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# taz.de -- Computerspiel „Riot – Civil Unrest“: All cops are verpixelt
> Im Spiel „Riot – Civil Unrest“ lässt sich der Aufstand proben. Aber au…
> die Niederschlagung des kollektiven Widerstands vom Sofa aus ist möglich.
Bild: Diesmal ist die Polizei eher defensiv ausgerichtet, Szene aus dem Spiel
Kleiner Aufstand gefällig? Macht 12,99 Euro! Wie bitte? Ja, 12 Euro 99,
einen PC mit Windows oder Mac OS X und einen Steam-Account. Dann nämlich
läuft [1][„Riot – Civil Unrest“], eine Simulation von Aufständen und Ak…
des kollektiven Widerstands. Und eine Simulation, um Aufstände und
rebellische Aktionen zu beenden, mal mehr, mal weniger repressiv.
„Riot“ ist – nach über vier Jahren der Entwicklung und vielfach
verschobenen Veröffentlichungsterminen – im Dezember 2017 endlich
erschienen, acht Updates haben mittlerweile Programmier- und
Darstellungsfehler behoben sowie neue Funktionen erschlossen. Und so kann
man sich bequem aufs Sofa hauen, das Spiel starten und erst mal überlegen.
Hm, bin ich denn heute in der Stimmung, einen öffentlichen Platz zu
belagern? Oder will ich lieber eine aufgebrachte Menschenmenge
schikanieren, die Parolen ruft und mit Transparenten herumläuft?
Das Wohnzimmer ist gut beheizt, die Aussicht, in ein paar Minuten in einer
gepanzerten Polizeiuniform samt Helm und voller Ausrüstung irgendwelchen
Leuten hinterherrennen zu müssen, schreckt mich. Das klingt nach harter
Arbeit. Dann doch besser mit anderen auf der Straße rumhängen und dagegen
sein. Um es mit Herman Melvilles „Bartleby“ zu sagen: „Ich möchte lieber
nicht.“
Vier Szenarien sind anfangs spielbar, alle orientieren sich an Aufständen,
Protestaktionen und Widerstandsformen, die tatsächlich stattgefunden haben.
In [2][Keratea], südlich von Athen, kam es im Jahr 2010 zu
Straßenschlachten wegen einer geplanten Mülldeponie in der griechischen
Kleinstadt.
Auch die [3][Besetzung des Tahrir-Platzes] in Kairo, Ägypten, im Jahr 2011
ist dabei. Ebenso die [4][Bewegung der Empörten] im Spanien des Jahres 2012
und aus dem gleichen Jahr die Protestbewegung [5][No-TAV], die sich im
Norden Italiens gegen eine geplante Hochgeschwindigkeitstrasse richtete
und in die Leonard Menchiari, der italienische Chefentwickler des Spiels,
zuerst hineingeriet und dies dann zum Anlass nahm, die Arbeit am
Riot-Simulator zu beginnen.
## Los geht's in Maddalena
Was Menchiari kann, kann ich auch: Ich reihe mich ein in den italienischen
Widerstand und lande in einem Protestcamp voller Zelte in Maddalena. Musik,
die nicht zufällig an „Rage Against the Machine“ oder „Atari Teenage Rio…
erinnert, stimmt einen auf den Aufruhr ein. „Aufgabe: Schütze alle
markierten Zielobjekte vor der Zerstörung.“ Und schon rücken sie an,
mindestens vier Trupps von Sondereinsatzkräften der italienischen Polizei
mit Gummiknüppeln und allem Drum und Dran. Hubschrauberrotoren sind zu
hören. Ey, was soll das, die Schergen wollen unsere Zelte abräumen!
„Stellung halten“ also und die Cops ins Leere laufen lassen. Auf jeden Fall
friedlich bleiben, bisschen gemeinsam dumm im Weg rumstehen, Parolen
brüllen, singen, mit einem Megafon dafür sorgen, dass alle wissen, wo sie
sich am Besten querstellen.
Klappt. Die Büttel haben diesmal wohl keinen Befehl für einen repressiven
Einsatz. Man schiebt sich gegenseitig ein wenig hin und her, hier und da
versucht ein Einsatzteam in Pfeilformation zu den Zelten durchzudringen,
eins davon wird abgeräumt. Die anderen stehen noch. Das Camp bleibt unser,
die Spielszene ist beendet, beim nächsten Klick öffnet sich die Titelseite
einer Zeitung und teilt uns mit: „Protestors peacefully resist against
police attack“ („Protestierende widersetzen sich friedlich
Polizeiangriff“). Hihi, läuft bei uns.
Auf dem Sofa richte ich mich ein wenig auf. Mein innerer Polizist ist
erwacht. So nicht, denke ich, die acht blöden Zelte von diesem Gesindel
werden doch wohl zu bekommen sein. Also Rollenwechsel. Und immer feste
druff! Erst mal die Einstellung von defensiv zu offensiv ändern, dann drei
Polizeitrupps reinschicken, Pfeilformation natürlich, nur dass diesmal alle
Zelte geplättet werden. Doch, ey, was soll das? Die Zecken wehren sich ja?!
Verhaften, befehle ich, doch irgendwie wird das nichts, zumindest nicht in
der vorgegebenen Zeit, 4.30 Minuten, das ist ja nichts. Mission
gescheitert, eine Statistik zeigt die Anzahl der Verhafteten, wie viele
Personen dabei waren, wie viele verletzt wurden. Sieht gar nicht so
schlecht aus, diese Tabelle könnte das Innenministerium zufriedenstellen.
Aber die Presse: „Police unable to evict protestors“ („Polizei nicht in d…
Lage, Demonstranten zu vertreiben“). Mist.
## Tote auf dem Sofa
Nach jeder erfolgreichen Mission wird ein weiteres Level freigeschaltet.
Anfangs steht der Polizei nur leichte Bewaffnung zur Verfügung, später kann
mit Gummimunition, Schrot oder auch ganz scharf geschossen werden.
Räumfahrzeuge, Wasserwerfer, Tränengas – es ist alles dabei, um einen Platz
oder ein Gebäude zu räumen, Demonstranten am weiteren Vordringen zu hindern
und einen Polizeipräsidenten glücklich zu machen.
Auch die Aufständischen können von Level zu Level anders agieren:
Barrikaden werden gebaut, Schutz vor Tränengas steht plötzlich bereit,
Feuerwerkskörper, Pyros, Laserpointer, Steine, Schleudern, schließlich auch
Molotowcocktails. Fotografen können Polizeigewalt dokumentieren,
Social-Media-Tools dienen der Vernetzung und Kommunikation.
Nach zweieinhalb Stunden bin ich im italienischen Susatal gewesen, in
Kairo, Madrid und Keratea. Habe Eskalationen ungeahnten Ausmaßes innerhalb
kurzer Zeit erlebt, einige Hundert Leute sitzen nun in Haft, zig Polizisten
wurden verletzt, es gab Tote – auf meinem Sofa. Klar ist nun auch, je
friedlicher sich die Aufständischen verhalten, desto mehr Erfolg werden sie
haben. Auch bei Polizeieinsätzen führen defensive Strategien eher zum
Erfolg als offensive. Also, ähem, im Spiel.
## Alles aus der Feldherrenperspektive
„Riot“ lässt sich mit Tastatur, Maus, Controller oder Touchpad spielen, die
Bildauflösung lässt sich je nach PC-Leistung und Grafikkarte einstellen,
perfekte Auflösung ist anderswo, eine gewisse Pixeligkeit bleibt in jedem
Fall. Im Einzelspielermodus wird gegen eine künstliche Intelligenz
gespielt, von sehr einfach über anspruchsvoll bis „gesetzlos“, aber auch
Spiele unter zwei bis vier Gegnern sind möglich. Polizisten und ihre
Widersacher können also gemeinsam mit- und gegeneinander antreten,
Rollenwechsel inklusive. Sollten sie vielleicht mal tun, ein Kennenlernen
über „aktionsorientiertes Handeln“ soll ja schon so manchen Konflikt
beendet haben. Aber bitte nicht auf meinem Sofa.
„Riot – Civil Unrest“ stresst mit der Zeit ziemlich. Protestlieder,
Slogans, Megafongeschepper, Schussgeräusche, Hubschrauberknattern und viel
Geschrei. Ja, so hören sich Aufstände am PC wohl an. Mehr als das Spiel
erinnert einen der Sound daran, dass reale Situationen der Simulation
vorausgegangen sind, dass insbesondere der Tahrir-Platz lange ein
politischer Ort gewesen ist, auf dem Menschen gestorben sind, um Freiheit
zu erlangen. Die größte Schwäche von „Riot“ ist seine
Feldherrenperspektive, aus der heraus Spieler Menschenmengen manövrieren.
Die größte Stärke besteht darin, dass Spieler auf soziale Kämpfe in
Ägypten, Italien, Spanien und Griechenland aufmerksam gemacht werden.
Weitere Orte von Widerstandsaktionen könnten im „Riot“-Simulator mit der
Zeit hinzukommen: Von Brasilien bis Venezuela und von Frankreich bis China
sind Spielszenarien angelegt, die sich an realen Protestaktionen
orientieren, und irgendwann freigeschaltet werden können. Übrigens: Für
Deutschland ist kein Aufstand vorgesehen.
1 Feb 2018
## LINKS
[1] http://riotsimulator.com/
[2] https://www.theguardian.com/environment/2011/apr/19/keratea-greece-protests…
[3] /!5110887
[4] /!5083954
[5] /!5117700
## AUTOREN
Maik Söhler
## TAGS
Aufstand
Widerstand
Computerspiel
Lesestück Meinung und Analyse
Civilization
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