| # taz.de -- Tochter über ihren spielsüchtigen Vater: „Ich hätte Angst, Gef… | |
| > Als ihr Vater spielsüchtig wurde, hat sie den Kontakt zu ihm abgebrochen. | |
| > Heute hat die Tochter mit dem Thema abgeschlossen – fast jedenfalls. Ein | |
| > Protokoll. | |
| Bild: Spielhalle in Salzgitter: Für manche ist das Reinkommen leichter als das… | |
| Wenn ich an einem Spielcasino vorbeigehe, wird mir ganz anders. Es ist ein | |
| beklemmendes Gefühl, Wut steigt in mir hoch. Spielhallen sind ein rotes | |
| Tuch für mich, immer noch. Denn ich weiß, dass dort Menschenseelen und | |
| ganze Familien zerstört werden. | |
| Um zu erzählen, wie mein Papa in die Spielsucht rutschte, muss ich etwas | |
| weiter ausholen. Meine Eltern trennten sich, als ich zwölf Jahre alt war. | |
| Es gab schon vorher viel Streit und für mich war die Trennung eigentlich | |
| erst einmal befreiend, weil sich die Lage zu Hause entspannte. | |
| Mein ein Jahre älterer Bruder, meine kleine zehnjährige Schwester und ich | |
| sind bei meiner Mutter geblieben. Mein Papa zog eine Ortschaft weiter, 15 | |
| Autominuten entfernt, eigentlich keine große Distanz. Aber Papa hat die | |
| ganze Situation nicht verkraftet. Er ist ein emotionaler Mensch, vielleicht | |
| weil er Spanier ist. Für ihn ist die Familie unheimlich wichtig gewesen, | |
| die Trennung von uns Kindern hat ihm wahrscheinlich das Herz gebrochen, | |
| aber das habe ich damals nicht verstanden. | |
| Eigentlich war abgemacht, dass wir Kinder jedes zweite Wochenende zu ihm | |
| kommen sollten. Aber zu der Zeit als Teenager waren Freunde manchmal | |
| wichtiger. Papa fühlte sich einsam. Und als ihn ein Bekannter einmal mit in | |
| die Spielhalle genommen hat, war das eine willkommene Abwechslung. | |
| Die Halle befand sich genau gegenüber seiner damaligen Wohnung. Er ging | |
| immer häufiger, hatte Spaß daran, gewann am Anfang wohl auch den ein oder | |
| anderen Betrag. Er hat nie wirklich darüber gesprochen. Auch als | |
| spielsüchtig hat er sich selbst nie bezeichnet. | |
| Mit der Zeit blieben die Unterhaltszahlungen aus. Meine Mutter verdiente | |
| nicht so gut und es gab Zeiten, in denen wir uns wochenlang von Toast | |
| ernähren mussten. Wenn Klassenfahrten anstanden, musste meine Mutter | |
| finanzielle Unterstützung von der Stadt beantragen. Für mich und meine | |
| Geschwister war das schlimm. | |
| Meine Mutter stellte meinen Papa zur Rede und es kam raus, dass er den | |
| Unterhalt verspielte. Meine Mutter schimpfte auf meinen Vater, redete sehr | |
| schlecht über ihn uns Kindern gegenüber. | |
| Ich war damals wütend und enttäuscht. Ich dachte, wie kann er es zulassen, | |
| dass wir Hunger haben. Mein Bruder und ich besuchten meinen Papa gar nicht | |
| mehr, nur meine kleine Schwester war ab und zu bei ihm. Sie erzählte uns, | |
| dass er sich sehr verändert habe. Er rauchte sehr, sehr viel, war nervös, | |
| unruhig. Er ist quasi vor sich hinvegetiert. | |
| Es gab in dieser Zeit ein Erlebnis, das mich letztendlich dazu brachte, | |
| mich mit dem Thema Spielsucht auseinanderzusetzen. Wir sind mit der Schule | |
| ins Casino nach Hamburg gefahren, am Dammtor. Im Matheunterricht nahmen wir | |
| gerade Wahrscheinlichkeitsrechnung durch. Ich wollte dort nicht rein. Alles | |
| in mir sträubte sich, letztendlich habe ich mich dann doch überwunden. Aber | |
| es war furchtbar, mir ging es körperlich richtig schlecht. Die Situation | |
| war sehr beklemmend. | |
| Wir hatten von unserer Lehrerin ein paar Coins zum Spielen bekommen, um ein | |
| bisschen was auszuprobieren. Ich habe die einer Freundin gegeben, nie hätte | |
| ich mich an so eine Maschine stellen können. | |
| Danach habe ich Artikel über Spielsucht gelesen. Mir war durchaus bewusst, | |
| dass das eine Krankheit ist, aber die Enttäuschung über meinen Vater hat | |
| damals alles dominiert. Und ich hatte damals nicht das Gefühl, dass er | |
| versuchte, etwas an seiner Situation zu ändern | |
| Ich habe ab und zu mit meinen Geschwistern über Papa gesprochen. Und mich | |
| auch einer Freundin anvertraut. Aber im Grunde habe ich das alles mit mir | |
| selbst ausgemacht. Es gab die innere Welt, den Stress mit meiner Mutter, | |
| die Enttäuschung über meinen Papa, und es gab die äußere Welt mit meinen | |
| Freunden. Das wollte ich nicht vermischen. Und das hat mir geholfen. | |
| Von meinem Papa habe ich nur noch zu Weihnachten und zum Geburtstag gehört. | |
| Und dann irgendwann gar nichts mehr. Seine damalige Vermieterin hatte meine | |
| Mutter informiert, dass er die Miete nicht mehr zahlt. Irgendwann hat die | |
| Polizei seine Wohnung aufgebrochen. Er war weg. Wir wussten nicht, wo er | |
| war, wie es ihm geht, ob er überhaupt noch lebt. | |
| Ein ganzes Jahr haben wir nichts von ihm gehört. Bis er auf einmal anrief | |
| und sagte, er sei in Spanien. Er pilgerte, hielt sich mit Gelegenheitsjobs | |
| und Gitarrespielen über Wasser. Er ist geflohen, musste weg, sonst hätte er | |
| sich umgebracht, so hat er es mir erzählt. Ich war nicht mehr wütend, ich | |
| war einfach froh, ihn zu hören. | |
| Er hatte über die Jahre 50.000 Euro Schulden angehäuft. Seinen Freunden hat | |
| er das Geld bereits zurückgezahlt. In Spanien hat er nur noch von der Hand | |
| in den Mund gelebt, er wollte kein Geld mehr besitzen, wohl aus Angst, | |
| rückfällig zu werden. Das war für ihn vermutlich das Beste, was er tun | |
| konnte, diese Distanz zu seinem früheren Leben. Er hat auch nie eine | |
| Therapie in Anspruch genommen, das finde ich schon erstaunlich. | |
| Mittlerweile verwalte ich sein Konto, weil er mich darum gebeten hat. | |
| Papa sagt, er hätte, nachdem er abgehauen ist, nie wieder gespielt. Ich | |
| glaube ihm. Unser Verhältnis ist mittlerweile gut. Auch wenn es | |
| wahrscheinlich anders ist als andere Tochter-Vater-Beziehungen. Die | |
| Spielerei hat eine Lücke gerissen und diese Zeit fehlt uns. Mein Vater war | |
| zwischendurch auch für eine Weile in Deutschland, er war schwer krank und | |
| wurde in Deutschland operiert. Er hat bei mir gewohnt, ich habe mich um | |
| alles gekümmert. Er hat mich mal als seine Lebensretterin bezeichnet. | |
| Für mich ist das Thema Spielsucht beendet. Aber ich habe immer noch größten | |
| Respekt davor. Ich bin meinem Vater sehr ähnlich und ich habe gelesen, dass | |
| sich so ein Suchtverhalten vererben kann. Ich würde niemals zocken, ich | |
| würde mich nicht an einen einarmigen Banditen stellen und noch nicht mal | |
| ein Rubbellos kaufen, definitiv nicht. Ich habe viel zu viel Angst, dass | |
| ich daran Gefallen finden könnte. | |
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| 4 Feb 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juliane Preiß | |
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