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# taz.de -- Film-Doku über Berliner Friedhof: Der Tod macht alle gleich
> Die erstaunliche Dokumentation „Garten der Sterne“ porträtiert den Alten
> St. Matthäus-Kirchhof in Tempelhof-Schöneberg als einen Ort der Toleranz.
Bild: Zwiesprache in aller Ruhe: „Garten der Sterne“
Wenn einer ein Experte für den Tod ist, dann Bernd Boßmann, die zentrale
Figur in dem Dokumentarfilm „Garten der Sterne“ der beiden Filmemacher
Pasquale Plastino und Stéphane Riethauser. Boßmann betreibt auf dem Alten
St. Matthäus-Kirchhof, einem Friedhof der evangelischen
Zwölf-Apostel-Kirche in Tempelhof-Schöneberg, nicht nur einen Laden für
Blumen, sondern ein Café, das „erste deutsche Friedhofscafé“, wie er selb…
sagt.
Und wenn man sich ansieht, was für ein entspanntes Verhältnis der
Friedhofscafé-Betreiber zum Tod hat, der ihn andauernd umgibt, kann einem
das durchaus ein paar der Ängste nehmen, die wohl die meisten Menschen bei
diesem Thema haben. An einer Stelle im Film gibt er sogar seine Überzeugung
preis, dass der Tod die ultimative Erfahrung überhaupt sei, eine Art
Superorgasmus, etwas ganz Besonderes. Das Beste kommt demnach also
tatsächlich zum Schluss, eine interessante These.
Boßmann ist zwar die wichtigste Person in dieser erstaunlichen
Dokumentation, der Hauptprotagonist ist jedoch der 161 Jahre alte Friedhof
selbst. Überproportional viele Schwule liegen hier begraben, der
prominenteste ist sicherlich Rio Reiser. Das habe sich so entwickelt,
glaubt Boßmann, weil eben Schöneberg schon seit Jahrzehnten ein Zentrum der
Berliner Schwulenszene sei.
Boßmann hat auch bereits ein Grab hier, er wird irgendwann neben seiner
alten Freundin Ovo Maltine legen, einer bis heute unvergessenen
Kabarett-Tunte, Schauspielerin und Aids-Aktivistin, zu deren letzter
Ruhestätte immer noch Fans und Bewunderer kommen.
## Utopisches Refugium
Ausgerechnet ein Friedhof wird in „Garten der Sterne“ zu einem Ort der
Toleranz, zu einem utopisch anmutenden Refugium einer besseren
Gesellschaftsform. Dazu passt auch das Märchen „Gevatter Tod“, das nach und
nach in der Dokumentation erzählt wird und das auf die Brüder Grimm
zurückgeht, die auch auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof begraben liegen.
Nicht Gott will der arme Mann aus dem Märchen zum Paten seines dreizehnten
Kindes, nicht Gott, der den Reichen gibt und die Armen hungern lässt, und
nicht den Teufel, der noch schlimmer ist, sondern den Tod, „der alle gleich
macht“.
Märchen, Friedhof, Tod, Schwulsein, all das wird auf eigentümliche und doch
ziemlich schlüssige Art und Weise miteinander in Beziehung gesetzt. Ganz
sachlich, nicht sentimental, betroffen oder mit religiöser Überzeugung wird
über Tod und Trauer reflektiert und an Aids erinnert – Boßmann selbst ist
HIV-positiv –, während schon im nächsten Moment das erzählte Märchen eine
fast surreale Stimmung erzeugt. Der Film ist so in eigenwilliger Weise
gleichermaßen nüchterne Erzählung und Friedhofsmeditation.
In diesem Wechselspiel der filmischen Stilmittel kommt man dem Ort und
demjenigen, der über ihn wacht, seinem guten Geist, dem dauerntspannten
57-jährigen Boßmann, langsam immer näher. Sieht ihn im stillen Gedenken vor
dem Friedhofsdenkmal für die an Aids Gestorbenen, sieht ihn, den ehemaligen
Schauspieler mit dem Künstlernamen Ichgola Androgyn, in alten Filmaufnahmen
von Rosa von Praunheim, der ebenfalls in Betracht zieht, an die hoffentlich
ferne Zukunft zu denken und sich hier schon mal ein Grab zu kaufen.
## Ein Ort für die Lebenden
Und man sieht ihn, wie er aktiv auf die Kultur des Trauerns und Gedenkens
auf seinem Friedhof einwirkt. Wie er sich darum bemüht, nicht nur in seinem
Café die Menschen miteinander in Verbindung zu bringen, sich in ihrer
Trauer zu vereinen, zu kommunizieren. Der Friedhof ist vielleicht noch mehr
ein Ort für die Lebenden als für die Toten und wenn die Menschen an diesem,
wie man in „Garten der Sterne“ sehen kann, joggen, ein Buch lesen, ja sogar
ein Bier trinken, ist das ganz in Boßmanns Sinne.
Um die sonst so gerne beschworene Würde des Ortes macht er sich wenig
Sorgen. Auch Kinder können sich seiner Meinung nach auf einem Friedhof gar
nicht danebenbenehmen. Ganz im Gegenteil seien es gerade die Kinder, die
oft die tröstlichsten Worte für ihre trauernden Eltern finden würden.
Besonders bei den Begräbnissen im „Garten der Sternenkinder“ erlebt er das,
einem Friedhof im Friedhof, der von Boßmann betreut wird und auf dem sie
gemeinsam mit den Eltern von ihren totgeborenen Geschwistern Abschied
nehmen können. Danach schauen sie vielleicht noch beim Grab der Brüder
Grimm vorbei.
Friedhöfe müssen nicht diese leblosen Orte mit starren Riten sein, auf
denen man sich unwohl fühlt. Es geht auch ganz anders. Nach dem Film
„Garten der Sterne“ ist man sich sicher, dass man nur noch dort begraben
sein möchte, wo jemand wie Bernd Boßmann über einen wacht.
Dieser Text erscheint im taz plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
18 Jan 2018
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Dokumentarfilm
Friedhof
Kinotipp
Queer
Schwerpunkt HIV und Aids
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