| # taz.de -- Kolumne Nachbarn: Warten auf Grün | |
| > An der Ampel streitet sich ein älteres syrisches Ehepaar. Sie stört sich | |
| > daran, dass er raucht. Er stört sich daran, dass sie schnarcht. Fast wie | |
| > zuhause. | |
| Bild: Schön wäre, wenn die Ampel in Syrien endlich auf Grün spränge | |
| Es war morgens in Berlin. An einer Kreuzung – die Ampel stand auf rot – | |
| unterhielten sich ein Mann und seine Frau, beide etwa Mitte 60, während sie | |
| auf die grüne Ampel warteten. | |
| Der Mann kramte aus seiner Jackentasche eine Tabakdose mit offensichtlich | |
| bereits fertig gedrehten Zigaretten hervor, nahm sich eine Zigarette | |
| heraus, klappte die Dose wieder zu und steckte sie zurück in seine | |
| Jackentasche. Mit der anderen Hand steckte er sich die Zigarette in den | |
| Mund und versuchte sie anzuzünden. Seine Frau meckerte ihn in syrischem | |
| Dialekt an: „Gott verfluche deine Zigaretten, sie werden dich noch | |
| umbringen.“ | |
| Das bekümmerte den Mann offensichtlich nicht weiter, denn er versuchte | |
| erneut, sich mit dem Streichholz seine Zigarette anzuzünden, nachdem die | |
| ersten Versuche gescheitert waren. Seine Frau redete weiter auf ihn ein: | |
| „Du hustest ununterbrochen, die ganze Nacht hustest du.“ Dabei wölbte sie | |
| die Hände schützend um das Streichholz. Er lächelte sie an, und die | |
| Zigarette brannte. Mit einem einzigen Zug war fast ein Drittel seiner | |
| Zigarette verschwunden. Seine Frau schaute ihn verächtlich an und stemmte | |
| ihre Hände in die Taille. | |
| Er erwiderte ironisch: „Du verfluchst meine Zigaretten und das Rauchen, | |
| polemisierst über mein nächtliches Husten und vergisst dabei, dass du die | |
| ganze Nacht geschnarcht hast, die ganze Straße hat es gehört, und Gott möge | |
| unsere deutschen Nachbarn vor deinem Schnarchen bewahren.“ | |
| All dies geschah, während auch ich an der besagten Ampel wartete. Als die | |
| Ampel auf grün sprang, überquerten wir gemeinsam die Straße. Die Frau | |
| blickte zu mir und konnte ihr Lachen nicht verbergen, denn sie hatte | |
| bemerkt, dass ich ihre Unterhaltung verstand und darüber schmunzeln musste. | |
| Der Mann schaute mich nun ebenfalls freundlich an, während er seine Frau | |
| beim Überqueren der Straße bei der Hand nahm. Kurz nach der Ampel trennten | |
| sich unsere Wege. | |
| Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich ein syrisches Ehepaar ironisch über | |
| sein Schicksal in der Fremde unterhält. In Syrien reden die Menschen ganz | |
| ähnlich in öffentlichen Verkehrsmittel, auf dem Bürgersteig, auf den | |
| Ämtern, auf den Balkonen und vor ihren Häusern. | |
| Aber das, was ich heute Morgen erlebt hatte, hat etwas mit Berlin zu tun, | |
| denn aus dem Kontext der Unterhaltung verstand ich, dass beide Flüchtlinge | |
| waren, denn sie hatten etwas von einem Termin beim Bundesamt für Migration | |
| und Flüchtlinge erwähnt, und dass sie einen Dolmetscher benötigen. Mir tat | |
| es leid, da ich der deutschen Sprache nicht mächtig bin und ihnen somit | |
| nicht weiterhelfen konnte. | |
| Es ist traurig, dass ein älteres Ehepaar in einem fremden Land lebt, ohne | |
| dessen Sprache zu sprechen. Zwei Flüchtlinge, die kaum Hoffnung auf | |
| Rückkehr haben, solange der Krieg und die Diktatur in ihrem Heimatland | |
| nicht aufhören. Womöglich werden sie den Rest ihres Lebens auf andere, die | |
| für sie dolmetschen, angewiesen sein. | |
| Vielleicht werden sie ihre freie Zeit damit ausfüllen, sich gegenseitig zu | |
| sticheln, ihre Erinnerungen hervorzukramen, nostalgisch ihre Heimat zu | |
| vergegenwärtigen, den Verlust ihres Hab und Guts ironisch zu betrauern und | |
| die unheimliche Sehnsucht mit Tränen zum Ausdruck zu bringen. Wie wir alle, | |
| werden sie darauf warten, dass die syrische grüne Ampel ihnen das Signal | |
| gibt, den langen finsteren Tunnel zurück in ihre befriedete Heimat zu | |
| durchqueren. | |
| Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman | |
| 3 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kefah Ali Deeb | |
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