Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Seoul City: Das süße Gift des Patriotismus
> Die Winterspiele in Südkoreas TV sind eindimensional. Es entsteht der
> Eindruck, nur eine Nation konkurriere um die besten Ränge.
Bild: Die Freude hält sich in Grenzen (denen des gastgebenden Landes)
Als Skeletonpilot Yun Sung-bin mit 1,63 Sekunden Vorsprung in die
Zielgerade einfährt, brechen bei den euphorischen Kommentatoren endgültig
alle Dämme: Die zweite Goldmedaille Südkoreas goutieren sie mit solch
archaischer Dezibelkraft, dass die Mikrofone im Fernsehstudio hoffnungslos
übersteuern.
Natürlich gehört dieser Moment des Triumphs ordentlich ausgekostet, denkt
sich der geduldige Zuschauer bei der ersten Wiederholung der Siegerfahrt,
bei der zweiten und dritten ebenso. Die sechste nervt dann endgültig. Sie
leitet auf die Medaillenehrung über, gefolgt von einem Kurzinterview mit
dem Athleten, das ebenfalls bis zum Exzess wiederholt wird.
Keine Frage: Die Präsentation der Winterspiele im südkoreanischen Fernsehen
ist, diplomatisch ausgedrückt, eine patriotische Angelegenheit. Zuweilen
entsteht der Eindruck, nur eine Nation konkurriere um die besten Ränge.
Gezeigt werden fast ausschließlich Disziplinen, in denen koreanische
Athleten antreten. Die Korea-freien Intervalle der Winterspiele werden
gekonnt mit Wiederholungen überbrückt.
Vor allem junge Koreaner machen sich zuweilen über die von Fernsehanstalten
und Politikern induzierte Patriotismus-Überdosis lustig. „Gukppong“ nennen
sie das Phänomen abfällig, es lässt sich am ehesten als „nationales
Methamphetamin“ übersetzen: ein süßes Gift, das den Stolz auf die eigenen
Errungenschaften auslösen soll. Vielleicht ist dies symptomatisch für eine
Nation, die ihre zeitgenössische Musik K-Pop tauft, die Kulinarik als
K-Food vermarktet und mit K-Beauty-Kosmetik wirbt. Jedoch gleichzeitig
eine desillusionierte Jugend hervorbringt, die – resigniert über korrupte
Politiker und patriarchale Hierarchien – sehnlichst vom Auswandern nach
Nordeuropa träumt.
In anderen Worten: Das Verhältnis der Koreaner zur nationalen Identität ist
ambivalent. Allein geschichtlich ist der Nationalismus-Begriff jedoch ganz
anders besetzt als in Deutschland. In Korea löst er Assoziationen an
heroische Unabhängigkeitskämpfer aus, die in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts gegen die japanischen Besatzer aufbegehrt haben.
Schließlich war es auch der vom Militärregime induzierte Patriotismus, der
die Leute während der Nachkriegszeit für das Wirtschaftswunder vom
Han-Fluss mobilisiert hat. Ebenso rettete der nationale Zusammenhalt Ende
der Neunziger das Land erfolgreich durch die Finanzkrise, als die Leute
nach einem Regierungsaufruf scharenweise ihren Familienschmuck und Eheringe
in die Banken brachten. Und sollten sich der Norden und Süden irgendwann
einmal vereinigen, dann könnte eine Injektion vom Nationalismus-Speed
durchaus über die entbehrungsreiche Übergangszeit hinweghelfen.
16 Feb 2018
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Olympische Winterspiele 2022
Pyeongchang
Nationalismus
Südkorea
Südkorea
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Olympische Winterspiele 2022
Moon Jae In
Hund
## ARTIKEL ZUM THEMA
Suizide von K-Pop-Stars in Südkorea: Hinter der glitzernden Fassade
Der mutmaßliche Suizid des Sängers Cha In Ha ist der dritte Tod eines
jungen K-Pop-Stars in zwei Monaten. In Koreas Pop-Geschäft tun sich
Abgründe auf.
Kolumne Seoul City: Das Erbe der Glücksspiel-Zombies
Wie unglückselige Zocker dazu beigetragen haben, dass die Spiele nach
Pyeongchang gekommen sind und was das alles bringen soll.
Kolumne Seoul City: Curlende Kims und ein Grinsen
Korea sei kein Wintersportland, heißt es in Deutschland immer wieder. Wie
ungerecht! Wie wäre es mit ein paar Denkanstößen zur Selbstreflexion?
Kolumne Seoul City: Wutbürger und Voyeurismus
Nordkoreas Friedensshow bei Olympia wirkt deplatziert. Dass der Süden die
Kosten für Kims Reisegruppe trägt, finden auch nicht alle gut.
Olympische Spiele in Südkorea: Klatschen, tanzen, winken
Das vereinte koreanische Eishockeyteam ist gegen die Schweiz chancenlos.
Dafür gibt es eine Politsport-Inszenierung erster Güte.
Nordkoreanischer Diktator Kim Jong Un: Einladung an Südkoreas Präsident
Sorgen die Winterspiele doch für ein Tauwetter? Moon Jae In soll zu einem
Gipfeltreffen in den Norden reisen. Die Einladung sprach Kim Jong Uns
Schwester in Seoul aus.
Hunde als Nahrungsmittel: Runter von der Speisekarte
Südkorea ist das einzige Land mit einer kommerziellen
Hundefleischindustrie. Zu den Olympischen Spielen soll nun Schluss damit
sein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.