# taz.de -- Als Journalist bei der arabischen Revolution: Die "Tage des Zorns" | |
> Es waren mit die aufregendsten Wochen seines Lebens. Karim El-Gawhary, | |
> Nahost-Korrespondent der taz, hat ein "Tagebuch der arabischen | |
> Revolution" geschrieben. Ein Auszug. | |
Bild: Arbeitsplatz Panzer: Karim El-Gawhary in Bengasi. | |
Es ist ein Privileg, ein wahres Geschenk des Schicksals, als Journalist und | |
Zeitzeuge live in Tunis, Kairo und Bengasi dabeigewesen zu sein. Vor 20 | |
Jahren habe ich während der Operation Wüstensturm von Bush Senior aus der | |
Region zu berichten begonnen. Ich habe zwei palästinensische Intifadas | |
begleitet, einen weiteren Krieg im Irak, diesmal mit Bush Junior, einen im | |
Libanon, einen im Gazastreifen. Während der Präsidentschaftswahlen im Iran | |
musste ich das Scheitern des grünen Aufstands gegen Ahmadinedschad | |
miterleben. | |
Es waren allesamt besondere, meist tragische Momente, aber auch verbunden | |
mit dem Gefühl, gerade an dem Ort zu sein, an dem etwas Wichtiges geschieht | |
(…) All die Kriege und Attentate hatten eines gemeinsam: Sie brachten kaum | |
Veränderungen und wenn, dann meist zum Schlechteren. | |
*** | |
Die Revolutionen begannen überall auf ähnliche Weise: Den Anfang machten | |
meist Jugendliche, die zuvor mit der alten, stets stagnierenden Politik der | |
arabischen Welt nichts am Hut hatten. Sie entwickelten neue Methoden, mit | |
modernen Medientechnologien wie Blogs, Facebook und Twitter die Regime | |
einfach zu überrumpeln. Sie taten es ohne jegliche charismatische Führung, | |
als revolutionäres Kollektiv, dem kein Sicherheitsapparat beikommen kann. | |
Die Revolutionen hatten ein wichtiges gemeinsames Merkmal: Die Menschen | |
hatten über Nacht ihre Angst verloren. So las ich Twitter folgenden | |
Eintrag: "Als wir furchtlos auf die Polizeiketten zugestürmt sind und die | |
Polizisten auch noch vor uns davonliefen, dachte ich das erste Mal: Das ist | |
eine Revolution." Erst war es eine kleine Gruppe, die sich nicht mehr | |
einschüchtern ließ. Dann eine große Masse, die die Sicherheitsapparate mit | |
einer Mischung aus Polizei, Staatssicherheit und angeheuerten Schlägern | |
nicht mehr kontrollieren konnten. | |
Nehmen wir eine kurzen Auszug aus dem "Tagebuch der Arabischen Revolution", | |
der die dramatischsten Momente der "Tage des Zorns" dokumentiert. | |
## Journalisten werden zur Zielscheibe | |
Tweets auf Twitter | |
2. Februar 2011, 23:44 Unsere ORF-Produzentin wurde heute Nacht von | |
Schlägern angegriffen, weil sie ein Stativ in der Hand hatte. Konnte sich | |
aber ins Hotel retten. | |
2. Februar 2011, 23:46 Arbeit ist sehr schwer geworden. Jugendliche vom | |
Nachbarschaftskomitee begleiten mich zum Schutz vor Schlägern zur | |
Live-Position für die ZIB 24. | |
2. Februar 2011, 23:46 Gerücht geht um, dass ein Großangriff der Schläger | |
auf den Tahrir-Platz geplant ist. | |
Auf Facebook gepostet | |
3. Februar 2011, 00:47 Acht Journalisten wurden heute Nacht angegriffen. | |
Vier werden vermisst. Auf dem Handy eines von ihnen antwortet der Schläger: | |
„Habe ihn umgebracht.“ | |
3. Februar 2011, 00:49 Terror in Kairos Innenstadt. Sie suchen nach | |
Journalisten. Viele Kameras wurden zerstört. | |
3. Februar 2011, 00:52 Ich kann die Schläger vom Fenster aus sehen. | |
3. Februar 2011, 07:23 Mindestens sechs Tote heute Nacht am Tahrir. Drei | |
durch scharfe Munition. | |
3. Februar 2011, 07:25 Mehrere tausend Demonstranten harren dort immer noch | |
aus. Kleinbusse bringen immer neue Schläger an Rand des Platzes. | |
3. Februar 2011, 07:26 Laut arabischen Medienberichten wurde ihnen Geld | |
versprochen, wenn die Schläger den Platz erobern. | |
Tweets auf Twitter | |
3. Februar 2011, 11:59 Komme gerade vom Tahrir-Platz. Erst hat mich das | |
Militär auf gehalten. Dann wurde ich auf einer anderen Straße von den | |
Schlägern aufgehalten. | |
3. Februar 2011, 12:02 Die ließen mich erst in Frieden, als ich meinen | |
ägyptischen Ausweis gezeigt habe. Sie erzählten, sie hätten eben einen | |
ausländischen Journalisten erwischt. | |
Arabesken, tazblog 7.2.2011 | |
## Den Tahrir-Platz in den Köpfen kann ihnen niemand mehr nehmen | |
Liebe Blog-Leser und -Leserinnen, | |
Ich möchte mich inständig dafür entschuldigen, dass hier in den letzten | |
Wochen nichts Neues erschienen ist. Ich hatte schlichtweg keine Zeit, | |
nachdem mein Telefon seit fast zwei Wochen im Zehnminuten-Takt klingelt. | |
Ich musste zunächst meine Medien bedienen und konnte mich nach einem | |
16-Stunden-Arbeitstag entscheiden, ob ich noch ein paar Stunden schlafe | |
oder für diesen Blog schreibe. Ich habe mich aus Überlebensgründen für den | |
Schlaf entschieden. | |
Die letzten zwei Wochen zählen sicherlich zu den aufregendsten meines | |
Lebens. Der Freitag, als ich im Tränengasnebel der Polizei stand und mit | |
anderen Demonstranten vor den Steinen der Polizei davongelaufen bin, nur um | |
zu sehen, wie die Jugendlichen dann einfach auf die Polizeiketten | |
zugestürzt sind und sie verjagt haben, scheint Lichtjahre von heute | |
entfernt. | |
Dann kam die Zeit der Plünderungen, nachdem das Regime die Gefängnisse | |
geöffnet hatte und auch einige Polizisten in Zivil bei den Plünderungen | |
erwischt wurden. Das Ganze hatte System. Das Regime versuchte Chaos zu | |
schaffen, um sich dann als Retter in der Not zu präsentieren. Die Antwort | |
der Menschen: Sie versammelten sich immer wieder auf dem Tahrir-Platz und | |
bildeten Nachbarschaftskomitees, um ihr Eigentum und die Familien zu | |
schützen. | |
(…) | |
Ich lebe seit 20 Jahren in diesem Land, aber niemals hätte ich mir | |
vorstellen können, wie sich die Menschen in so kurzer Zeit selbst | |
organisieren. Nachbarn kamen auf der Straße zusammen, die zuvor nie | |
miteinander gesprochen hatten. Jetzt saßen sie die ganze Nacht zusammen am | |
Lagerfeuer und arbeiteten zusammen, egal ob arm oder reich. Einer meiner | |
Freunde erzählte mir, er sei mit einem antiken Erbstück seines Vaters, | |
einem alten Schwert, auf der Straße gesessen. „Ich wusste nicht, ob ich | |
damit die Plünderer abschrecke oder ob das wertvolle Schwert sie erst recht | |
anziehen würde“, witzelt er heute. | |
Dann kam der schlimmste Tag, an dem das Regime seine Schläger losschickte, | |
um die Demonstranten, die Innenstadt und auch uns Journalisten zu | |
terrorisieren. Auch dieser Horror ist inzwischen vorbei. Jetzt setzt das | |
Regime auf Zeit und versucht die Opposition auseinanderzudividieren. Der | |
Protest geht in die dritte Woche und das Regime hofft, die öffentliche | |
Meinung gegen die Demonstranten aufzubringen, nach dem Motto: Die | |
Demonstranten sind schuld, dass keine Normalität eintritt. Vertraut uns und | |
wir werden wieder Stabilität herstellen. | |
(…) | |
Jetzt geht es darum, wer den längeren Atem hat. Meine persönliche | |
Einschätzung ist: Selbst wenn das Regime es irgendwann schaffen würde, den | |
Platz zu räumen, hat es noch längst nicht gewonnen. Nach zwei Wochen | |
Protesten und wegen der unterschiedlichsten Menschen, die in dieser Zeit am | |
Tahrir vorbeigekommen sind, ist das Entscheidende nicht mehr das Halten des | |
Platzes. Der Tahrir hat sich längst in den Köpfen der Menschen | |
verselbstständigt. Und das kann ihnen niemand mehr wegnehmen. Das ist der | |
Grund, warum es für das Regime längst kein Zurück mehr gibt. | |
2 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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