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# taz.de -- Grenzjournalisten über Migration: „Stress mit vereinzelten Peaks…
> Die Graphic Novel „Der Riss“ von Carlos Spottorno und Guillermo Abril
> handelt von Migration. Ein Gespräch über Solidarität, Grenzen und
> Frontex.
Bild: Manche Geflüchtete werden direkt nach dem Grenzübertritt wieder zurück…
taz am wochenende: Im Zuge Ihrer Berichterstattung an den Außengrenzen der
EU wurde Ihnen teilweise der Zugang zu bestimmten Zonen oder der Austausch
mit Flüchtlingen und NGOs untersagt. War das immer legal?
Guillermo Abril: Die Verbote, die angeblich dem Personenschutz dienen
sollten, waren teilweise lächerlich. Nach dem Motto „Unterhalten dürft ihr
euch nur außerhalb der Zone“. Manchmal wollte man aber auch verhindern,
dass wir Zeugen illegaler Vorgehensweisen wurden. Wie zum Beispiel bei
„heißen“ Abschiebungen.
Wenn Migranten gleich nach dem Grenzübergang wieder zurückgedrängt werden,
wie in Melilla, der spanischen Exklave an der marokkanischen Küste?
Abril: Ja. Manche Beamte sehen nicht ein, dass Migranten, sobald sie einen
Fuß auf EU-Boden setzen, das Recht haben, zur nächsten Polizeistation zu
gehen und Asyl zu beantragen, obwohl sie illegal über den Zaun gesprungen
sind.
Carlos Spottorno: Grenzgebiete sind überall auf der Welt sensible Zonen, wo
uns Journalisten nicht unbedingt alles gezeigt werden muss. Insofern waren
die Einschränkungen nicht illegal. Letztlich hatten wir auch genug Zugang,
um ein Gefühl für das absichtlich Verborgene zu entwickeln.
Aber die bürokratischen Hürden dafür waren hoch?
Abril: Um auf ein Boot der Operation „Mare Nostrum“ zu gelangen, haben wir
über 50 E-Mails und Briefe hin und her geschickt. Der bürokratische Weg ist
komplex. Aber am Ende hat es geklappt.
Spottorno: Ich glaube, die Zeit war auch reif dafür. Damals, 2014, waren
die Italiener allmählich von der Situation überfordert und ließen erste
Journalisten an Bord, damit die Tragödien, und letztlich auch die
Rettungskosten, mit dem Rest Europas geteilt werden. Tatsächlich arbeiteten
sie ja nicht nur an den Grenzen Italiens, sondern der EU.
Ihre Foto/Comic-Reportagen führen dann über Kroatien, Griechenland bis nach
Finnland an die Nordostgrenze der EU. Offenbar begleiteten Sie auch
Nato-Übungen, wie das Training ukrainischer Truppen mit kanadischen und
US-amerikanische Soldaten?
Spottorno: Dort waren wir willkommen. Denn die anderen Journalisten, die
aus der Region über den Ukrainekonflikt hätten berichten können, waren
bereits weitergezogen. Der Medienfokus lag schon woanders, nämlich auf
Syrien.
Abril: Uns hatte die Frage interessiert, ob es einen Zusammenhang zwischen
dem Ausbau der Nato-Truppen an der Ostgrenze und der russischen Präsenz in
Syrien gibt.
Sie thematisieren in Ihrem Werk „Der Riss“ auch, dass die Abmachungen des
Westens mit Russland, die keine dauerhaften Nato-Stützpunkte im Baltikum
vorsehen, umgangen würden. Der militärische Ausbau scheint tatsächlich
massiv …
Abril: Es gibt zum Beispiel spezielle Container, die mit einem ungeheuren
Aufwand an Technologien ausgestattet sind. Man kann das komplette Teil
innerhalb von 24 Stunden von Italien nach Litauen umsiedeln.
Werden die Russen für Idioten gehalten?
Abril: Sie tun ja das Gleiche! Da kündigen sie eine Übung mit 10.000
Soldaten an ihrer Westgrenze an, doch in Wirklichkeit sind es 90.000.
Spottorno: Es ist wie ein Spiel. Wir stellen uns militärische Institutionen
immer rational vor. In Wirklichkeit aber testen beide Seiten ständig, wie
weit sie gerade gehen können. Das ist großes Theater, an dem wir alle
beteiligt sind. Und alles, was einem bleibt, ist zu hoffen, dass wir unsere
Rollen friedlich spielen.
Auch Ihre Rolle als Journalisten?
Abril: Ja, wenn wir über die eine Seite berichten, erfährt die andere
davon.
Spottorno: Auch du spielst jetzt gerade mit.
Von einem Bericht zum nächsten gibt es aber viel Raum für Interpretationen.
Spottorno: Genau. Deswegen ist es wichtig, Bücher zum Thema zu machen:
solide Objekte, für deren Inhalt man die volle Verantwortung übernimmt.
Kann Journalismus das nicht?
Spottorno: Der Journalismus scheitert heute vor allem an seiner Aufgabe,
einen klaren Überblick zu vermitteln. Nicht weil er das nicht versucht,
sondern weil niemand mehr Acht gibt. Wir nehmen Infos auf sehr
fragmentierte, teilweise verzerrte Weise wahr.
Abril: Die großen Storys, die El País Semanal publiziert, werden auch von
Jahr zu Jahr kürzer. Unsere Onlineleser widmen einem Artikel im
Durchschnitt gerade mal 40 Sekunden – es liest kaum jemand eine Geschichte
bis zum Ende. Dabei gibt es bei Online eigentlich gar kein Ende! Man klickt
sich einfach weiter und weiter.
Wie kam der Wunsch auf, Ihre journalistischen Texte und Fotos in einer
Graphic Novel aufzuarbeiten?
Spottorno: Vor ein paar Jahren las ich „Pjöngjang“ von Guy Delisle. Und ich
dachte, das ist ein Comic und zugleich die beste Reportage, die ich je über
Nordkorea gelesen habe. Oder Marjane Satrapis „Persepolis“. Durch diese
Graphic Novel ist mir vieles über die iranische Revolution klargeworden.
Und so fragte ich Guillermo, ob wir das Comicgenre zur Schilderung der Lage
an den Grenzen Europas nutzen wollten.
Abril: Und ich stimmte sofort zu! Ich glaube, wegen Hergés „Tintin“ bin ich
überhaupt erst Journalist geworden.
Der Titel „Der Riss“ spielt auf die tiefen Gräben an, die Europa spalten
und die es an den Außengrenzen zum Rest der Welt errichtet. Ihr Buch endet
tatsächlich äußerst pessimistisch. Sind wir in einer Art Krieg?
Spottorno: Einiges deutet darauf hin. Das scheint aber ein neuartiger Krieg
zu sein: eine ständige Stresssituation mit vereinzelten Peaks, ohne dass
die Lage als unerträglich empfunden wird. Irgendwie scheinen wir uns daran
gewöhnt zu haben, dass jeden Augenblick ein Lkw in eine Menschenmenge
fahren kann, dass wir weniger verdienen als noch vor zehn Jahren, während
zugleich alles immer teurer wird. Die Produktion steigt, und gleichzeitig
mit Ihr die Zahl der Klimaflüchtlinge.
Abril: Wir haben gelernt, Geschichte in abstrakten Daten zu lesen, aber
ohne die langfristige Entwicklung der jeweiligen Großereignisse zu
begreifen. Wenn Europa sich auflöst, wird das nicht von einem Tag auf den
anderen passieren. Zunächst werden die Innengrenzen trotz Schengen wieder
kontrolliert, dann tritt ein erster EU-Mitgliedstaat aus. Ist ja schon
passiert. Was kommt als Nächstes? Heute nehmen viele Kataloniens
Unabhängigkeitsbestrebungen nicht ernst. War das auch so, als es 1934 seine
Unabhängigkeit verkündete, also zwei Jahre vor dem Spanischen Bürgerkrieg?
Wir sollten uns darüber viel mehr Gedanken machen.
20 Jan 2018
## AUTOREN
Elise Graton
## TAGS
Graphic Novel
Migration
Flüchtlinge
Frontex
EU-Außengrenzen
Lesestück Interview
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Afghanistan
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