# taz.de -- Protest gegen Rassismus in Sachsen: Ungleiche Begegnungen | |
> Ein antifaschistisches Bündnis demonstriert in Wurzen gegen Angriffe auf | |
> Geflüchtete. Die lokale Naziszene zeigt sich wenig beeindruckt. | |
Wurzen taz | Wurzen ist ein kalter Ort. Das spürten zumindest jene knapp | |
100 Menschen, die am vergangenen Samstag mehr als fünf Stunden in einem | |
Park nahe dem Bahnhof ausharrten, um sich gemäß dem Demomotto mit „allen | |
Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt“ zu solidarisieren. Sofern in | |
der Dunkelheit überhaupt noch etwas zu erkennen war, sah man Menschen, die | |
in der einen Minute hüpfend der Kälte trotzten und in der anderen Minute | |
einen Redebeitrag über rassistische Morde verfolgten. | |
Für viele der zu Kundgebungsbeginn etwa 250 Anwesenden ist das 30 Kilometer | |
von Leipzig entfernte Wurzen auch emotional ein kalter Ort – aus Sicht von | |
Geflüchteten auch ein gefährlicher. Im vergangenen Jahr kam es zu | |
mindestens drei schweren Übergriffen. Im Januar und Dezember attackierten | |
Unbekannte die Wohnungen von Männern aus Eritrea. Ein durch ein Fenster | |
geworfener Pflasterstein verletzte eine schlafende Person am Bein. Im Juni | |
versammelten sich mehr als 50 Rechtsradikale auf dem Marktplatz – die | |
Polizei konnte einen Angriff auf ein Haus nur mit Mühe verhindern. | |
Den bisherigen Höhepunkt der Gewalt markierte eine Auseinandersetzung vor | |
zwei Wochen. Laut Polizei gerieten Geflüchtete und Deutsche zunächst am | |
Bahnhof verbal aneinander. Letztere verfolgten die Geflüchteten zu ihren | |
Wohnungen und beschädigten dort eine Scheibe. Die Angegriffenen reagierten, | |
indem sie aus dem Haus stürmten, in das sie letztlich aber wieder | |
zurückeilen mussten, da nun wiederum die Deutschen mit Verstärkung | |
anrückten. | |
Dieses Hin und Her wiederholte sich. Am Ende zählte die Polizei mehrere | |
Verletzte, zwei davon mit Stichwunden an den Beinen. Da es sich bei den | |
Schwerverletzten um Deutsche handelte, befürchteten antifaschistische | |
Gruppen eine Reaktion aus der lokalen und benachbarten Neonaziszene. Im | |
Internet hätten Aufrufe zur Rache die Runde gemacht, heißt es. „Das hat uns | |
sehr beunruhigt“, sagt Sandra Merth vom Bündnis Irgendwo in Deutschland. | |
## Die Bevölkerung sieht weg | |
Die Aktivisten reagierten kurzfristig: „Wenn wir eine Kundgebung anmelden, | |
kommt auch die Polizei – und die lokalen Akteure müssen sich mit uns | |
herumärgern.“ Genau das ist passiert. Am Samstag tauchten bereits zu Beginn | |
der Versammlung einige Neonazi-Gruppen in der Nähe der Demo auf. Die | |
Polizei hielt sie auf Distanz. | |
Bei einem späteren Zwischenfall waren die Beamten jedoch zunächst nicht zur | |
Stelle. Mehrere Vermummte hatten das Nebengebäude eines Sonnenstudios | |
verlassen und Journalisten mit Baseballschläger, Messer, Schlagstock und | |
Reizgas bedroht. Das Geschehen spielte sich etwa 50 Meter von der | |
Antifa-Kundgebung entfernt ab. Erst als einige Versammlungsteilnehmer auf | |
die Einschüchterungsversuche reagierten und sich den Bewaffneten näherten, | |
ging die Polizei dazwischen und trennte die Lager. | |
Warum die Beamten die Location, die als schon lange rechter Szenetreff | |
bekannt ist, nicht schon früher im Blick hatten, blieb unklar – zumal | |
bereits eine Stunde zuvor Personen aus diesem Gebäude einigen Journalisten | |
hinterhergerannt waren. Eine Landtagsabgeordnete der Linkspartei hat sich | |
mit einer Kleinen Anfrage bereits nach dem Einsatzkonzept der Polizei | |
erkundigt. Eine Antwort steht noch aus. | |
Für Sandra Merth stellt sich derweil die Frage, warum Neonazis in Wurzen | |
seit Jahrzehnten so selbstbewusst auftreten. Mögliche Antworten lieferten | |
die Redebeiträge auf der Kundgebung: Die Lokalpresse vergleicht die | |
rassistisch motivierte Gewalt mit Rivalitäten beim Fußball, die | |
Stadtpolitik betrachtet die Auseinandersetzungen vorrangig als Imageproblem | |
und die Bevölkerung schaut größtenteils weg. „Es braucht klare Ansagen an | |
die rechten Jugendlichen und die Neonaziszene“, sagt Merth. „Aber wir haben | |
keine großen Hoffnungen, dass das passieren wird.“ | |
Bereits im vergangenen September hatte das Bündnis in Wurzen demonstriert – | |
begleitet von medial heraufbeschworenen Bürgerkriegsszenarien. Ein | |
Spezialeinsatzkommando der Polizei empfing damals die Teilnehmenden bereits | |
am Bahnhof. Sollte sich die Situation auch nach dem jüngsten Besuch nicht | |
verbessern, wolle man wiederkommen, so Merth. Kämpferisch kündigt sie an: | |
„Wir werden Wurzen nicht in Ruhe lassen.“ | |
28 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
René Loch | |
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