| # taz.de -- Kolumne Nachbarn: Liebe, Musik und Tanz | |
| > Ein Lied lässt die Freundin sorglos tanzen. Dasselbe Lied erinnert unsere | |
| > Kolumnistin an Syrien – und an das Wichtigste im Leben. | |
| Bild: „Das nächste Lied ist für dich.“ Das will man doch hören! | |
| „Die tiefen Falten in ihrem Gesicht deuteten darauf hin, dass sie über | |
| sechzig war. Ihr buntes Kleid und die Tätowierung auf ihrer rechten Hand | |
| erinnerten an die Sinti und Roma. Sie rauchte Marihuana, spielte auf einem | |
| alten Akkordeon, während sie sich ab und zu mit ihrem Lippenstift die rote | |
| Farbe auffrischte. Und bevor sie wieder zu spielen begann, zählte sie die | |
| Cents in ihrem Hut und lächelte zufrieden. Ich stand mit vielen anderen bei | |
| ihr. Nach dem zweiten Stück hieß sie mich näherzukommen und flüsterte mir | |
| ins Ohr: ‚Liebe ist das Schönste im Leben!‘ Und: ‚Das nächste Lied ist … | |
| dich.‘ Dann spielte sie ein langsames, melancholisches Stück. Die Münzen | |
| flogen in ihren Hut. Ich tanzte und schwang die Arme in die Luft.“ | |
| Ich war begeistert von dieser Geschichte, die mir meine Freundin erzählte. | |
| Am Ende begann sie zu tanzen und sagte: „Ich tanzte lange, getragen von der | |
| Kraft der Musik und der Liebe, ohne Hemmungen; ich schwebte geradezu in der | |
| Luft.“ | |
| Während sie tanzte, fragte ich sie, ob sie wüsste, dass wir in Syrien die | |
| Sinti und Roma bzw., wie manche sie nennen, die „Zigeuner“ bzw. Gitanos mit | |
| Liebesgeschichten, mit Musik und Gesang verbinden. Eine Gruppe campierte | |
| jeden Sommer unweit meines Dorfes in Syrien. Tagsüber gingen sie ihren | |
| Beschäftigungen, einschließlich des Bettelns von Haus zu Haus, nach. Abends | |
| feierten sie bis spät in der Nacht. | |
| Wenn sie ihre Zelte aufschlugen, rannten die Kinder durchs Dorf und | |
| schrien: „Die Gitanos kommen.“ Dann wussten die Dorfbewohner, dass sie nun | |
| ihre Kupferwaren veredeln oder polieren lassen konnten. Die frisch | |
| verliebten Frauen und Männer im Dorf freuten sich, bald über Heiratschancen | |
| und mögliche Nachkommen vom Kaffeesatzlesen durch die Sinti- und | |
| Roma-Frauen zu erfahren. | |
| ## Eine Leiche | |
| Manche junge Männer verliebten sich in die eine oder andere schöne | |
| „Zigeunerin“. Ich erfuhr als Teenager, dass es einem jungen Mann aus | |
| unserem Dorf so ergangen war. Diese jedoch wollte gar nichts davon wissen. | |
| Und als er an einem hellen Morgen feststellte, dass sie und ihre Familie | |
| nicht mehr da waren, machte er sich auf die Suche nach ihr. | |
| Nur sporadisch hörte man seitdem etwas von ihm: dass er mal in Jordanien, | |
| mal in Palästina oder im Libanon war. Immer vergeblich auf den Spuren der | |
| Geliebten. Nachdem einige Jahre vergangen waren, erzählte man sich, er habe | |
| sich am Ende das Leben genommen. Seine Leiche sei auf Bahngleisen bei | |
| Aleppo gefunden worden. | |
| Meine Freundin hörte beim Hören von „er habe sich am Ende das Leben | |
| genommen“ auf zu tanzen und sagte: „Ja, genau das meinte die | |
| Akkordeonspielerin. Das Schönste im Leben ist die Liebe. Ohne Liebe hat das | |
| Leben keinen Sinn!“ | |
| Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman | |
| 29 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kefah Ali Deeb | |
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