# taz.de -- Recherche-Comic „Kriegszeiten“: Die Bilder, die fehlen | |
> Geht voll ins Detail, aber mit grobem Raster: Der Recherche-Comic | |
> „Kriegszeiten“ ist eine grafische Reportage über die Bundeswehr in | |
> Afghanistan. | |
Bild: Der Afghanistan-Krieg im Comic: Cover von „Kriegszeiten“. | |
„Es gibt da die alte Geschichte, dass du einen Afghanen nie kaufen kannst. | |
Du kannst ihn nur mieten.“ Das ist einer der Sätze, die hängen bleiben aus | |
dem Pionierwerk „Kriegszeiten“. Eine Comic-Reportage über den Krieg in | |
Afghanistan. Das Wort „Comic“ hatte selten weniger mit komisch zu tun. | |
„Kriegszeiten“ ist eine Reportage mit anderen Mitteln. Ein äußerst | |
gelungener Weg, eine jahrelange Recherche zugänglich zu machen. Das Thema | |
wäre auch als Buch möglich gewesen, als Aufmacher einer Zeitung vielleicht | |
beachtet worden. Aber erst als gezeichnete Reportage entfaltet diese Arbeit | |
ihre ganze Kraft. | |
Recherchiert hat das Ding David Schraven, einer der jungen Haudegen der | |
deutschen Journalistenszene. Er leitet im Hauptberuf die Rechercheabteilung | |
der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, er war Mitgründer des Blogs | |
Ruhrbarone, schrieb bei der taz und bei der Welt. Es gibt inzwischen andere | |
deutschsprachige Comic-Reportagen, etwa das halb gemalte, halb gezeichnete | |
„Im Land der Frühaufsteher“ von Paula Bulling im Avant-Verlag. Sie | |
beschreibt das Leben von Asylbewerbern in Sachsen-Anhalt und den Leuten, | |
die ihnen helfen wollen. | |
Aber die „Kriegszeiten“ sind anderer Stoff. Sie sind drei Kapitel dicke | |
Recherche-Bretter, kondensiert in intensiven Zeichnungen, Zooms, Schnitten, | |
Totalen. Schraven hat Zeugen gesprochen, Soldaten interviewt, Tausende | |
Seiten vertrauliche Berichte der Bundeswehr an das Parlament ausgewertet. | |
Die Bundeswehr macht die erste Offensive ihrer Geschichte, kesselt Feinde | |
ein, vernichtet sie. „Es ist irre“, sagt David Schraven, „wir konnten die | |
Geschichte quasi wie einen Landserroman erzählen. Und keiner regt sich | |
auf.“ Es bemerkt ja auch kaum einer. Denn es ist alles weit weg, dort am | |
Hindukusch. | |
Und es gibt keine Bilder von den Kämpfen. „Der Krieg in Afghanistan ist | |
einer der meist fotografierten überhaupt. Aber auch einer der am besten | |
kontrollierten“, so Schraven. Es gibt keine Fotos von Gefechten, von den | |
Opfern. Journalisten sind „embedded“, also geleitet von den | |
Presseoffizieren der beteiligten Armeen. Auch Schraven, als er vor Ort war. | |
Ein gutes Jahr hat Schraven recherchiert, auf offiziellen und inoffiziellen | |
Wegen. Ein Jahr hat dann der Zeichner Vincent Burmeister das Skript in | |
seine schwarz-weiß-gelben Felder gepresst. Burmeister zeichnet im Detail, | |
aber mit grobem Raster. Er liefert die Bilder, die fehlen, um sich ein Bild | |
zu machen. Wie es mit dem Aufbau des Landes anfing, wie alles außer | |
Kontrolle geriet, wie die Feldjäger die in kleine Stücke gesprengten Reste | |
eines ungarischen Soldaten zusammensuchen, wie das Parlament außen vor | |
bleibt. Und dann die Offensive der Bundeswehr, die „Operation Blitz“. | |
Als Recherche-Comic ist das eine Pionierarbeit. Der Markt dafür muss sich | |
erst noch bilden. Und Käufer braucht es schon, wenn „Kriegszeiten“ von | |
anderen Arbeiten gefolgt sein soll. Denn es gibt nicht viel mehr Vorschuss | |
für solch eine grafische Recherche als für ein anderes Buch, auch wenn der | |
Aufwand enorm ist. Und es wäre doch schade, wenn wir künftig auf Sätze wie | |
„Aus einem iPod krächzte Boss Hoss seinen Ring of Fire“ verzichten müssen. | |
Denn das hat kein Drehbuch-Profi erfunden, sondern stammt aus der | |
Wirklichkeit, einem gepanzerten „Dingo“ der Bundeswehr bei der Ausfahrt in | |
den afghanischen Morgen. Aus der Realität weit weg von daheim und der | |
Innenpolitik. | |
29 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Metzger | |
Reiner Metzger | |
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