| # taz.de -- Pro und Contra zu Catherine Deneuve: #metoo? Non, merci! | |
| > Die französische Schauspielerin sieht die Kultur des Flirts durch die | |
| > feministische Debatte bedroht. Hat sie einen Punkt? | |
| Bild: Kein Handkuss mehr dank #metoo? Das fürchtet jedenfalls Catherine Deneuve | |
| Neben Catherine Deneuve haben mehr als 100 andere prominente französische | |
| Frauen vor einer medialen „Schnelljustiz“ gegen Männer, „puritanischen | |
| Säuberungswellen“ und dem Verlust der sexuellen Freiheit durch die aktuelle | |
| #MeToo-Debatte gewarnt. Mon Dieu! Ist dieser Alarm berechtigt? Zwei | |
| Antworten. | |
| ## Ja, sagt Jan Feddersen | |
| Die Intervention französischer Frauen in die #MeToo-Debatte hinein ist von | |
| provokantester wie erfrischendster Art. Dass dieser Text, veröffentlicht in | |
| [1][der liberalen Tageszeitung Le Monde], überhaupt Gehör finden und nicht | |
| von den auch im #MeToo-Fahrwasser sich bewegenden Moralist*innen abgetan | |
| und entwertet werden kann, liegt gewiss auch an der Göttin des | |
| französischsprachigen Kinos – an Catherine Deneuve. Ihr Privileg der | |
| Berühmtheit schützt das Anliegen des Textes vor Missachtung und | |
| Diskreditierung. Gut so! Mit über 100 anderen, von denen in Frankreich alle | |
| Rang und Verdienst haben, schreiben sie: „Vergewaltigung ist ein | |
| Verbrechen. Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Delikt | |
| und eine Galanterie auch keine chauvinistische Aggression.“ | |
| [2][#MeToo] habe in der Presse und den sozialen Netzwerken eine „Kampagne | |
| der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen“ ausgelöst. Alle | |
| Beschuldigten seien auf eine Stufe mit sexuellen Aggressoren gestellt | |
| worden, ohne antworten oder sich verteidigen zu können. „Dieses Fieber, die | |
| ‚Schweine‘ zur Schlachtbank zu führen, dient in Wahrheit den Interessen der | |
| Feinde sexueller Freiheit, der religiösen Extremisten, der schlimmsten | |
| Reaktionäre und derjenigen, die meinen, dass Frauen ‚besondere‘ Wesen sind, | |
| Kinder mit Erwachsenengesicht, die nach Schutz verlangen.“ | |
| Damit skizzieren diese Frauen eine Differenzierung der Debatte über sexuell | |
| ausgenutzte Machtverhältnisse. Diese Differenzierung ist in den vergangenen | |
| Wochen oft verloren gegangen; zuweilen wurde aber auch absichtsvoll der | |
| Unterschied zwischen ungebetenem Flirt und einer Straftat wie einer | |
| Vergewaltigung verwischt. | |
| Denn das kann ja keineswegs der Zweck der (globalen) #MeToo-Diskussion | |
| sein: Sexuelles oder Erotisches ins Gehege des Bürokratischen, des | |
| [3][schriftlich zuvor Vereinbarten] einzuhegen. Das wäre zwar der Traum | |
| religiöser Fundamentalisten und überhaupt Menschen, für die Sexuelles | |
| insgesamt unter Schuldverdacht steht – aber wahr bleibt ja auch: Männer | |
| sind keine Schweine, Frauen ebenso wenig. Und Machtmenschen wie Harvey | |
| Weinstein haben sich, stimmen die Vorwürfe, mit ihrem Tun strafbar gemacht. | |
| Aber sexuelle Anbahnung im erotischen Sinn unter Generalverdacht zu | |
| stellen, dient der Prüderie und keiner Emanzipation. | |
| ## Nein, sagt Patricia Hecht | |
| „Säuberungswelle, Männerhass, Klima einer totalitären Gesellschaft“ – | |
| Catherine Deneuve und rund 100 weitere französische Frauen rüsten verbal | |
| ziemlich auf, um klarzumachen, was sie von #MeToo halten: nichts. | |
| In einem Gastbeitrag für Le Monde kritisieren sie ein „Fieber“, in dessen | |
| ungezügeltem Verlauf Männer als „Schweine“ gebrandmarkt und zum Schlachth… | |
| geführt worden wären. Sie seien in der Ausübung ihrer Berufe sanktioniert | |
| worden, obwohl ihr einziges Vergehen darin bestehe, einen Kuss erhaschen zu | |
| wollen. Im Namen der Männer fordern sie die „Freiheit“ ein, „lästig zu | |
| werden“. Das Denunzieren von Männern führe zu einem Puritanismus, der | |
| religiösen Extremisten in die Hände spiele. Wie absurd. Und wie traurig. | |
| Die Unterzeichnerinnen gerieren sich als Hüterinnen des Patriarchats. Aber | |
| das hat ihre Unterstützung gar nicht nötig, es wehrt sich schon ganz gut | |
| selbst. Der Begriff von „Freiheit“ ist bizarr verdreht: Nur das „lästig | |
| werden“ rette die sexuelle Freiheit, nur das Stillschweigen und Hinhalten | |
| der Frauen also die offene Gesellschaft. Noch mal kurz zurück zum | |
| Urschleim: Bei #MeToo geht es weder um Sex noch ums Flirten, sondern um | |
| Sexismus, sexuelle Gewalt und den Missbrauch von Macht. Freiheit wäre an | |
| dieser Stelle, wenn sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch so geächtet wären, | |
| dass wir #MeToo nicht bräuchten. | |
| Auch laizistischer Nationalstolz darf nicht fehlen: Die 100 Frauen bemühen | |
| die Verteidigung der säkularen Gesellschaft. Das „Anprangern“ – also die | |
| Kritik an sexueller Gewalt – führe dazu, dass religiöse Sittenwächter | |
| übernehmen. So grotesk es ist: Nur indem Sexismus und Machtmissbrauch | |
| weiter möglich sind, heißt das übersetzt, verteidigen wir unseren Sex gegen | |
| christliche Moralisten und islamistische Fundamentalisten. Und die sind | |
| viel schlimmer als liberale Männer – die Burka lässt grüßen. | |
| Dass der Backlash gegen #MeToo auch von weiblicher Seite kommen würde, war | |
| zu erwarten. Und dass auch Frauen frauenfeindlich sein können, ist keine | |
| neue Erkenntnis. „Wir erkennen uns nicht“ im Feminismus von #MeToo, | |
| schreiben die Unterzeichnerinnen. Aber mit Feminismus hat das, was sie | |
| schreiben, ohnehin wenig zu tun – es ist vor allem ein großer, | |
| rückwärtsgewandter Irrtum. | |
| 11 Jan 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.lemonde.fr/idees/article/2018/01/09/nous-defendons-une-liberte-d… | |
| [2] /!5473250/ | |
| [3] http://www.zeit.de/2017/44/sexismus-metoo-sexuelle-belaestigung | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
| Jan Feddersen | |
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