| # taz.de -- Spielhallenhölle Salzgitter: „Wochenende war Absturz“ | |
| > In der Arbeiterstadt Salzgitter reihen sich die Spielhallen aneinander. | |
| > Ahmed kennt sie alle. Er hat an den Automaten beinahe alles verloren. | |
| Bild: Einfacher rein als wieder raus zu kommen: Spielhalle in Salzgitter | |
| Salzgitter taz | Noch zwei Schritte. Der dicke, weiche Teppich schluckt das | |
| Geräusch der Schuhsohlen. Das Licht ist schummerig hier drinnen, die Luft | |
| riecht nach Zigarettenrauch. Zu hören ist nur das Klingeln der | |
| Spielautomaten. Niemand spricht. Noch ein Schritt. Die Hand auf der | |
| Türklinke, dann gleißendes Licht. Ein Schulbus fährt vorbei. Wie spät ist | |
| es? Die Gedanken, das schlechte Gewissen, alle Probleme prasseln wie ein | |
| heftiger Hagelschauer auf ihn ein. Ahmed* hatte wieder die Zeit verloren. | |
| „Manchmal habe ich zwei Tage durchgespielt“, erinnert sich der 34-Jährige. | |
| Er wollte nie gehen, immer noch ein bisschen länger bleiben in der | |
| Spielhalle, in der er sich wie in einer Höhle vor seinen Problemen | |
| verstecken konnte. Dass die mit jedem Eurostück, dass er in den silbernen | |
| Schlitz des Automaten steckte, größer wurden, wollte Ahmed nicht sehen. | |
| Heute sitzt er in einem gelb-orange gestrichenen Raum. An der Wand hängen | |
| bunte Bilder, auf einem sind Blumen zu sehen. Es ist das Büro seiner | |
| Suchttherapeutin Martina Kurschus-Bensalem von [1][der Suchtberatungsstelle | |
| Salto in Salzgitter]. Immer mehr Menschen suchen dort Hilfe. Allein auf den | |
| rund 650 Metern vom Bahnhof hierher kommt man an sieben Spielhallen vorbei. | |
| Einige bieten Sportwetten an, andere sind typische Automatenhöllen. Eine | |
| große Spielhalle an der Berliner Straße ist verrammelt, der Rest hat trotz | |
| der neuen Gesetzeslage in Niedersachsen weiter geöffnet. | |
| ## Die Spielhallenbesitzer klagen | |
| Laut dem Glücksspielgesetz des Landes müssen Spielhallen mindestens einen | |
| Abstand von 100 Meter Luftlinie zueinander haben. Gemeinden dürfen aber | |
| auch bis zu 500 Meter Mindestabstand festlegen. Das hat der Rat von | |
| Salzgitter beschlossen. Aber weil sich die Spielhallenbesitzer mit Klagen | |
| wehren, sind die Schließungen erst einmal ausgesetzt. | |
| Vor der Gesetzesänderung gab es 49 Spielhallen in der | |
| 100.000-Einwohnerstadt. Derzeit sind es 29. In den Gaststätten stehen aber | |
| zusätzlich noch 104 Automaten, an denen die Spieler ihr Glück versuchen | |
| können. Salzgitter ist nicht nur eine Arbeiterstadt. Es leben auch viele | |
| junge Menschen mit Migrationshintergrund hier. Sie sind besonders häufig | |
| von Spielsucht betroffen. | |
| Zwischen den Lamellen des Rollos sieht Ahmed vom Salto-Büro aus das rote | |
| Logo mit der Aufschrift „Tipico“. Er ist ein sportlicher Typ, die Haare | |
| zurückgegelt, den Bart ordentlich gestutzt. Er hat die Arme vor der Brust | |
| verschränkt, als er anfängt zu sprechen. Es ist eine lange Suchtgeschichte | |
| und Ahmed schont sich nicht. Er erzählt alles. | |
| Wie faszinierend er Automaten findet, merkte er schon mit 16 Jahren. Mit | |
| Freunden ging er gern in eine Kneipe neben dem Jugendzentrum. Während die | |
| anderen Dart oder Billard spielten, zog es ihn zu den blinkenden Lichtern. | |
| „Da konnte man kein Geld gewinnen“, erinnert sich Ahmed, der mit sieben | |
| Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Seine Einstiegsdroge waren | |
| Geräte, an denen man das Würfelspiel Kniffel oder Stratego zocken konnte, | |
| ein Spiel, bei dem man bunte Früchte in eine Reihe bringen muss, um Punkte | |
| zu gewinnen. | |
| ## Ahmed wollte mehr | |
| Der Mechanismus war der gleiche wie bei einem Geldspielautomaten: Man | |
| sammelt Punkte, die man erneut setzen kann, um mehr Freispiele zu bekommen. | |
| „Dieses Hochdrücken hat mich schon da gereizt“, sagt Ahmed und streicht mit | |
| den Händen über seine graue Jeans. | |
| Ahmed wollte mehr. Tagsüber drückte er sich jetzt bei Karstadt herum. „Vor | |
| den Toiletten gab es Automaten.“ Die befüllte er, drückte auf Autostart und | |
| versteckte sich. Manchmal wurde er erwischt und rausgeschmissen, weil er | |
| noch nicht 18 Jahre alt war. Aber Ahmed kam wieder. | |
| „Ich habe, seitdem ich 16 war, auf dem Bau gearbeitet – manchmal auch | |
| schwarz.“ Bald floss der gesamte Lohn in die Automaten. Reichte das nicht, | |
| beklaute er seine Eltern. Als er 18 Jahre alt wurde, nahm Ahmed den ersten | |
| Kredit auf: 17.000 Euro. „Ich wollte mir ein schönes Auto kaufen.“ | |
| Stattdessen verbrachte er zwei Wochen lang fast jeden Tag in der | |
| Spielhalle. Für das Auto blieben nur 2.000 Euro. | |
| „Man weiß als Spieler, dass man Fehler macht, aber ich konnte mich nicht | |
| stoppen“, sagt Ahmed. Die Technik der Automaten fördere das noch. „Wenn man | |
| 500 Euro gewinnt, kann es bis zu vier Stunden dauern, bis man das Geld | |
| hat“, sagt Ahmed. Die gewonnenen Punkte müssten erst in Geld umgewandelt | |
| werden. „Da werden alle paar Sekunden zwei Euro rüber geschoben.“ Bis man | |
| an seinen Gewinn komme, habe man ihn schon wieder verspielt. | |
| ## Die Gedanken immer beim Spiel | |
| Die Spielsucht sei mit dem Verlangen nach Amphetaminen vergleichbar, | |
| versucht Sozialpädagogin Kurschus-Bensalem das Verhalten zu erklären. | |
| „Sucht ist eine schwere Erkrankung.“ Die Salto-Mitarbeiterin ist bei dem | |
| Gespräch dabei, um Ahmed zu unterstützen. | |
| „Ich habe den ganzen Tag bei der Arbeit darüber nachgedacht, wie ich an | |
| Geld komme und wo ich spielen kann“, sagt Ahmed. Als er 24 Jahre alt wurde, | |
| kam der Alkohol dazu. „Irgendwann habe ich nur noch besoffen gespielt, weil | |
| ich diesen Druck nicht mehr ausgehalten habe.“ Wo sollte bloß das Geld | |
| herkommen? Er machte noch mehr Schulden, bei den Eltern, Freunden. Von | |
| seinem Chef ließ er sich Vorschüsse auszahlen und verkaufte heimlich das | |
| Gold seiner Ehefrau. | |
| „Sie hatte noch Geld vom Arbeitsamt, damit ist sie einigermaßen über die | |
| Runden gekommen und konnte die Miete bezahlen“, sagt Ahmed. „Ich hab dann | |
| irgendwann auch dieses Geld angefasst.“ Wenn sie es versteckte, setzte er | |
| seine Frau so lange verbal unter Druck, bis sie es ihm gab. „Ich wusste, | |
| welchen Schalter ich umlegen muss, damit ich das Geld bekomme.“ | |
| Er trank noch mehr. Bier nach der Arbeit, Wodka am Wochenende. „Wochenende | |
| war Absturz.“ Einmal schlug er einen Automaten kaputt, als der nichts | |
| ausspucken wollte, obwohl Ahmed schon tausend Euro hineingesteckt hatte. | |
| Die feinen weißen Narben ziehen sich noch immer über die Finger seiner | |
| rechten Hand. | |
| Trotz abgeschlossener Privatinsolvenz fand er einen Bankangestellten, der | |
| ihm wieder einen Kredit auszahlte: 12.000 Euro. Drei Tage hat er gebraucht, | |
| um völlig betrunken jeden einzelnen Cent zu verzocken. Genau wie sein | |
| Weihnachtsgeld. „Ich habe teilweise an sechs Automaten gleichzeitig | |
| gespielt.“ Das war im Dezember 2016. Das war das Ende. | |
| Ahmed ging nach Hause und ließ sich ins Bett fallen. Sein Körper streikte. | |
| „Ich konnte nicht mehr alleine aufstehen.“ Er flehte seine Frau an, ihn in | |
| eine Klinik zu bringen. „Ich hatte keinen Ausweg mehr“, sagt Ahmed. „Ich | |
| hatte wirklich Selbstmordgedanken.“ | |
| Zehn Tage blieb er in einer stationären Entgiftungsklinik, um vom Alkohol | |
| loszukommen und stellte sofort den Antrag für eine Langzeittherapie. Über | |
| ein Jahr hat er nun schon nicht mehr gespielt. Die Therapie war wie ein | |
| Aufwachen: „Ich hab da gemerkt, was das Leben ist“, sagt Ahmed. Er habe es | |
| plötzlich genießen können, einfach zu sitzen und einen Kaffee zu trinken. | |
| „Das kennt man als Spieler gar nicht. Man will nicht mal aufs Klo gehen, | |
| weil man denkt, man verpasst sonst etwas.“ | |
| ## Ein Raum ohne Glamour | |
| An der Fassade der einstöckigen Spielhalle gegenüber sollen großflächige | |
| Bilder von Las Vegas bei Nacht die Spieler hereinlocken. Den versprochenen | |
| Glamour findet man in der „Spielhalle Play“ aber nicht. Die Luft ist dick, | |
| genau zwölf Automaten blinken in das schummerige Licht. Mehr Geräte sind | |
| gesetzlich nicht erlaubt. | |
| Einige Männer sitzen auf den dicken schwarzen Polsterhockern und starren | |
| auf die Bildschirme. Ein Mann in grauer Handwerkerhose geht einen Meter | |
| zurück und betrachtet die Automaten aus der Distanz. Dann entscheidet er | |
| sich für ein Gerät, steckt eine Münze hinein und geht zum nächsten. Die | |
| meisten Gäste haben trotz der Wärme in der Halle nicht einmal ihre | |
| Winterjacken ausgezogen. | |
| Hinter dem Tresen steht eine Frau und raucht. Sie hat sich die Lesebrille | |
| in die roten Haare gesteckt. „Wir waren schon alle gekündigt“, sagt sie. | |
| Nun habe die Spielhalle aber eine Fristverlängerung bis Ende 2018 bekommen. | |
| Die drohende Schließung von Spielstätten, die sich näher als 500 Meter | |
| aneinander befinden, hält sie für wirkungslos. „Den Spielern ist das egal. | |
| Die fahren auch woanders hin“, sagt die Mitarbeiterin. | |
| Mit den Schließungen gingen Arbeitsplätze verloren und das treffe | |
| insbesondere alleinstehende Frauen, sagt sie. „Wenn ich den Job nicht mehr | |
| habe, stehe ich auf der Straße.“ Wer stelle sie denn mit 60 Jahren wieder | |
| ein? | |
| Auch ein Stückchen weiter weg, in einem Gewerbegebiet, ballen sich gleich | |
| drei Spielhallen nebeneinander. Pink angestrahlt in der Mitte liegt das | |
| „C.Jac“. Ahmed war hier oft spielen. Der Laden ist schicker. Im | |
| Empfangsbereich gibt es eine Kaffeebar mit halbrunden Lederstühlen. An der | |
| Wand lodert auf einem Fernseher ein Kaminfeuer. Im Automatenraum sitzen | |
| auch zwei Frauen. | |
| Geschäftsführer Ercan Vanli hatte erst einmal Los-Pech. Eigentlich hätte er | |
| die Spielhalle längst dicht machen müssen, aber das Verwaltungsgericht | |
| Osnabrück stufte das Losverfahren, mit dem die Stadt Salzgitter bestimmt | |
| hatte, welche Hallen bleiben dürfen, als rechtswidrig ein. Vanli ist froh | |
| über den Aufschub: „Hier geht es nicht um mich, sondern um die gesamte | |
| Branche“, sagt er. „Es sind viele Mitarbeiter betroffen.“ Vanli hofft | |
| darauf, dass die neue Landesregierung in Niedersachsen einen Kompromiss im | |
| Sinne der Spielhallen herbeiführt. Er hofft auf den Wirtschaftsminister von | |
| der CDU: „Dr. Althusmann hat sich der Sache angenommen.“ | |
| Ahmed hat für die Existenzängste der Betreiber und Mitarbeiter kein | |
| Verständnis. „Das ist keine Unterhaltung“, sagt er. Nie habe ihn ein | |
| Angestellter auf seine Sucht angesprochen, obwohl sein Problem so | |
| offensichtlich war. „Die haben mir viele Jahre weggenommen.“ Der 34-Jährige | |
| ist deshalb dafür, alle Spielhallen zu verbieten. | |
| *Name geändert | |
| 6 Feb 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.suchthilfe-salzgitter.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andrea Scharpen | |
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