| # taz.de -- Die SPD streitet über die Groko: Strategie oder Verzweiflung? | |
| > Unerhörtes scheint möglich: Ein Nein der Delegierten beim SPD-Parteitag | |
| > am Sonntag wäre ein Erdbeben für die Partei. | |
| Bild: Großer Zwergenaufstand: Bundesumweltministerin Hendricks vor einer Disku… | |
| Berlin/Dortmund taz | Andrea Nahles, die neue mächtige Frau in der SPD, ist | |
| bekannt dafür, Tacheles zu reden. Nachverhandlungen? Man dürfe keine | |
| Illusionen verbreiten oder unrealistische Erwartungen wecken, sagt Nahles | |
| vor dem SPD-Fraktionssaal unter der Reichtstagskuppel. Natürlich habe die | |
| SPD in den Sondierungen die Bürgerversicherung oder die sachgrundlose | |
| Befristung von Arbeitsverträgen angesprochen. Sie glaube nicht, schnappt | |
| Nahles, dass sich die ablehnende Position der Union über Nacht geändert | |
| habe. | |
| Mit wenigen Sätzen beerdigt die Fraktionsvorsitzende eine Debatte, die | |
| Spitzengenossen seit Tagen führen. SPD-Vize Ralf Stegner hat am Wochenende | |
| das Verbot der sachgrundlosen Befristung zur Bedingung für eine neue Große | |
| Koalition gemacht. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, | |
| kündigte kurz darauf an, man werde auch über die Bürgerversicherung | |
| sprechen müssen. Und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller | |
| mahnte Verbesserungen des 28-seitigen Sondierungsergebnisses bei Wohnen, | |
| Zuwanderung und Integration an. | |
| Stegner klang knallhart, die anderen wirkten etwas weicher. Aber der | |
| Eindruck bleibt: Die einen in der SPD-Spitze überbieten sich darin, saftige | |
| Nachschläge zu fordern – während SPD-Chef Martin Schulz nach der | |
| Sondierungsnacht „hervorragende Ergebnisse“ bejubelte. Ist das noch | |
| Strategie oder schon Verzweiflung? | |
| Die Stimmung in der SPD-Spitze schwankt zwischen Zuversicht und Depression. | |
| Mehrere Landesverbände haben sich bereits gegen die GroKo ausgesprochen. | |
| Thüringen, Sachsen-Anhalt, zuletzt Müllers Hauptstadt-SPD in Berlin. Es | |
| sind kleine Verbände, die nur wenige Delegierte zu dem entscheidenden | |
| Parteitag in Bonn schicken. Aber es geht nicht nur um Mathematik. Solche | |
| Warnsignale illustrieren die verbreitete Skepsis an der SPD-Basis. | |
| ## Kippt die Stimmung? | |
| Plötzlich scheint etwas Unerhörtes möglich: Kippt die Stimmung? Stellt sich | |
| der SPD-Parteitag am Sonntag, der über die Aufnahme von | |
| Koalitionsverhandlungen entscheiden wird, gegen die eigene Führung? | |
| Ein Nein der 600 Delegierten wäre ein Erdbeben, nach dem in der Partei kein | |
| Stein mehr auf dem anderen bliebe. Schulz wäre wohl den Parteivorsitz los. | |
| Aber auch die übrige SPD-Spitze stünde unter immensem Rechtfertigungsdruck. | |
| Schließlich hat sich das prominent besetzte Sondierungsteam bei einer | |
| Enthaltung hinter das Sondierungsergebnis gestellt – und eine übergroße | |
| Mehrheit im Parteivorstand. | |
| Führende GenossInnen funken Alarmsignale nach Berlin. „Etwa ein Drittel bei | |
| uns sagt: Keine GroKo, egal welche Inhalte“, beschreibt Leni Breymaier, | |
| Landeschefin in Baden-Württemberg, die Stimmung. „Ein anderer Teil sagt: | |
| Macht! Die Mehrheit macht ihre Zustimmung von Inhalten abhängig.“ | |
| Nordrhein-Westfalens Landeschef Michael Groschek sieht die Lage ähnlich. | |
| „Wir haben Mitglieder, die sagen Ja, und welche, die sagen Nein, und | |
| dazwischen ist ein großer Teil von nachdenklichen Unentschlossenen“, so | |
| Groschek in dem Radiosender WDR2. Er rechne mit weiteren Diskussionen über | |
| die Sondierungsergebnisse.Das bedeutet: Alles ist offen. | |
| ## Schulz führt nicht | |
| Schon dies ist eine Nachricht in der staatstragenden SPD. Ob bei der Großen | |
| Koalition 2013, bei der Entscheidung über die umstrittene | |
| Vorratsdatenspeicherung oder über das Freihandelsabkommen Ceta: Bisher | |
| konnte sich die SPD-Spitze darauf verlassen, dass die brave Basis | |
| Umstrittenes am Ende durchwinkt. Schulz aber führt in dieser komplexen | |
| Situation nicht. Stattdessen wirkt er immer mehr wie ein Getriebener. | |
| Neulich forderte er die GroKo-Befürworter auf, sich in der | |
| innerparteilichen Debatte laut zu Wort zu melden. Ein Chef, der um Hilfe | |
| ruft – das spricht für sich. | |
| Martin Schulz wirkt genervt, vielleicht auch bedrückt, als er am | |
| Montagabend um kurz vor sechs in das Kongresszentrum der Dortmunder | |
| Westfalenhalle eilt. In der Halle warten die Delegierten der Regionen | |
| Westliches Westfalen und Ostwestfalen-Lippe für den Parteitag. Schulz will | |
| hier werben. Für das Ergebnis, für die GroKo und für sich. | |
| Schon seit einer Stunde interviewen JournalistInnen die Delegierten vor | |
| Dutzenden aufgebauten Kameras. Was sie zu hören bekommen, ist vor allem | |
| Kritik: „Beim ausgehandelten Sondierungspapier vermisse ich die | |
| sozialdemokratische Handschrift“, sagt etwa Marcel Franzmann aus Höxter. | |
| Die „Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich“ sei in den grundlegenden | |
| Gesprächen mit CDU und CSU nicht ausreichend Thema gewesen, findet der | |
| 34-Jährige. Beim Parteitag in Bonn werde er deshalb gegen die GroKo | |
| stimmen: „Dazu habe ich auch die Unterstützung meiner Basis“, sagt der | |
| stellvertretende Kreisvorsitzende. | |
| Es häufen sich die Warnsignale. So entschied sich der NRW-Landesvorstand | |
| dafür, lieber nicht über ein Ja oder Nein zur Aufnahme von | |
| Koalitionsverhandlungen abzustimmen. Eine formale Abstimmung wie in anderen | |
| Verbänden werde es nicht geben, sagte ein Sprecher. | |
| ## Pure Ratlosigkeit | |
| Dahinter steckt nach taz-Informationen pure Ratlosigkeit. Der Vorstand | |
| diskutierte am Samstag stundenlang die heikle Frage – und nur wenige | |
| Mitglieder hatten sich entschieden. Der Rest wusste schlicht nicht, ob er | |
| dem Parteitag Koalitionsverhandlungen empfehlen sollte. [1][Die Delegierten | |
| aus Nordrhein-Westfalen] werden also ohne Empfehlung ihres Vorstands nach | |
| Bonn reisen. | |
| Die SPD-Spitze ackert derweil weiter. Schulz und Nahles touren diese Woche | |
| noch durch die Republik, auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil absolviert | |
| Termin nach Termin. Immer mit derselben Botschaft im Gepäck: „Es lohnt | |
| sich“ – so sagte es Schulz am Dienstag in einem Live-Chat mit | |
| Facebook-Nutzern. | |
| Nahles zählt vor der blau-roten Medienwand im Reichstag die drei Erfolge | |
| auf, die sie am wichtigsten findet. Beim milliardenteuren Wegfall des | |
| Solidarzuschlags habe die SPD durchgesetzt, dass die Richtigen – also | |
| Normalverdiener – entlastet würden. Bei der Rente habe die SPD eine | |
| Garantie für das Rentenniveau erkämpft, „einen Meilenstein“. Und | |
| schließlich werde es in einer neuen GroKo eine Bildungsoffensive geben – | |
| samt Wegfall des Kooperationsverbots. | |
| In der SPD-Spitze rechnet man derweil bang die Delegierten durch. Vor allem | |
| auf die starken westdeutschen Landesverbände kommt es an. NRW schickt 144 | |
| Delegierte, Niedersachsen 81, Bayern 78 und Hessen 71. Aus Rheinland-Pfalz | |
| kommen 49, aus Baden-Württemberg 47. Niedersachsens Landesvorstand, das ist | |
| wichtig für Schulz, hat sich klar für die GroKo ausgesprochen – dort | |
| regiert Ministerpräsident Stephan Weil in einer Großen Koalition. In Bayern | |
| und Hessen wiederum stehen im Oktober Landtagswahlen an. Das dämpft | |
| traditionell die Lust auf eine Große Koalition noch mehr, weil sie die | |
| Differenzen zum Hauptgegner verwischt. | |
| ## Kaffeesatzleserei | |
| Doch solche Zahlenspiele sind am Ende Kaffeesatzleserei. Die Delegierten | |
| halten sich in so einer heiklen Frage nicht unbedingt an die Linie des | |
| Landesvorstands. Und die SPD-Spitze bemühte sich gestern, das selbst | |
| verursachte Nachverhandlungschaos in den Griff zu bekommen. | |
| Nahles war nicht die Einzige, die die Euphorie bremste. Auch Dreyer sagte, | |
| es sei „vollkommen klar, dass Sondierungsergebnisse nicht Ergebnisse sind, | |
| die man komplett wieder aufmachen kann.“ Das Ergebnis der Sondierungen sei | |
| eine gute Grundlage. Das klang ganz anders als noch vor ein paar Tagen. | |
| Mit Blick auf zweifelnde Delegierte sagte Dreyer weiter: „Ich glaube, dass | |
| wir gut tun, dass wir jetzt einfach das Gespräch überall suchen.“ Die in | |
| der Partei beliebte Ministerpräsident gilt als wichtig für die | |
| Überzeugungsarbeit. | |
| ## Und was sagt die Union? | |
| In der Union beäugt man die Windungen des möglichen Koalitionspartners | |
| derweil beunruhigt oder amüsiert – je nach Interessenlage. | |
| Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) sagte, während | |
| der Sondierungen hätten sich zwischen Union und SPD Vertrauen und Respekt | |
| eingestellt. „Ich hoffe, dass das Vertrauen im Zuge der weiteren Beratungen | |
| von der SPD bekräftigt wird und Vereinbarungen eingehalten werden.“ | |
| Grosse-Brömer betonte, die Sondierungen seien ja schon halbe | |
| Koalitionsverhandlungen gewesen – aber eben nur halbe. Natürlich könnten in | |
| Koalitionsverhandlungen auch neue Themen aufgerufen werden. Grosse-Brömer, | |
| der zu den Merkel-Unterstützern zählt, funkt also Versöhnliches in Richtung | |
| der verstörten SPD. | |
| CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt haben manche SPD-Strategen in | |
| Verdacht, eine eigene Agenda zu fahren – zum Schaden einer möglichen | |
| Einigung. Dobrindt schloss am Dienstag Nachverhandlungen einmal mehr aus. | |
| Es müsse Handschlagqualität gelten. Außerdem bewies er hintergründigen | |
| Humor, indem er der SPD-Spitze ein vergiftetes Angebot machte: „Zur Not | |
| würde ich auf dem SPD-Parteitag reden.“ Vielleicht braucht die SPD Dobrindt | |
| gar nicht, um die GroKo zu beerdigen. | |
| 17 Jan 2018 | |
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| [1] /Martin-Schulz-wirbt-in-NRW-fuer-die-GroKo/!5477192 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| Andreas Wyputta | |
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