# taz.de -- Hoffnungsträgerin der bayerischen SPD: Mutige Münchnerin | |
> In Berlin soll sie eine Regierung auf die Beine stellen, in München die | |
> Alleinherrschaft der CSU brechen. Ein Treffen mit Natascha Kohnen. | |
Bild: Sie will regieren, auch wenn die Chancen nicht so gut ausschauen: Natasch… | |
MÜNCHEN taz Nein, Angela Merkel sei in ihren Träumen noch nicht | |
vorgekommen, sagt Natascha Kohnen. Aber Malu Dreyer. Und Manuela Schwesig. | |
„Während der Sondierungsgespräche träumst du natürlich auch davon.“ Die | |
Bundespolitik überdeckt gerade alles – bayerische Landtagswahljahr hin oder | |
her. Mit den Genossinnen diskutierte sie dann im Schlaf die Fragen des | |
Tages weiter, deren größte momentan noch immer lautet: Groko oder nicht | |
Groko? | |
Kohnen, ihres Zeichens bayerische SPD-Chefin, Spitzenkandidatin für die | |
Landtagswahl im Oktober und seit Kurzem stellvertretende Vorsitzende der | |
Bundespartei, hat es sich in einem der Sessel im Akademiesaal des | |
Bayerischen Landtags bequem gemacht. Es ist der Dienstag der vergangenen | |
Woche, die SPD-Politikerin ist für wenige Tage in der Heimat, | |
Sondierungsgespräche und Parteitag hat sie gerade hinter sich, die | |
Koalitionsverhandlungen noch vor sich. | |
Die 50-Jährige muss sich erst in ihre neue Rolle finden. Vor gut einem | |
Jahr, als sie noch Generalsekretärin der Bayern-SPD war, da kannte sie | |
selbst im Freistaat nicht jeder. Inzwischen spricht man auch außerhalb | |
Bayerns voller Respekt von der blonden Genossin aus dem Süden. Die | |
„Tagesthemen“ kommentierten am Abend des Sonderparteitags das Hauptereignis | |
des Tages: Nicht Parteichef Schulz sei das Ja des Parteitags zu | |
Koalitionsverhandlungen zu verdanken, sondern drei Frauen – Andrea Nahles, | |
Katarina Barley und, richtig, Natascha Kohnen. „Hey, ist ja ein Ding“, | |
denke sie sich dann. | |
## Opposition ist Mist, das wissen sie in Bayern | |
Gerade mal drei Minuten und 25 Sekunden hat ihre Rede auf dem Parteitag in | |
Bonn gedauert in einer fast fünf Stunden währenden Debatte. Denen, die | |
forderten, die SPD solle stolz in die Opposition ziehen, rief Kohnen zu: | |
„Ich sage euch als bayerische Sozialdemokratin, und das meine ich todernst: | |
Geht mit so einem Satz differenziert um!“ Wer in Bayern zur SPD geht, weiß | |
schließlich, was Opposition wirklich ist: Mist. Kohnens Rede war engagiert, | |
ihr ausgestreckter Zeigefinger diente ihr als Degen im Kampf um die | |
Argumente. Aber sie sagte auch: „Nein, wir sind nicht gespalten, sondern | |
wir debattieren.“ | |
Tatsächlich gibt sich die SPD derzeit wieder diskussionsfreudig. Von einem | |
„echten Ringen“ spricht Kohnen. Und dass sei gut so. Überall sei die | |
Debatte um die Große Koalition doch gerade Gesprächsthema. „In der U-Bahn | |
höre ich die wildesten Debatten. Wann war das denn zuletzt?“ Es sei doch | |
super, wenn die politische Debatte wieder in der Gesellschaft ankomme. | |
Aber schlagen da nicht zwei Herzen in der Brust der Partei? Unsinn. „Es | |
gibt nur ein Herz, und das schlägt sozialdemokratisch.“ Auch die | |
Delegierten ihres eigenen Landesverbands stimmten mehrheitlich gegen | |
Verhandlungen mit der Union. Und Kohnen rang – zunächst mit sich selbst. | |
Dass sie zu Beginn der Groko äußerst skeptisch gegenübergestanden sei, ist | |
bekannt. Aber dann hat sie das Ergebnis der Sondierungsgespräche selbst | |
überrascht. Nach der letzten Verhandlungsrunde las sie im Hotelzimmer die | |
28 Seiten noch einmal in aller Ruhe durch – und befand: „Ja, das kann | |
funktionieren.“ | |
## Gorleben, Wackersdorf, Volkszählung | |
Geboren wurde Natascha Kohnen 1967 in München, aufgewachsen ist sie mitten | |
in der Stadt, nur einen Steinwurf vom Englischen Garten entfernt. „Mehr | |
Fingerfarben, als ich gesehen habe, gibt’s nicht“, erzählt Kohnen. „Bei … | |
war 68 durch und durch.“ Ihre Mutter, eine Irin, war Goldschmiedin, der | |
Vater verdiente sein Geld als Anwalt, engagierte sich aber auch in der | |
Kleinkunstszene. Nachdem sich die Eltern getrennt hatten, wuchsen Natascha | |
und ihr Bruder überwiegend beim Vater auf. | |
Dann Schulzeit am Luisengymnasium, für Münchner Verhältnisse eine eher | |
linke Schule. Es waren die Achtziger: Wackersdorf, Tschernobyl, | |
Falklandkrieg, Pershing-Raketen. Und natürlich jede Menge Protest, | |
Ostermärsche. Kohnen immer mittendrin. Der Ministerpräsident in Bayern hieß | |
zu dieser Zeit Franz Josef Strauß. Damals war es noch leicht, für oder | |
gegen etwas zu sein. Schon in der sechsten Klasse eckte die Schülerin mit | |
einem Button an, den sie im Unterricht trug: „Gorleben soll leben!“ In der | |
zwölften dann das Flugblatt gegen die Volkszählung, das sie und drei | |
Mitschüler verteilten: „Nur Schafe lassen sich zählen.“ Und Geldscheine. | |
Fast 3.000 Mark mussten die Schüler wegen dieses Aufrufs zu einer Straftat | |
zahlen. | |
Ihre politische Heimat sah Kohnen von Beginn an in der Sozialdemokratie. | |
Parteimitglied wurde sie aber erst mit 33 Jahren. Davor noch ein | |
Biologie-Studium in Regensburg, ein Job als Lektorin bei einem | |
Schulbuchverlag und zwei Jahre in Paris. | |
Auslöser für den Parteieintritt war ein ganz persönliches Erlebnis: Eben | |
aus Frankreich zurückgekehrt, landete sie mit ihren zwei Kindern im | |
Münchner Speckgürtel, in Neubiberg, und war auf der Suche nach einer | |
Kinderkrippe. Auf die entsprechende Nachfrage im Rathaus ließ sie ein | |
älterer Herr wissen: „So was brauchen wir hier nicht, Frauen gehen eh nur | |
shoppen, wenn sie freihaben.“ Dann noch ein zufälliges Treffen mit der | |
damaligen SPD-Bürgermeisterkandidatin, und schon wenig später saß Kohnen im | |
Gemeinderat. 2008 Einzug in den Landtag, 2009 Generalsekretärin, Anfang | |
2017 setzte sie sich in einer Urwahl gegen fünf männliche Mitbewerber durch | |
und wurde Landesvorsitzende, im Dezember schließlich auch noch | |
stellvertretende Bundesvorsitzende. Und dazwischen nominierte sie der | |
Parteivorstand noch en passant als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl. | |
## Söder gegen Kohnen: das ungleiche Duell | |
In diesem Jahr nun kommt es zum Duell: Kohnen gegen Markus Söder. Wobei es | |
natürlich kein echtes Duell ist, da Kohnen selbst bei starken Verlusten | |
der CSU keine realistische Option auf den Regierungschef hat. Auch bei | |
einer Direktwahl würden sich laut „BayernTrend“ des Bayerischen Rundfunks | |
55 Prozent der Bayern für den designierten Ministerpräsidenten entscheiden, | |
nur 25 für Kohnen. Noch düsterer sind die Werte für ihre Partei: Bei 16 | |
Prozent sieht die Umfrage die SPD derzeit. Von den ohnehin mickrigen 20,6 | |
Prozent der letzten Landtagswahl ist das noch weit entfernt. | |
Womit also jetzt noch punkten? Wohnen, das wäre eigentlich genau Kohnens | |
Thema. „Ich hab schon vor dem Parteitag gesagt: Leute, das muss ein ganz | |
anderes Gewicht kriegen. Das ist bei uns in Bayern das Thema Nummer eins.“ | |
Aber inzwischen ist es nicht mehr nur ihr Thema. Auch Söder hat es jetzt zu | |
einem der großen Wahlkampfthemen erhoben. Eine staatliche | |
Wohnungsbaugesellschaft kündigte er vor zwei Wochen an, die 4.000 Wohnungen | |
in Bayern bauen solle. „Grotesk“, findet Kohnen. „Schließlich war es Sö… | |
der vor Jahren 33.000 staatseigene Wohnungen verkauft hat. Und jetzt kommt | |
er mit seiner Wohnungsbaugesellschaft. Das macht den alten Fehler nicht | |
wett. Damit wird er nicht durchkommen.“ Glaubt sie. Außerdem brauche man | |
jährlich mindestens 20.000 neue Wohnungen. | |
Wenn man sie nach Wahlzielen fragt, vermeidet es Kohnen von Prozentzahlen | |
und Regierungsoptionen zu sprechen, lieber propagiert sie den neuen | |
politischen Stil, den sie in die Debatte bringen will: „ernsthaft, sachlich | |
geprägt und ruhig“. Wie nötig ein solcher Umgang sei, habe sie gerade bei | |
den Sondierungsgesprächen gesehen. Vor allem die beiden CSU-Politiker | |
Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer hätten sich da wie Rüpel benommen. | |
## Bloß keine Spekulationen über die Zukunft der Bayern-SPD | |
Dabei ist es durchaus interessant, sich über mögliche Konstellationen nach | |
der Wahl Gedanken zu machen. Grüne, Freie Wähler und FDP tun das: Sie haben | |
bereits ihre Bereitschaft signalisiert, mit der CSU in eine Koalition zu | |
gehen. Söder tut das: Er kann sich, sagt er, ein Bündnis mit der FDP oder | |
den Grünen nicht vorstellen. Und auch die Wähler tun das: Am besten schnitt | |
bei ihnen im „BayernTrend“ mit 46 Prozent die Option Schwarz-Grün ab. | |
Kohnen dagegen sagt nur: „Ich werde möglichst viel dafür tun, dass die SPD | |
einen guten Sprung nach vorne macht. Und dann entscheiden die Wählerinnen | |
und Wähler.“ Was Politiker halt so sagen, wenn sie nichts sagen wollen. | |
Immerhin noch das: „Natürlich will ich regieren in Bayern.“ Dass es | |
realistischerweise nur einen gibt, mit dem das möglich ist – geschenkt. | |
Aber jetzt gilt es ja erst einmal, in Berlin eine Regierung auf die Beine | |
zu stellen. Vielleicht eine gute Übung für Oktober. Denn in Bayern kann man | |
sich nicht so viel Zeit lassen. Hier sieht die Verfassung eine | |
Regierungsbildung innerhalb weniger Wochen vor. | |
2 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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