer Gruppierungen wie Daesh (Isis) auf ihr Staatsgebiet | |
übergreift. Für China spielt Afghanistan zudem eine zentrale Rolle in der | |
Belt-and-Road-Initiative (BRI), einem gigantischen Infrastrukturprojekt, | |
das Asien mit Europa verbinden soll. | |
Auch Pakistan ist nicht an einem Rückfall in die Taliban-Zeit interessiert, | |
in der Afghanistan ein Land ohne Staat war. Allerdings soll man nicht die | |
Illusion hegen, dass Druck auf Islamabad zu einer grundsätzlichen Revision | |
der pakistanischen Politik führen wird. Asymmetrische Kriegsführung ist | |
aufgrund der komplexen Vorgeschichte der Teilung des Subkontinents Teil der | |
pakistanischen Staatsräson. | |
Pakistan kann daher nur dann Teil einer Friedenslösung werden, wenn es | |
nicht den Eindruck hat, von einer Koalition aus Washington und Delhi | |
umzingelt zu werden. Das ist genau der Grund, weshalb die neue | |
geostrategische Situation die Möglichkeit eines Auswegs bieten kann. Eine | |
regionale, das heißt vor allem eine asiatische Lösung verbreitert nicht nur | |
die Basis der Akteure, sondern sie beendet auch den Diskurs um einen | |
westlichen Imperialismus in der Region. | |
## Input aus Peking und Moskau | |
Es bedarf daher eines konstruktiven Inputs aus Peking und Moskau, wie beide | |
Delhi davon überzeugen können, dass es nicht erneut zum Opfer | |
pakistanischer Terrorangriffe wird, die von China geduldet werden. Das ist | |
der schwierigste Teil der Aufgabe und die Chance. Weder die USA noch Europa | |
sind willens und in der Lage, das fragile militärische Gleichgewicht in | |
Afghanistan auf Dauer aufrechtzuerhalten oder gar in einen militärischen | |
Sieg der Nato-Koalition zu verwandeln. | |
Allerdings werden die Afghanen daran interessiert sein, auch weiterhin | |
Unterstützung aus den USA und Europa zu erhalten, sei es zum Aufbau ihrer | |
Armee, sei es Hilfe beim Aufbau von Institutionen und in der Entwicklung. | |
Beide sowie auch Indien haben in dieser Hinsicht relevante Vorarbeit | |
geleistet. Hierzu ist es notwendig, erneut über die Verfassung zu sprechen, | |
die sich als dysfunktional erwiesen hat, die präsidiale Struktur und das | |
Fehlen politischer Parteien sind einige der Probleme. | |
Diese Diskussion müssen alle afghanischen Kräfte führen, also auch die | |
Taliban. Ziel muss es sein, einen funktionsfähigen Staat zu schaffen, der | |
eine Chance hat, bei der Bevölkerung Anerkennung zu finden. Nur dann bildet | |
Afghanistan nicht länger ein Einflusstor für extremistische Gruppen aller | |
Art. Für die internationale Gemeinschaft böte ein solcher neuer | |
Petersberg-Prozess die Chance, unter den geänderten geostrategischen | |
Verhältnissen in einen konstruktiven Dialog zu treten. Es stünde | |
Deutschland gut zu Gesicht, dabei treibende Kraft zu sein. | |
11 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Britta Petersen | |
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