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# taz.de -- Britische Literatur-Tagung in Berlin: „Für mich ist Gender eine …
> In der Werkstatt der Kulturen hat eine Tagung zum Thema „Writing Gender:
> Sexuality, Feminism and Masculinity“ stattgefunden.
Bild: Spannende Lesung in Berlin mit Monique Roffey
„Fuck ’em all! Für mich ist Gender eine Handlung. Was du bist, ist
unwichtig. Wichtig ist, dass du dich wohlfühlst in deiner Haut“, sagte der
nordirische Schriftsteller Paul McVeigh beim British Council Literature
Seminar, das vergangenes Wochenende zum 32. Mal zeitgenössischen britischen
Autor*innen in Berlin eine Plattform bot. Sechs von ihnen waren in die
Werkstatt der Kulturen in Neukölln gekommen, um unter dem Motto „Writing
Gender: Sexuality, Feminism and Masculinity“ zu diskutieren, wie sie „die
Themen Geschlecht und Sexualität in ihren Werken“ aufgreifen.
Dass McVeighs Forderung weit davon entfernt ist, akzeptiert oder gar
gelebte Realität zu sein, machten die Lesungen deutlich. In McVeighs 2015
erschienenem Debüt „Der gute Junge“ – der Roman ist zwar Anfang der
Achtziger angesiedelt, die damalige „toxische Männlichkeit“ sei aber nach
wie vor anzutreffen – wird der zehnjährige Mickey Donnelly aufgrund seines
„unmännlichen“ Verhaltens als schwul kategorisiert.
Mickey selbst schert sich nicht um derlei Zuschreibungen. McVeigh, der mit
der Geschichte auch (s)eine von Gewalt und Angst geprägte Kindheit zur Zeit
des Nordirlandkonflikts schildert, löst bewusst nicht auf, ob Mickey
homosexuell ist oder nicht. Damit wolle er Leser*innen einen Spiegel
vorhalten, zeigen, dass auch sie darauf aus sind, Mickey in eine Schublade
stecken zu können – und damit Mickeys eindimensionalen Freunden und Familie
in nichts nachstehen.
## Problematische Zuschreibungen
Problematische traditionelle Zuschreibungen erwähnt auch Monique Roffey.
Die karibisch-britische Autorin beschreibt in ihrer autobiografischen
Schrift „With the Kisses of His Mouth“ explizit ihre sexuelle Befreiung.
Sie habe lange gedacht, etwas stimme nicht mit ihr, weil ihre erlebte
sexuelle Realität mit der von der männlich dominierten Kulturindustrie
repräsentierten nichts zu tun hatte. Zudem sei von weiblichen sexuellen
Bedürfnissen kaum etwas zu lesen.
Dass ihr Verlag das Manuskript zwar kaufte, eine Veröffentlichung aber zu
riskant fand, sei ein weiteres Indiz dafür, dass die Artikulation
weiblicher Sexualität nach wie vor problematisch sei. Zudem zeige der
Erfolg von Literatur wie „Fifty Shades of Grey“, dass unsere Gesellschaften
nach wie vor in traditionellen Weltsichten verhaftet und Frauen in ihren
Rollen zementiert sind.
Den Vorsitz des viele Denkanstöße verteilenden Seminars, das in diesem Jahr
von einem internationalen, jungen Publikum besucht wurde, hatte zum zweiten
Mal die Londoner Schriftstellerin Bernardine Evaristo übernommen. Ihre
weitsichtigen Fragen führten schnell zu der Erkenntnis, dass die
Wahrnehmung der sexuellen Identität nicht zu trennen ist von
Klassenzugehörigkeit und ethnischem Hintergrund.
Auf die Frage aus dem Publikum, wie Verlage Werke von People of Color
veröffentlichen könnten, ohne in die Kategorisierungsfalle zu tappen,
antwortet der ugandisch-britische Dichter Nick Makoha, dass gerade die
Kategorisierung Motiv für sein Schreiben sei, er mit seinen Gedichten aber
zum Dialog anstiften wolle. Makoha floh mit seiner Mutter als Vierjähriger
vor der Gewaltherrschaft Idi Amins.
## Suche nach der Identität
In Großbritannien habe er sich nie britisch genug gefühlt und in Uganda nie
genügend ugandisch. Neben dem Suchen nach der kulturellen Identität
präsentieren Makohas Gedichte unterschiedliche Konzepte von Männlichkeit –
vom Krieg verrohte Männer oder liebende Väter – die, so Makoha, die
Vielschichtigkeit (schwarzer) Männlichkeit widerspiegeln und sich der
eindimensionalen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit entgegenstellen.
Alle Beteiligten benannten Schreiben als Akt der Selbsterkenntnis, durch
das ebenfalls artikulierte Anliegen, den Stimmlosen eine Stimme zu geben,
erlangen die vorgestellten Werke eine gesellschaftliche Dimension. In einer
Diskussionsrunde merkt die ägyptisch-britische Dramatikerin Sabrina Mahfouz
an, dass erst ihr Schreiben über die verdrehte Geschlechterpolitik in der
Sexindustrie – sie hat mehrere Jahre als Bedienung in Strip-Lokalen
gearbeitet – ihr politisches Bewusstsein hervorgerufen hat.
Bei der Lesung von Kerry Hudson am Freitagabend ging es weniger um ihre
queere Identität, die dem Schreiben der im schottischen Aberdeen geborenen
Autorin, wie sie sagte, selbstverständlich innewohnt, oder ihr
feministisches Engagement. Hudsons Hauptthema ist Armut und ihre
Auswirkungen auf Psyche und Leben der Betroffenen.
Sie definiert ihr Herkunftsmilieu als Unterschicht, sei aber von starken
Frauen umgeben gewesen – ein Umstand, der auch die Kindheiten McVeighs und
Makohas prägte –, was sich in ihren Romanen in der Zeichnung starker
weiblicher Charaktere niederschlägt. Bei ihrer Flucht aus der
Wohlfahrts-Abhängigkeit halfen Bücher in der öffentlichen Bibliothek.
„Wir verändern uns. Zwangsläufig. Täglich“, war ein Kommentar der
Brightoner Autorin Juno Dawson zu ihrer Geschlechtsumwandlung und ein
gelungener Versuch, für eine andere Wahrnehmung von Normalität zu werben.
Dawson schreibt Romane für junge Erwachsene und Sachbücher mit
LGBT-Thematik und setzt sich für einen Sexualkundeunterricht an britischen
Schulen ein, der auch andere Lebensformen als die heterosexuelle vermittelt
und damit ein Bewusstsein für diverse Lebensformen schafft. Vielleicht
trägt das dazu bei, dass die Zuschreibung von Geschlechteridentitäten
tatsächlich einmal nur noch Nebensache ist.
31 Jan 2018
## AUTOREN
Sylvia Prahl
## TAGS
Tagung
Feminismus
Literatur
Schwerpunkt Rassismus
Pop
Dandy
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