| # taz.de -- Kolumne Nachbarn: An einem sonnigen Tag | |
| > In der Fremde treffen Vertriebene zusammen. Wir unterhalten uns über | |
| > Syrien und erinnern uns an den kurzen Winter und die warme Sonne. | |
| Bild: Sommer in Berlin | |
| Syrerinnen und Syrer stellen in Deutschland die drittgrößte Gruppe von | |
| Migranten. Das besagen die Statistiken. Fast in jedem öffentlichen | |
| Verkehrsmittel, in jedem Café, in jeder Universität, in jeder Schule und in | |
| den Parks begegnet man Syrerinnen und Syrer. | |
| Letztes Wochenende kündigte sich der Sommer an. Berlinerinnen und Berliner | |
| unterschiedlichster Nationen strömten in die Parks. | |
| In einem Park wimmelte es vor Menschen, die sich in verschiedenen Gruppen | |
| zusammengeschlossen hatten. Ich entfernte mich von den Freunden, mit denen | |
| ich unterwegs war, und schlenderte umher. Es war mir natürlich ein | |
| Leichtes, die syrischen Gruppen an der Sprache zu erkennen. In einer dieser | |
| syrischen Gruppen unterhielten sich die Leute – sie schienen eine Familie | |
| zu sein – über das Wetter in Syrien. Sie verglichen den Winter in Syrien | |
| mit dem in Deutschland und beklagten ihre depressive Winterstimmung. Ich | |
| gesellte mich dazu. | |
| Ich: „Guten Tag. Endlich scheint die Sonne.“ Eine Frau erwiderte: „Guten | |
| Tag. Sie sind Syrerin?“ Ich: „Ja, ich lebe seit drei Jahren hier. Ich heiße | |
| Kefah.“ Die Tochter: „Wir sind auch Syrer, wir kamen auch vor drei Jahren | |
| nach Deutschland, aber an das Wetter haben wir uns noch nicht gewöhnt.“ | |
| Lachend fuhr sie fort: „Wir sind wie die Deutschen geworden; sobald die | |
| Sonne scheint, gehen wir raus.“ | |
| Der Mann nahm die Kebab-Spieße vom Grill und lud mich ein mitzuessen. Ich | |
| sagte: „Vielen Dank. Ich bin mit Freunden unterwegs und muss zurück. Ich | |
| hörte Sie über Syrien sprechen und dachte, ich sag mal Guten Tag.“ Da | |
| seufzte der Mann und sagte: „Ach! Syrien! Ich trauere um die Sonnentage und | |
| die vergangene Liebe zwischen den Menschen. Dieses verfluchte Schicksal, | |
| das uns zur Asche macht.“ | |
| Ich: „Vielleicht kehren wir bald zurück und alles wird gut.“ Da sagte die | |
| Frau: „Ich bin ziemlich sicher, dass wir zurückkehren werden, auch wenn von | |
| unseren Häusern kein Stein mehr steht. Aber wenn der Krieg und die Diktatur | |
| zu Ende sind, bauen wir unsere Häuser wieder auf.“ | |
| Die Tochter nahm mich bei der Hand und bat mich inständig, mich zu setzen. | |
| Es gehört zur syrischen Tradition, dass man insistiert, dass der Gast | |
| bleibt. Auch der Vater bestand darauf, dass ich mindestens ein Stück Brot | |
| und etwas Kebab esse, damit es zwischen uns Salz und Brot gibt, wie man auf | |
| Arabisch sagt. Dadurch wird man Teil der Familie. | |
| In der Fremde treffen Vertriebene zusammen, die aus demselben Ort kommen, | |
| unterhalten sich über früher und tauschen melancholische Erinnerungen aus – | |
| als würden sie sich schon immer kennen. Bald trennen sich ihre Wege und | |
| jeder geht seinem Ziel nach. Doch etwas verbindet sie: die Hoffnung auf die | |
| Rückkehr nach Syrien mit seinem kurzen Winter, seiner warmen Sonne und der | |
| Liebe zwischen den Menschen sowie der Wille zum Wiederaufbau der zerstörten | |
| Häuser. | |
| Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman | |
| 23 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Kefah Ali Deeb | |
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