# taz.de -- Prozess zum Anschlag in Wehrhahn: Ein Neonazi gibt das Opfer | |
> 17 Jahre nach dem Anschlag auf eine Düsseldorfer S-Bahn-Station steht ein | |
> Rechtsextremer vor Gericht. Und erklärt sich für unschuldig. | |
Bild: Der Angeklagte im Saal des Düsseldorfer Landgerichts | |
Düsseldorf taz | Es ist ein kaputter Typ, der sich am Donnerstag vor dem | |
Landgericht Düsseldorf wegen zwölffachen Mordversuchs und Herbeiführens | |
einer Sprengstoffexplosion verantworten muss: Ralf S., ehemaliger | |
Bundeswehrsoldat, danach Wachmann, gescheiterter Detektiv und | |
rechtsextremer Militariahändler, soll für den Bombenanschlag am S-Bahnhof | |
Düsseldorf-Wehrhahn vom 27. Juli 2000 verantwortlich sein, der damals die | |
Republik erschütterte. | |
Um 15.03 Uhr explodierte dort per Fernzündung eine selbstgebastelte, mit | |
TNT gefüllte Rohrbombe. Opfer waren SchülerInnen einer nahe gelegenen | |
Sprachschule. Sie stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs von ihnen | |
waren jüdischen Glaubens. Die Metallsplitter der Bombe flogen mehr als 100 | |
Meter weit, verletzten zehn Menschen, manche davon schwer. Eine damals | |
26-Jährige verlor ihr ungeborenes Kind und musste notoperiert werden: Der | |
heimtückisch in einer Plastiktüte versteckte Sprengsatz hatte ihr einen Fuß | |
abgerissen. Auch ihr 28-jähriger Ehemann schwebte tagelang in Lebensgefahr. | |
Ralf S. aber will mit dem Anschlag nichts zu tun haben. „Nee, das bin ich | |
nicht“, antwortet er beim Prozessauftakt auf die Frage des Richters Rainer | |
Drees, ob er der Täter sei. Und nein: Er wisse auch nicht, wer hinter dem | |
Mordversuch stehe. Zumindest optisch wirkt der 51-Jährige nicht wie das | |
Stereotyp eines Neonazis: S. ist klein, schmächtig, gibt eher den | |
Rockabilly. Seine Haare hat der frühere Chef des Düsseldorfer | |
Opel-Manta-Fanclubs vorn zur Elvis-Tolle geformt, dazu trägt er eine | |
schwarze Kunststoffbrille. | |
Am Körper aber soll S. ein Hakenkreuz-Tattoo tragen. In seinem Stadtteil | |
war er als rechtsradikal bekannt, als „Sheriff von Flingern“ patrouillierte | |
er mit einer Rottweiler-Schäferhund-Mischung durch die Straßen. Schon 2000 | |
war der gelernte Maler deshalb schnell ins Visier der Ermittler geraten. | |
Sein Militarialaden, gegen den die Antifa schon vor der Eröffnung | |
protestierte, lag in der Nähe der S-Bahn-Station Wehrhahn. | |
## Schlampige Arbeit des Staatsschutzes | |
Doch auch nach vorübergehender Festnahme, stundenlangen Verhören und | |
folgender Überwachung ließ sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärten: In | |
seiner Wohnung fanden sich keine Spuren von Sprengstoff. Offenbar lag das | |
auch an der schlampigen Arbeit des Staatsschutzes, der als Erster bei S. | |
war: „Durchsuchung würde ich das nicht nennen“, sagte Dietmar Wixfort, der | |
die Mordermittlungen leitete, im NRW-Landtag. Der Besuch des Staatsschutzes | |
bei dem Rechtsextremen habe eher den Charakter eines „Stubendurchgangs“ | |
gehabt. | |
Nach 17 Jahren vor Gericht gebracht hat sich S. selbst. Er habe „an einem | |
Bahnhof Kanaken weggesprengt“, soll er einem Mitgefangenen im Knast erzählt | |
haben, als er wegen einer nicht bezahlten Geldbuße von 2.000 Euro einsaß. | |
Erst dadurch geriet S. wieder ins Visier der Ermittler, die dann alte Akten | |
wälzten, noch mal Zeugen vernahmen. Am 31. Januar 2017 nahm ihn ein | |
Spezialkommando fest. | |
Doch S. hält sich für clever. Völlig ungewöhnlich in einem Mordprozess | |
äußert sich der Angeklagte schon am ersten Prozesstag ausführlich. | |
Stundenlang beantwortet er die Fragen des Richters – an den Tattag aber | |
kann er sich kaum erinnern. Vielmehr gibt er das unschuldig vom | |
Verfassungsschutz verfolgte Opfer: Nur wegen der Anschlagsvorwürfe habe er | |
keine Jobs bekommen, sei deshalb chronisch pleite gewesen. | |
In mitgeschnittenen Telefonaten, die an einem der folgenden 36 | |
Verhandlungstage abgespielt werden dürften, soll der Unteroffizier der | |
Reserve dagegen selbst über die Tötung des Kindes im Mutterleib Witze | |
gemacht haben: „Nur Abtreibung“ sei das gewesen. Der Tod des Ungeborenen | |
ist strafrechtlich nicht verfolgbar. Wegen des zwölffachen Mordversuchs an | |
Lebenden droht Ralf S. aber eine lange Haftstrafe – bis hin zu lebenslangem | |
Gefängnis. | |
25 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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