# taz.de -- #MeToo-Debatte in Frankreich: Frau Deneuve sagt „Pas comme ça“ | |
> Catherine Deneuve und 110 weitere Französinnen wenden sich öffentlich | |
> gegen die #MeToo-Debatte. Sie ernten Kritik von Feministinnen. | |
Bild: Gegen den „Puritanismus“ im Gefolge der Weinstein-Enthüllungen: Cath… | |
PARIS taz | Ihnen gehen die Reaktionen auf den Weinstein-Skandal zu weit. | |
[1][In einem Diskussionsbeitrag] in der Zeitung Le Mondewarnen hundertzehn | |
prominente Frauen davor, mit der öffentlichen Anprangerung der männlichen | |
„Schweine“ im Stil von [2][#MeToo] (in Frankreich heißt der dazu verwendete | |
Hashtag [3][#BalanceTonPorc] oder eben auf deutsch: Prangere dein Schwein | |
an) werde ein Klima der Denunzierung und der moralischen Säuberung | |
geschaffen. | |
Gegen diesen „Puritanismus“ im Gefolge der Weinstein-Enthüllungen | |
verteidigen die Unterzeichnerinnen ihre Vorstellung von sexueller Freiheit, | |
aber auch – und dies erregt heute besonders Anstoß – ein Recht zur | |
unaufgeforderten Anmache. Wo ist aber die Grenze zwischen Belästigung und | |
erotischer Verführungskunst? | |
„Als Frauen können wir uns nicht mit diesem Feminismus identifizieren, der | |
über die Verurteilung des Machtmissbrauchs hinausgehend ein Gesicht von | |
Männerhass und Sexualfeindlichkeit annimmt“, postuliert der Text, der in | |
Frankreich verständlicherweise viel Wirbel auslöst, da die darin | |
vertretenen Positionen offenbar völlig gegen den Strom gehen. Umgekehrt | |
halten die Verfasserinnen dieses offenen Briefs die laufende Kampagne für | |
kontraproduktiv: „Die #MeToo-Kampagne in der Presse und den sozialen | |
Netzwerken hat dazu geführt, dass Individuen wie sexuelle Aggressoren | |
öffentlich angeschuldigt werden, ohne dass sie antworten oder sich | |
verteidigen können. | |
Diese Schnelljustiz habe bereits ihre Opfer gefunden: Männer, die | |
sanktioniert oder beruflich zum Rückzug gezwungen wurden, obschon ihr | |
einziges Vergehen darin bestand, „ein Knie berührt, einen Kuss gestohlen | |
oder während eines beruflichen Dinners über Intimes gesprochen zu haben | |
oder einer Frau eine Botschaft mit sexuellem Inhalt geschickt zu haben, | |
obwohl die Anziehung nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.“ | |
Generell meinen die Initiatorinnen, zu denen teils international bekannte | |
Unternehmerinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen und auch Schauspielerinnen | |
wie Catherine Deneuve gehören, dass sich die Frauen verteidigen und sich | |
nicht „in einer Rolle von permanenten Opfern einschließen“ lassen sollen. | |
Ihrer Meinung nach wissen die Frauen selbst zu unterscheiden zwischen einer | |
ungeschickten Form von Anmache und einer sexuellen Aggression. Doch gibt es | |
so etwas wie eine Freiheit der Belästigung im Sinne unaufgeforderter | |
Angebote? Das meinen die Verfasserinnen, die sich auf den Philosophen Ruwen | |
Ogien berufen, der analog ein Recht, Anstoß zu erregen, als für die | |
künstlerische Schaffensfreiheit unverzichtbar beansprucht habe. Und dann | |
sei halt der Sexualtrieb „naturgemäß offensiv und wild“. | |
Die französische Sprache hat mit dem Wort draguer einen Begriff für diese | |
ungenaue Grenze zwischen Flirt à la française und tölpelhafter Belästigung. | |
Das dazu keine Form von physischer Aggression gehört, ist aber eindeutig. | |
Gerade diese auch in Frankreich bekannten Grenzen werden in der | |
Stellungnahme gegen die Puritaner verwischt. Besonders schockierend muss es | |
jedoch sein, dass da auch beispielsweise ein gewisses Verständnis für die | |
Grapscher in der Metro zum Ausdruck gebracht wird, weil das der | |
Selbstachtung einer Feministin keinen Abbruch tun müsse: „Sie kann für | |
Lohngleichheit kämpfen, ohne auf Lebenszeit traumatisiert zu sein wegen | |
Grapschens in der Metro, auch wenn dies als Delikt gilt.“ | |
## Nachsicht sei völlig fehl am Platz, lautet eine Replik | |
Unfassbar und inakzeptabel finden eine solche „Banalisierung der sexuellen | |
Gewalt“ dreißig bekannte Vertreterinnen der französischen Frauenbewegung in | |
ihrer Antwort. Ihre Replik ist besonders scharf, weil sie den | |
Verfasserinnen des Briefs in Le Monde vorwerfen, mit ihrer Haltung sexuelle | |
Aggressionen nicht nur zu dulden, sondern auch noch im Namen einer | |
sexuellen Freiheit zu verherrlichen: „Die Schweine und ihre Verbündeten | |
haben allen Grund zur Sorge. Ihre alte Welt ist am Zusammenbrechen.“ Aber | |
vielleicht hätten Deneuve und die anderen einfach nicht begriffen, „was | |
jetzt passiert“. | |
Wie schon im Fall des (mehrerer Vergewaltigungen beschuldigten) | |
Filmregisseurs Roman Polanski sei ihre Nachsicht völlig fehl am Platz. „Mit | |
ihrem Text wollen sie den bleiernen Deckel, den wir zu heben begonnen | |
haben, wieder schließen. Doch das wird ihnen nicht gelingen“, meinen die | |
Feministinnen, die überzeugt sind, dass seit Weinstein auch in Frankreich | |
eine grundlegende Änderung der Mentalitäten im Gange sei. | |
„Das ist ein Text, der es rechtfertigt, Frauen zu belästigen und | |
Feministinnen zu beleidigen“, meint dazu heute die Feministin Caroline De | |
Haas. Die ehemalige Ministerin für Frauenrechte, Laurence Rossignol, | |
kritisiert eine ihrer Meinung nach „eigenartige Angst (gewisser Frauen), | |
ohne den Blick und die Lust der Männer nicht existieren zu können. Das geht | |
so weit, dass an sich intelligente Frauen solche Eseleien verfassen.“ | |
Die frühere sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal hat | |
auf Twitter geschrieben: „Schade, dass unsere große Catherine Deneuve sich | |
an einem derart konsternierenden Text beteiligt.“ | |
## Polemik in Form eines Schlagabtauschs | |
Deneuve ist in Frankreich bekannt dafür, dass sie sich immer wieder für die | |
Rechte der Frauen und andere fortschrittliche Anliegen öffentlich | |
engagiert. Dass sie nun aber einen offenen Brief mitunterzeichnet, der nach | |
Ansicht zahlreicher Feministinnen der Verteidigung der Frauen gegen | |
sexuelle Gewalt in den Rücken fällt, hat viele überrascht oder enttäuscht. | |
Die Frauenrechtsorganisation Osez le féminisme ruft in diesem Zusammenhang | |
in Erinnerung, dass in Frankreich „eine von sechs Frauen im Verlauf ihres | |
Lebens attackiert oder vergewaltigt wird“. | |
Das würde bestimmt auch Catherine Deneuve nicht infrage stellen. Ihr | |
Anliegen, die sexuelle Freiheit gegen reaktionäre Bestrebungen zu | |
verteidigen, die alles Intime unter dem Mantel des moralisch Korrekten | |
pauschal und öffentlich anprangern, erscheint legitim. Doch der Text, den | |
sie mitunterzeichnet hat, zielt an diesem Zweck vorbei. | |
Nicht alles aber ist „Eselei“ darin. Man versteht zum Teil ihre Motivation, | |
wenn die Mitunterzeichnerin Sophie de Menthon, die Sprecherin des | |
Unternehmerinnenklubs Ethic, sagt, sie wolle nicht, dass es so weit komme, | |
dass in Firmen Männer bei Gesprächen mit Kolleginnen oder Besucherinnen aus | |
Angst vor möglichen Verdächtigungen die Bürotüre offen lassen müssten. Die | |
Debatte, wie weit die Anprangerung der mutmaßlichen „Schweine“ gehen soll | |
oder wo im Gegenteil eine sexuell freizügige Lebensart infrage gestellt | |
wird, hat mit dieser Polemik in Form eines Schlagabtauschs in Le Monde wohl | |
erst begonnen. | |
10 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.lemonde.fr/idees/article/2018/01/09/nous-defendons-une-liberte-d… | |
[2] https://twitter.com/search?q=%23MeToo&src=typd | |
[3] https://twitter.com/search?q=%23BalanceTonPorc&src=typd | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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